Die Synode, die im Juni 325 in Nikaia (heute: İznik, Türkei) zusammenkam, war gewiss eine beeindruckende Veranstaltung. Uns sind zwar keine Protokolle oder vergleichbare Aufzeichnungen erhalten - solche hat es nach allem, was wir wissen, nie gegeben -, wohl aber die facettenreiche Schilderung des Eusebius, Bischof von Caesarea Maritima und einer der bedeutendsten christlichen Schriftsteller des vierten Jahrhunderts. Eusebius hatte an der Synode selbst teilgenommen und hebt neben der Teilnehmerzahl, die alles bisher Dagewesene bei Weitem überstieg, die vielfältigen sprachlichen und ethnischen Hintergründe der Angereisten hervor.
Überstrahlt wird die Synode, folgt man Eusebius, vom Glanz des Kaisers. Allerdings finden sich seine Beschreibungen vom Ablauf der Kirchenversammlung im "Konstantinsleben", einer Biografie, die den Standards antiken Herrscherlobs verpflichtet ist. Eusebius und Konstantin hatten sich ab 325 mehr und mehr einander angenähert und freundschaftliche Bande geknüpft. In Eusebs Darstellung ist es Konstantin, der die Synode einberuft. Die Behauptung hat nicht nur die spätantiken Kirchenhistoriker, die teils sehr ausgeschmückte Schilderungen des Synodalgeschehens bieten, geprägt, sondern wirkt auch in der modernen Geschichtsschreibung nach.
Zweifel an Überlieferungen zu Synode
Brüchig geworden ist diese Darstellung durch ein um 1900 wiederentdecktes Schreiben Konstantins, das übersetzt in westsyrischen Kirchenrechtssammlungen und - davon möglicherweise abhängig - in der arabischen Weltgeschichte des Bischofs Agapius von Mabbug (heute: Manbidsch, Syrien) enthalten ist. Konstantin beruft in diesem Schreiben nicht einfach eine Synode nach Nikaia ein, sondern verlegt eine Synode dorthin, die zunächst für das weiter landeinwärts gelegene Ankyra (heute: Ankara, Türkei) geplant war. Der Kaiser begründet dies zunächst mit der einfacheren Anreise westlicher Teilnehmer "aus Italien und den übrigen Gegenden Europas" sowie dem besseren Klima und fügt hinzu, so selbst anwesend sein zu können.
Von den ursprünglichen Planungen für eine Synode in Ankyra berichtet Euseb uns allerdings nichts. Von dem her sollte man vorsichtig sein, die beiden Nachrichten zu harmonisieren und zu folgern, Konstantin habe zunächst nach Ankyra eingeladen und anschließend die Synode nach Nikaia verlegt. Genauso erlaubt der Quellenbefund nämlich die These, Konstantin habe eine ohne ihn geplante Synode sich zu eigen gemacht, mithin "gekapert" und nach Nikaia verlegt, um die Bischofsversammlung unter kaiserlicher Beteiligung als ,Reichssynode' abzuhalten.
Zeitgenössische theologische Debatten
Dass sich der Kaiser zu einem solchen Schritt veranlasst gesehen haben könnte, erschließt sich aus der Vorgeschichte der nizänischen Synode: Auch Euseb verknüpft sie mit den theologischen Kontroversen, die ab etwa 320 ausgehend von der ägyptischen Metropole Alexandria den Osten des Römischen Reichs erfasst hatten.
Der Presbyter Arius und sein Ortsbischof Alexander waren über die Frage uneins geworden, in welchem Verhältnis Jesus Christus zu seinem göttlichen Vater stehe. Dabei war für beide die Präexistenz Christi vor der Schöpfung unbestritten, gegenläufig waren jedoch die Positionen, inwieweit Christus an der Göttlichkeit des Vaters Anteil habe.
Beide hatten im Zuge der sich verschärfenden Kontroverse Netzwerke inner- und außerhalb Ägyptens mobilisieren können. Zum Netzwerk Alexanders wird man wohl auch den Ortsbischof von Ankyra, Markellos, rechnen dürfen, der in den Jahren nach Nicäa als entschiedener theologischer Gegner des Unterstützerkreises des Arius in Erscheinung treten wird. Eine in Ankyra geplante Synode könnte also statt auf den Kaiser auch auf Alexander und Markellos zurückgehen - mit dem Ziel, der Unterstützung des Arius durch Bischöfe im Gebiet der heutigen Türkei entschieden entgegenzutreten.
Streit und Exkommunikation
Dies wird nochmals plausibler, wenn man einen weiteren Text heranzieht, der sich ebenfalls nur syrisch erhalten hat und aufgrund später Entdeckung erst seit 1905 in der Geschichtsschreibung zu Nicäa eine Rolle spielt. Für die Echtheit des Textes, die seit der Entdeckung angefochten ist, sprechen gute Gründe. Setzt man sie voraus, hatte eine Synode, die am ehesten im Herbst oder Winter 324/325 in der Metropole Antiochia (heute: Antakya, Türkei) zusammengetreten war, sich ebenfalls auf die Seite Alexanders geschlagen und war so weit gegangen, drei prominente syro-palästinensische Bischöfe aus dem Unterstützernetzwerk des Arius vorläufig aus der kirchlichen Gemeinschaft auszuschließen - darunter auch der eingangs zitierte Eusebius von Caesarea.
