Theologe spricht über die zurückgehende Biodiversität

"Wir betrachten Tiere nur als Mittel"

Der Mensch greift massiv in die Schöpfung ein, hölzt Wälder ab, fischt die Meere leer. Dass viele Tierarten aussterben, fällt zunächst kaum auf. Das Problem sei, dass der Mensche sich in den Mittelpunkt stelle, sagt Theologe Taxacher.

Menschen pflanzen junge Bäume / © A3pfamily (shutterstock)
Menschen pflanzen junge Bäume / © A3pfamily ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Irgendwann wird sich das Verhalten der Menschen rächen, denn die Biodiversität geht immer weiter zurück, so Experten. An diesem Mittwoch startet in Montreal die 15. UN Welt-Natur-Biodiversitätskonferenz. Gregor Taxacher vom Institut für Katholische Theologie an der Uni Dortmund beschäftigt sich mit dem Verhältnis von Menschen und Tieren in der Bibel. Herr Taxacher, in der Schöpfungserzählung steht, die Menschen sollen über die Tiere herrschen. Ein guter Herrscher passt ja aber auch auf diejenigen auf, die ihm anvertraut sind. Machen wir einen guten Job im Moment?

Gregor Taxacher (Theologe an der Universität Dortmund): Es hat ein Theologe mal gesagt, dieses Gebot in der Genesis sei ungefähr das einzige Gebot Gottes in der Bibel, das die Menschen tatsächlich zu 100 Prozent umgesetzt haben. Also in dem Sinne, dass sie sich diesen Herrschaftsauftrag offensichtlich sehr ernst herangezogen haben. Aber natürlich im Sinne Ihrer Einleitung sie machen den Job, wenn man denn unter diesem Herrschen ein Sorgen versteht, was heute in der Auslegung dieser Stelle meistens in den Vordergrund gestellt wird, natürlich nicht gut.

DOMRADIO.DE: Es gibt deswegen immer wieder Appelle von Wissenschaftlern, die Biodiversität zu erhalten, mehr Naturschutzgebiete auszuweisen, zum Beispiel mehr Bäume zu pflanzen. Aber vieles wird einfach nicht umgesetzt. Warum gehen wir Menschen so achtlos mit der Umwelt bzw. theologisch mit der Schöpfung um?

Gregor Taxacher

"Es wird nicht durchgesetzt, weil es gegen dieses Prinzip des immer mehr und immer schneller und immer weiter verstößt."

Taxacher: Ich glaube, es gibt zwei Hauptgründe. Das eine ist unsere Art zu wirtschaften. Die hat sich seit über 200 Jahren auf dieses kapitalistische Wachstums-Paradigma gesetzt, und das ist ganz schwer umzudrehen. Das hat die stärkste Lobby. Und überall, wo wir irgendwie versuchen, mal etwas zu begrenzen, verstoßen wir im Grunde gegen dieses Prinzip, also gegen dieses Prinzip, dass es immer um mehr geht, dass es um Wachstum geht, dass dadurch Profit entsteht, dass dadurch Wohlstand entsteht.

Immer, wenn es um das Begrenzen geht, schon bei eher kleinen Dingen, die im Grunde lächerlich sind, wie in Deutschland das Tempolimit, daran können Sie feststellen, warum das ein so wahnsinniges Politikum ist. Es heißt, die Mehrheit ist irgendwie dafür. Es wird nicht durchgesetzt, weil es gegen dieses Prinzip des immer mehr und immer schneller und immer weiter verstößt. Das ist der erste Grund.

Der zweite Grund ist aus meiner Sicht, jetzt vor allen Dingen aus einer Sicht der Theologie der Tiere, dass wir dieses Problem immer noch vollkommen anthropozentrisch angehen.

Das heißt, wir stellen die Menschen in den Mittelpunkt, auch wenn wir Biodiversität sagen oder auch wenn wir Artenschutz sagen, meinen wir eigentlich den Schutz unserer Art. Wir meinen eigentlich, dass wir aufpassen müssen, dass nicht so viele Tierarten aussterben, dass es uns nachher juckt, dass wir ein Problem kriegen, weil das ökologische System dann auch für den Menschen zu stark geschädigt ist. Wir meinen eigentlich bei diesen ganzen Schutz-Aktion nicht wirklich die Tiere, nicht die anderen Geschöpfe. Ich glaube, solange wir da nicht vollkommen umdenken und ich würde auch sagen umfühlen, so lange ist das sehr schwierig umzusetzen.

