Theologe Kuschel sieht Interpretationsspielraum bei Muezzin

Schöpfungstheologie oder Propaganda?

In der Debatte um den Kölner Muezzinruf geht es nach Ansicht des Theologen Karl-Josef Kuschel vor allem um Interpretationsfragen. Je nachdem, wie man ihn verstehe, sei er gerechtfertigt oder auch nicht.

Erster Muezzinruf in Köln / © Rolf Vennenbernd (dpa)
Erster Muezzinruf in Köln / © Rolf Vennenbernd ( dpa )

Wenn damit eine politische Parole verbunden sei, "dann hat das in einer pluralistischen Gesellschaft wie der unseren nichts zu suchen; dann ist das politische Propaganda", sagte der emeritierte Professor am Mittwoch in Köln. Der Muezzinruf könne aber auch "schöpfungstheologisch" gedeutet werden; als Zeichen dafür, dass alle Menschen Geschöpfe Gottes und gleich sind.

Karl-Josef Kuschel im Juli 2019 / © Henning Klingen/Kathpress (KNA)
Karl-Josef Kuschel im Juli 2019 / © Henning Klingen/Kathpress ( KNA )

Viele Religionen sehen sich als einzig wahre

Nach Kuschels Auffassung darf die Vorstellung, dass die eigene Religion die einzig wahre ist, nicht als islamische Erfindung verstanden werden. Diesen Anspruch habe über Jahrhunderte vor allem das Christentum vertreten. Besonders das Judentum habe darunter leiden müssen. Kuschel lehrte von 1995 bis 2013 Theologie der Kultur und des interreligiösen Dialogs an der Universität Tübingen. Von 1995 bis 2009 war er außerdem Vizepräsident der Stiftung Weltethos.

Kritisch zum Muezzinruf äußerte sich die frühere Vorsitzende des Jüdischen Forums für Demokratie und gegen Antisemitismus, Lala Süßkind. Unter dem Gesichtspunkt von Toleranz habe sie beim Muezzinruf in Deutschland Bedenken, "solange die Kirchenglocken nicht in arabischen Ländern läuten dürfen". Kuschel und Süßkind äußerten sich bei der Verleihung der Toleranzringe der Europäischen Akademie der Wissenschaften und Künste.

Muezzin in Köln seit Oktober erlaubt

Vor rund einem Jahr hatte die Stadt Köln ein Pilotprojekt gestartet, wonach der Muezzinruf in islamischen Gemeinden unter Auflagen ertönen darf. Die Kommune begründet den Schritt mit der Religionsfreiheit.

An der Ditib-Zentralmoschee ist die maximal fünfminütige Gebetsaufforderung seit Mitte Oktober immer freitags von 12.00 bis 15.00 Uhr zu hören - je nach Jahreszeit und Sonnenstand. Außerhalb des Moscheegeländes darf der Ruf den Auflagen gemäß nicht die Lautstärke eines Gesprächs (60 Dezibel) überschreiten.

Muezzinruf

In der islamischen Welt zeigt der Ruf des Muezzins die Zeit zum Gebet an. Dabei steht der Rufer traditionell auf einem Minarett, also einem hohen Turm an einer Moschee. Der Koran schreibt fünf tägliche Gebete vor, die im Morgengrauen, am Mittag, Nachmittag, Abend und nach Einbruch der Nacht in Richtung Mekka verrichtet werden. Das islamische Ritualgebet (arabisch: salat) ist nach dem Glaubensbekenntnis die wichtigste "Säule des Islam".

Halbmond auf der Spitze eines Minarettes der Kölner Zentralmoschee der Ditib / © Oliver Berg (dpa)
Halbmond auf der Spitze eines Minarettes der Kölner Zentralmoschee der Ditib / © Oliver Berg ( dpa )
Quelle:
KNA