In ihrem abschließenden Schreiben räumt die Synode den Exkommunizierten "aus Menschenliebe" allerdings eine Möglichkeit zur "Umkehr" auf der geplanten Synode in Ankyra ein. Gegen eine Beteiligung Konstantins an diesen Synodenplänen spricht nicht zuletzt, dass der antiochenische Kurs kaum zum Vorgehen des Kaiser passt: Die einzige vornizänische Intervention Konstantins in den "arianischen Streit", die uns erhalten ist, ruft Alexander und Arius dazu auf, den aus Sicht des Kaisers über theologische Detailfragen geführten Disput friedlich beizulegen.
Die antiochenischen Exkommunikationen sind - ungeachtet der eingeräumten Möglichkeit für die Verurteilten, ihre Positionen zu überdenken - damit kaum vereinbar. Eusebs Darstellung, der Kaiser habe aus eigenem Entschluss eine Synode einberufen, ist also möglicherweise gefärbt - und verschleierte in diesem Fall zudem, dass Euseb in Nikaia als Verurteilter erschien, der sich und seinen Glauben zu rechtfertigen hatte.
Kritische Beurteilung der entstandenen Texte
Methodisch hilft hier der Blick in die Dokumente selbst, soweit sie sich erhalten haben, durch Euseb und die nachfolgende Kirchengeschichtsschreibung etablierte Narrative zu hinterfragen. Dies gilt auch für die Darstellung eines der Nachfolger Eusebs auf dem Bischofsstuhl von Caesarea Maritima, Gelasius, der mit seiner "Kirchengeschichte" an diejenige Eusebs anknüpft, die 324 endet.
Gelasius, dessen Werk aus Zitaten und Paraphrasen bei späteren Autoren vor einigen Jahren zuverlässig rekonstruiert worden ist, nimmt eine Publikation der Synodalbeschlüsse und Versendung an die Oikumene, das heißt: die gesamte damalige Christenheit, an: "Die heiligen Väter und der frommste Kaiser selbst veranlassten durch einmütigen Beschluss, dass dieses Synodalschreiben" - gemeint ist ein zuvor zitiertes Schreiben der Synode an die Bischöfe Ägyptens - "und des Kaisers Edikt gegen Arius ebenso wie sein Brief an die Alexandriner an die gesamte Oikumene gesandt würden, zusammen mit dem heiligen, orthodoxen Glaubensbekenntnis, das von den heiligen Vätern aufgestellt worden war, zur genauen Kenntnis aller Völker und des gesamten Klerus."
Glaubensbekenntnis nicht im Fokus der Synode
Das scheint gerade für das Bekenntnis, dessen dogmatischer Gehalt heute für alle christlichen Konfessionen grundlegend ist, einleuchtend, trifft aber kaum den historischen Sachverhalt: Zunächst fällt auf, dass Gelasius nur Texte nennt, die (auch) mit dem Streit zwischen Arius und Alexander zu tun haben, nicht jedoch solche zu den weiteren Themen der Synode, die sich ebenso mit der Festlegung eines gemeinsamen Ostertermins und kirchenrechtlichen Fragen beschäftigte. Außerdem ist in den erhaltenen Schreiben, die von der Synode oder dem Kaiser im zeitlichen Umfeld der Synode ausgehen, vom Bekenntnis gar nicht die Rede.
Was allenfalls - und in relativ freier Paraphrase - erwähnt wird, sind die dem Bekenntnis angehängten Lehrverurteilungen. Entscheidend für die Kommunikation nach außen war also allem Anschein nach nicht der gemeinsame Glaube, sondern es waren die 'roten Linien', die nicht überschritten werden durften.
Tatsächlich dürfte das in Nikaia formulierte Bekenntnis, das bis heute in umgearbeiteter Form als ,Großes Glaubensbekenntnis' in den christlichen Konfessionen weltweit gebetet wird, zunächst nur dem Zweck gedient haben, den gemeinsamen Glauben innerhalb der Synode zum Ausdruck zu bringen und die Zustimmung zur Ansicht des Arius, der Sohn habe an der Göttlichkeit des Vaters nicht wesentlich Anteil, zu verunmöglichen. Dementsprechend wird es mit wenigen Ausnahmen in den beiden folgenden Jahrzehnten auch nicht zitiert.
Überlieferung des Glaubensbekenntnis erhält nachträglich Bedeutung
Als Grundlage des kirchlichen Glaubens und der innerkirchlichen Verständigung entdecken es der Nachfolger Alexanders auf dem alexandrinischen Bischofsstuhl, Athanasius, und andere Bischöfe und Theologen ab den 350er Jahren wieder. Mit dem fünften Jahrhundert gilt es sodann als Eckstein der Rechtgläubigkeit, der die Grundlage jeder weiteren theologischen Diskussion bildet.
Die nizänische Synode verlief also wohl etwas anders, als man sich das bereits in den Jahrzehnten danach vorstellte. Es zeigt sich: Liebgewonnene Narrative können den historischen Befund leicht überblenden, gerade was kirchliche Großereignisse angeht. Zugleich lassen sich solche Ereignisse in der historischen Würdigung nicht einfach nur dekonstruierend von der späteren narrativen Rahmung isolieren: So wichtig die wissenschaftliche Unterscheidung von tatsächlich Geschehenem und späterer Überblendung ist, so wird eine kirchenhistorische Begebenheit gerade dadurch zum Groß- und Jubiläumsereignis, dass ihm nachfolgende Generationen entsprechende Bedeutung beigemessen haben. Sie konnten das tun, weil das historische Ereignis selbst genügend Ansatzpunkte bot, ohne seine spätere Ausdeutung schon vollumfänglich vorgegeben zu haben.