Theologe Werbick ruft in Gastkommentar zu Vertrauen in den Glauben auf

"Der Glaube nackt dem Zeitgeist ausgesetzt"

Der Theologe Jürgen Werbick beschreibt den christlichen Glauben in seinem Gastkommentar als marginalisiert. Er ruft dazu auf, sich dem Glauben trotz Gegenwind neu zuzuwenden und Ostern als "Fest der Revisions-Instanz" zu feiern.

Autor/in:
Jürgen Werbick
(ARCHIV) Prof. Dr. Jürgen Werbick am 26. November 2008. (KNA)
(ARCHIV) Prof. Dr. Jürgen Werbick am 26. November 2008. / ( KNA )

Jahr für Jahr müssen Christinnen und Christen in der Osterzeit von neuem zur Kenntnis nehmen, wie sie in die Minderheit geraten sind und wie uninteressant ihr Glaube hierzulande geworden ist. Christentum ist gut, solange christliche Feiertage zu mehr Freizeit verhelfen. Was es für christliche Menschen bedeutet, den Karfreitag zu begehen und Ostern zu feiern, das interessiert eher nicht. Christinnen und Christen wird es wehtun, an den harten Zahlen der Meinungsumfragen darauf zu stoßen, dass sie nicht mehr Mainstream sind. 

Prof. Dr. Jürgen Werbick (privat)
Prof. Dr. Jürgen Werbick / ( privat )

Es ist nicht mehr selbstverständlich zu glauben und mit den Kirchen und den Gemeinden vor Ort mitzuglauben. Die Geborgenheit im selbstverständlichen gesellschaftlichen und kirchlichen Miteinander hüllt uns nicht mehr ein. Nackt ist der Glaube dem kalten Wehen des Zeitgeistes ausgesetzt. Viele Christinnen und Christen werden es so empfinden. Im Ressentiment und der stillen Wut gegen den Zeitgeist und seine Repräsentanten können sie immer weniger Befriedigung finden. Als religiöser Wutbürger steht man schnell an der Seite der Ewiggestrigen.

Die Anfänge des Verstehens 

Man kann es auch anders sehen und erleben. Der selbstverständliche Glaube ist passé. Wir müssen neu verstehen lernen, was mir der Glaube bedeutet und warum ich zu glauben versuche. Wir sind – so hat es Dietrich Bonhoeffer in einem seiner Gefängnisbriefe geschrieben – auf die Anfänge des Verstehens zurückgeworfen. Wir sind darauf zurückgeworfen, selbst zu glauben, nackt zu glauben. Sören Kierkegaard hat das schon Mitte des 19. Jahrhunderts als bedrängend und beglückend so wahrgenommen.

Karfreitag und Ostern jenseits der Osterhasen und farbigen Ostereier zu begehen und zu feiern – als Tage eines erschütterten, gesuchten, verlorenen und gefundenen Gottvertrauens: Die Erschütterung, die Suche, das Verlieren und das Finden haben Platz. Sie kommen vor, werden betrachtet, erlitten, und wenn es gut geht, kommen wir nicht beim Verlieren an, sondern beim Finden. Wenn es gut geht, finden wir den Halt, an dem wir uns in den Orgien des Zynismus festhalten und nicht kapitulieren müssen vor der Rücksichtslosigkeit der Welten- und Lebensbeherrscher.

Anspruchsvoll und unbescheiden

Dass es eine "letzte Instanz" gibt, eine Revisionsinstanz, die nicht gelten lässt, was sich hier durchsetzt; dass es eine Gegenwirklichkeit gibt, der wir angehören und die wir leben dürfen, hilflos Liebe genannt; dass diese Gegenwirklichkeit zuletzt und im Entscheidenden gilt, weil es Gottes Wirklichkeit ist; dass sie zuletzt wirklich sein wird, so sehr sie unter die Räder gerät und zerfetzt wird; dass in ihr Gott selbst unter die Räder gerät und zerfetzt wird und rettet: Weniger und bescheidener glauben Christinnen und Christen nicht. So anspruchsvoll und unbescheiden: Ich bin nicht verloren, wohin ich auch gerate und was auch über mich kommen wird, weil Gott mich nicht verloren gibt.

Wenn es ganz gut geht, kann ich es glauben und mich etwas weniger um mich selbst sorgen, weil für mich gesorgt ist. Ich muss mich nicht retten. Dieses Quäntchen Selbstvergessenheit käme vielleicht heraus, käme dem einen und der anderen zugute. Und mir selbst auch: wenn ich es lerne, über mich selbst hinauszuleben; im Gottvertrauen darauf, dass ich mich in ihn hinein verlieren darf und verlieren werde. Er wird mich an sich nehmen, wenn ich mich hergebe und zuletzt restlos hergeben muss. Er wird mich an sich nehmen, wie er seinen Messias an sich genommen hat.

Keine Kapitulation

Ach ja, schön wär’s, wenn man das glauben könnte. Manchen Zeitgenossen kommt es so vor: zu schön, um wahr zu sein. Warum darf das Schöne nicht wahr sein, wahr werden? Warum sollten wir vor dem Üblen kapitulieren und bloß noch darauf schauen, wie wir trotzdem auf unsere Kosten kommen?

Zu Ostern möchte ich feiern, dass mich keine Macht dieser Welt zur Kapitulation gezwungen hat, zur hoffnungslosen Kapitulation vor dem Lauf der Dinge oder auch zur fröhlichen Kapitulation der Selbstzufriedenen; dass ich nicht einverstanden bin mit den Siegern und ihren Profiten; dass ich den Glauben an die Revisionsinstanz nicht ganz verloren habe, die es mit dieser Welt aufgenommen hat und aufnehmen wird.

Glauben immer wieder schenken

Diesen Glauben zu feiern heißt nicht, ihn "zu haben". Er muss immer wieder geschenkt werden. Ihn zu feiern heißt, ihn zu schätzen, mitzugehen, wenn er mich erwischt und mitnehmen will. Noch haben die Kirchen Praktiken und Liturgien der Ermutigung zum Glauben und die Räume dafür. Ob sie in einem solchen Ermutigen ihre ureigene Aufgabe sehen? Und ob sie überhaupt den Mut und die Autorität dazu finden?

Zum Autor: 

Jürgen Werbick ist ein römisch-katholischer Theologe. Bis zu seiner Emeritierung im Sommer 2011 hatte er an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster den Lehrstuhl für Fundamentaltheologie inne. Davor war Professur für Systematische Theologie an der Universität-Gesamthochschule Siegen. Er studierte katholische Theologie in Mainz, München und Zürich und promovierte 1973 bei Heinrich Fries.

Säkularisierung

In früheren Jahrhunderten war die Weltanschauung der Menschen stark an die Religion und die Kirche gebunden. Deren Gebote und Verbote schrieben vor, wie die Menschen zu leben hatten. Erst als die geistige Bewegung der Aufklärung Ende des 17. Jahrhunderts in Europa entstand, setzte eine "Verweltlichung", eine Abwendung von Religion und Kirche ein. Das aus dem Lateinischen kommende Wort "Säkularisierung" beschreibt diesen Prozess.

Atheismus / © Wolphgang (shutterstock)
Quelle:
DR

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