Theologe untersucht Pfarrerbild in der Literatur

Zwischen Held und Versager

Ob "Dornenvögel" oder Großinquisitor: Pfarrer sind beliebte Figuren in Romanen und Erzählungen. Der hannoversche Pastor Gerhard Isermann hat rund 200 Bücher ausgewertet, in denen Dichter das Leben der Geistlichen in allen Facetten schildern.

Autor/in:
Michael Grau
 (DR)

Sie kämpfen voller Gottvertrauen für Gerechtigkeit. Sie setzen sich für die Schwachen ein und scheitern doch manchmal an ihren eigenen Ansprüchen. Pfarrer sind in Büchern oft als Romangestalten anzutreffen. Ihre Rolle ist dabei häufig zwiegespalten, sagt der evangelische Pastor und frühere Verbandsdirektor Gerhard Isermann: "Versagen und Bewähren sind oft vereint, ob in den Büchern oder in der Wirklichkeit." Unter dem Titel "Helden, Zweifler, Versager" hat der Theologe in Hannover ein Buch über das Pfarrerbild in der Literatur vorgestellt.



Für seine Studie hat Isermann insgesamt rund 200 Pfarrerbücher aus den Jahren 1742 bis 2011 gelesen. 101 davon stellt er in seinem Buch näher vor. Darunter sind bekannte Stoffe wie der für das Fernsehen verfilmte Roman "Die Dornenvögel" von Coleen McCullough oder Stefan Heyms "Ahasver". Geschildert werden auch drei Pastorinnen.



"Pfarrer haben von Amts wegen eine gewisse Ehrerbietung"

Die Geschichten sind dabei so bunt wie das pralle Leben: Pfarrer - ob evangelisch oder katholisch - haben Probleme mit Alkohol oder Sexualität, kämpfen gegen mächtige Obrigkeiten oder strenge Hüter der Tradition und verlieren mitunter ihren Gottesglauben.



"Pfarrer haben von Amts wegen eine gewisse Ehrerbietung, die ihnen von der Gemeinde entgegengebracht wird", sagt Isermann, der selbst als Gemeinde-, Schul- und Jugendpastor gearbeitet hat. "Wenn so einer etwas falsch macht, dummes Zeug redet, sich unsittlich verhält oder Geld klaut, ist das natürlich spektakulärer als bei normalen Zeitgenossen." Deshalb seien Pastoren bei Dichtern beliebte Figuren.



Schriftsteller wie Theodor Fontane, Theodor Storm, Gerhart Hauptmann, Adalbert Stifter oder Uwe Johnson haben Pfarrerfiguren in ihren Werken ebenso aufgegriffen wie der Heidedichter Hermann Löns. Auch dem Norweger Henrik Ibsen, dem Russen Fjodor Dostojewski, dem Franzosen Albert Camus, dem Briten George Bernhard Shaw und dem US-Amerikaner Herman Melville waren sie eine Story wert.



Zeitweise "Wort zum Sonntag"-Sprecher

Positive und negative Darstellungen halten sich dabei die Waage, so der Pastor. Gerade sensible Themen wie Glaubenszweifel oder Predigten ohne Wirkung würden von den Autoren gut behandelt. Das Pfarrerbild könne auch changieren: "Der eine ist jetzt Held und in der nächsten Woche Zweifler." Doch nicht mit allen Schilderungen ist Isermann einverstanden: "Es gibt eine ganze Reihe Pfarrer - wenn es die wirklich gäbe und ich ihnen begegnete, dann würde ich Streit anfangen." Zum Beispiel, wenn Pastoren in den Büchern den Krieg verherrlichen.



Manche Pfarrer-Darstellungen hält der Theologe sogar für indiskutabel. Es handele sich um klischeehafte Figuren wie aus dem Kasperletheater - gerade bei den Großen der Literatur wie Dürrenmatt, Goethe, Schiller, Rilke oder Thomas Mann. Figuren wie "Pater Brown" oder "Don Camillo" sind für Isermann eher komödiantische Gestalten, daher hat er sie gar nicht erst in seine Studie mit einbezogen. Für den Theologen ist es allerdings in Ordnung, wenn über Pastoren auch gelacht wird.



Isermann (80) sprach zeitweise das "Wort zum Sonntag" in der ARD. Von 1979 bis 1996 leitete er den Verband Evangelischer Publizistik Niedersachsen-Bremen und das Lutherische Verlagshaus in Hannover, in dem das Buch erschienen ist.