DOMRADIO.DE: Auch die Kirchen machen ja viel für die Umwelt unter dem Stichwort "Schöpfungsbewahrung". Machen die Kirchen denn genug, um einen sinnvollen Beitrag zu leisten?

Taxacher: So völlig global zu beurteilen, ob da jetzt genug passiert, das will ich mir nicht anmaßen. Ich habe den Eindruck, dass sie immer noch in vielem zu wenig aus dem eigenen Ressourcen denken.

Man macht dann in den Kirchen das, was alle anderen im Grunde genommen auch machen können. Also man ruft zu ökologisch sinnvollem Verhalten auf. Man versucht vielleicht, wenn man gut ist, Solaranlagen auf die kirchlichen Dächer zu bringen oder ähnliches.

Aber unser eigener Anspruch, sozusagen aus den eigenen Ressourcen des Glaubens, der Theologie heraus, das Beziehungsgeflecht in der Schöpfung neu zu denken und dann auch neu zu praktizieren, das ist, glaube ich, etwas, was noch zu wenig geschieht. Das können Sie zum Beispiel daran feststellen: Was hat es jetzt für einen Aufstand gegeben, dass die EKD, also die Synode der Evangelischen Kirche, mal etwas zum Fleischverzicht gesagt hat. Das sind so Dinge, da gibt es einen riesigen Aufstand, wenn man sagt, damit habt ihr eigentlich nichts zu tun. Und ich denke, genau damit hätten wir was zu tun.

DOMRADIO.DE: Wenn wir jetzt lesen, dieses oder jenes Insekt ist ausgestorben oder diese Tierart, dann ist das einfach oft so. Wenn jetzt das eigene Haustier stirbt ist, ist die Trauer groß, obwohl im Ganzen betrachtet das Aussterben einer bestimmten Tierart ja viel schlimmer ist als der Tod des Haustiers. Warum gibt es dieses krasse Ungleichgewicht?

Gregor Taxacher

"Das hat damit zu tun, dass wir eben Tiere nicht um ihrer selbst Willen beurteilen."

Taxacher: Zum einen würde ich sogar, obwohl das vielleicht jetzt provokant und merkwürdig wirkt, ein wenig widersprechen, ob das wirklich schlimmer ist. Damit meine ich Folgendes: Natürlich ist es so, dass wir Haustiere verhätscheln und andere Tiere essen, erschlagen oder ausrotten. Das ist natürlich ein riesiges Ungleichgewicht.

Das hat damit zu tun, dass wir eben Tiere nicht um ihrer selbst Willen beurteilen. Also wir gestehen Tieren nicht zu, dass sie aus ihrem Lebenswillen heraus sozusagen ein eigenes Recht am Leben haben, dass sie, wie der große Philosoph Kant über die Menschen natürlich nur gesagt hat, dass wir immer nicht Mittel sind, sondern Zwecke. Wir betrachten Tiere nur als Mittel. Das tun wir auch bei den Haustieren. Wir behandeln die zwar gut, aber sie sind ja trotzdem für uns Mittel dazu, uns besser zu fühlen, nicht einsam zu sein, einen schönen Tag zu haben. Wenn sie uns zu viel werden, dann setzen wir sie unter Umständen auch an der Autobahn aus.

Das heißt, das Prinzip ist im Grunde dasselbe, ob bei Haustieren oder bei Schlachtvieh. Das Prinzip ist immer, dass die Tiere den Wert haben, den sie für uns haben und nicht, den sie für sich selber haben.

In diesem Sinne glaube ich auch, dass Artenschutz auf Dauer nie funktionieren wird, wenn wir Tiere nicht selber in ihrem Wert für sich selbst, für ihr Leben sehen. Denn im Grunde genommen sterben ja keine Arten. Eine Art ist eine biologische Einteilung, die wir machen. Es sterben immer Individuen, es sterben immer Tiere.

Wir sollten das Sterben der Tiere in den Blick nehmen und das sollte uns bestürzen und nicht sozusagen, dass da auf der Landkarte der Biologie wieder eine Art verschwunden ist, das ist im Grunde zu abstrakt.

Das Interview führte Hannah Krewer.

Quelle:
DR