Theologe kritisiert barbarische "Kriegstheologie"

"Predigten im Dienst der Kriegspropaganda"

Die Predigten des russisch-orthodoxen Patriarchen Kyrill I. ähneln dem Theologen Friedrich Erich Dobberahn zufolge der Kriegstheologie in Deutschland in den beiden Weltkriegen. Theologie sei kein religiöses Waffenfieber, sagte er.

Autor/in:
Holger Spierig
Patriarch Kyrill mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin / © Sergei Chirikov (dpa)
Patriarch Kyrill mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin / © Sergei Chirikov ( dpa )

Ziel einer solchen "Kriegstheologie" sei es, das Barbarische und Unethische des Krieges als Gottes Wille zu rechtfertigen, sagte der Autor des Buches "Deutsche Theologie im Dienste der Kriegspropaganda" dem Evangelischen Pressedienst (epd).

Den Soldaten werde gesagt, dass sie - auch mit allen ihren im Krieg begangenen Grausamkeiten - Teil der universalen Heilsgeschichte seien.

"Theologische Ursünde"

Der russisch-orthodoxe Patriarch hatte am 6. März in seiner Predigt in Moskau erklärt, mit dem Angriff auf die Ukraine sei Russland in einen Kampf eingetreten, der keine physische, sondern metaphysische Bedeutung habe. Damit habe der Patriarch eine Kreuzzugsformel von 1099 aufgegriffen, erläuterte der rheinische Theologe, der unter anderem Leiter des Missionsseminars des Evangelisch-Lutherischen Missionswerkes in Niedersachsen in Hermannsburg war.

Kyrill I., Patriarch von Moskau und ganz Russland / © Robert Duncan (KNA)
Kyrill I., Patriarch von Moskau und ganz Russland / © Robert Duncan ( KNA )

Die Behauptung, dass Gott als Verbündeter exklusiv auf der Seite eines einzigen Volkes stehe, kritisierte Dobberahn als "theologische Ursünde".

"Heilige Spezialoperation"

Der patriotisch-verfälschten Theologie zufolge vollstreckten Soldaten ein "gerechtes Gericht" an den Feinden Gottes, erklärte der zweifach promovierte Theologe. Russische Soldaten würden demnach auf Befehl Putins in der Ukraine gegen das angebliche Teufelswerk der Homosexualität, des Völkermords an den Russen und des Neo-Nazismus ihre "heilige Spezialoperation" durchführen, sagte der Theologe, dessen Buch angesichts des Ukraine-Kriegs gerade in einer ergänzten und aktualisierten Auflage erschienen ist.

Der Patriarch, der früher ein Mitarbeiter des KGB gewesen sein soll, habe Putin schon 2012 im Syrien-Krieg als "Gesandten Gottes" ausgerufen.

Deutsche Kriegstheologie

Auch in Deutschland seien während der beiden Weltkriege Bibeltexte, die gegen den Krieg und für den Frieden sprachen, "systematisch zerstückelt und umgedeutet" worden, erklärte Dobberahn. So seien Gesangbuchlieder "massiv kriegerisch umgedichtet", die Liturgie mit ihren gottesdienstlichen Formeln und Gebeten zu "Kriegsagenden" umgearbeitet worden.

Die deutsche Kriegstheologie sei Ausdruck eines "aggressiven darwinistisch-metaphysischen Vortrefflichkeitswahns" gewesen, "der 1945 nicht zufällig im ethischen Nullpunkt der Gaskammern endete".

Die Kirche dürfe sich von ihren Glaubenskriterien her nicht verpflichten lassen, sich denen anzuschließen, die der Krieg für ein politisches Mittel hielten, um nationale Sicherheit oder machtpolitische Ziele zu erreichen, mahnte Dobberahn mit Blick auf den Ukraine-Krieg. "Pflicht aller Theologie ist nicht religiöses Waffenfieber, sondern der Ruf zur Buße", betonte der Theologe.

Hintergrund: Patriarch Kyrill I. rechtfertigt Krieg gegen die Ukraine

Der russisch-orthodoxe Patriarch Kyrill I. hat den Angriffskrieg gegen die Ukraine mehrfach verteidigt. Er rechtfertigte ihn etwa als "metaphysischen Kampf" im Namen "des Rechts, sich auf der Seite des Lichts zu positionieren, auf Seiten der Wahrheit Gottes, auf Seiten dessen, was uns das Licht Christi, sein Wort, sein Evangelium offenbaren".

Der russisch-orthodoxe Patriarch Kyrill I. / © Natalia Gileva (KNA)
Der russisch-orthodoxe Patriarch Kyrill I. / © Natalia Gileva ( KNA )
Quelle:
epd