Theologe Hammes erklärt das Pfingstgeschehen

"Der Heilige Geist lässt sich nicht von uns festnageln"

Zungen wie von Feuer, ein Brausen vom Himmel, die Gabe, in allen Sprachen reden zu können – das Pfingstevangelium bleibt für viele abstrakt. Dabei thematisiert es doch ein grundlegendes Beziehungsgeschehen zwischen Gott und Mensch.

Autor/in:
Beatrice Tomasetti
Ein Kirchenfenster zeigt die Herabsendung des Heiligen Geistes / © piosi (shutterstock)
Ein Kirchenfenster zeigt die Herabsendung des Heiligen Geistes / © piosi ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Für viele bedeutet Pfingsten inzwischen vor allem ein zusätzliches Ferienwochenende. Manche Kirche bleibt dann ziemlich leer. Und selbst Christen können kaum noch erklären, was es mit diesem Fest auf sich hat. Allgemeine Ratlosigkeit, wenn man danach fragt. Was genau geschieht an Pfingsten?

Dr. Axel Hammes liegt am Herzen, dass alle Charismen in einer Gemeinde fruchtbar werden. / © Beatrice Tomasetti (DR)
Dr. Axel Hammes liegt am Herzen, dass alle Charismen in einer Gemeinde fruchtbar werden. / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Pfarrer Dr. Axel Hammes (Subsidiar in Bensberg/Moitzfeld und Geistlicher Berater der Thomas-Morus-Akademie): Blutwerte geben entscheidende Auskünfte über die Gesundheit eines Menschen. Zu den Blutwerten für den Zustand der Kirche zählt, wie hoch Pfingsten auf der Feste-Skala steht. Der 50. Tag nach Ostern – nichts anderes bedeutet das Wort Pfingsten aus dem griechischen "Pentecoste" übersetzt – sollte zu den "Big Five" gehören. Nicht allein auf dem Papier, sondern in der gelebten christlichen Kultur. Die Kirche erinnert sich an das Herabkommen des Heiligen Geistes auf die ersten Jünger. Feuerzungen und Sturmesbrausen sind Symbole dafür. Pfingsten ist vom Osterereignis nicht zu trennen. Das neue Leben kommt mit der Auferstehung Jesu in die Welt. 

Heiliger Geist: Ein Glasfenster mit der Darstellung des Heiligen Geistes als Taube am im Petersdom / © Stefano Dal Pozzolo/Romano Siciliani (KNA)
Heiliger Geist: Ein Glasfenster mit der Darstellung des Heiligen Geistes als Taube am im Petersdom / © Stefano Dal Pozzolo/Romano Siciliani ( KNA )

Es äußert sich in den Gaben des Heiligen Geistes, die von Christus ausgehen. Jetzt schwappt dieses neue Leben vollständig auf seine Jünger über: Sie nehmen die Kraft dieses Lebensatems in sich auf; sie werden befähigt, ihn weiterzutragen. So bezeugen sie den Auferstandenen: Der Siegeszug des Lebens über alle Schatten des Todes geht weiter. Dafür finden die Jünger jetzt die Worte, die in allen Sprachen zu verstehen sind. Dafür treten die Apostel von nun an in aller Öffentlichkeit mit ihrer ganzen Existenz ein. Der Geist, aus dem Jesus letztlich seine Kraft geschöpft hat, geht nun auf seine Kirche über, bleibt bei ihr und führt sie durch die Zeit. Der Evangelist Lukas hat das in seiner Apostelgeschichte mit einem besonderen, Aufsehen erregenden Ereignis verbunden.

Dr. Axel Hammes

"Pfingsten ist das Ereignis, bei dem sich ein Knoten löst, eine Barriere niedergerissen wird, die Menschen in dem einen Geist, den wir heilig nennen, (...) mit einem Mal wieder einander verstehen"

Das geschieht 50 Tage nach dem Paschafest, also beim jüdischen Erntedankfest Schawuot zur Einbringung des ersten Weizens. So wird in gewisser Weise an Pfingsten die Ernte von Ostern eingeholt. In Feuerzungen geht den Jüngern die göttliche Lebenskraft des Auferstandenen wirklich unter die Haut, löst ihnen die Zunge, macht sie mutig und entschieden. Sie werden befähigt, so zu reden, dass alle Menschen sie verstehen können. 

Das Pfingstfenster im Kölner Dom zeigt die Herabkunft des Heiligen Geistes in Feuerzungenform auf die Gottesmutter Maria und die Jünger (DR)
Das Pfingstfenster im Kölner Dom zeigt die Herabkunft des Heiligen Geistes in Feuerzungenform auf die Gottesmutter Maria und die Jünger / ( DR )

Zu Pfingsten gibt es aber auch noch eine Vorgeschichte. Deshalb wird am Vorabend des Pfingstfestes in der Liturgie noch einmal die babylonische Sprachverwirrung in Erinnerung gerufen. Das ehrgeizige Turmprojekt wurde der Menschheit zum Verhängnis. Es führt am Ende dazu, dass die Menschen sich seitdem nicht mehr auf Anhieb verstehen und daher kaum noch zusammenfinden, so dass sie nicht mehr in der Lage sind, etwas Gemeinsames aufzubauen. Nun aber – an Pfingsten – gelingt Verständigung in den unterschiedlichsten Sprachen wieder, egal woher die Menschen kommen. Pfingsten ist das Ereignis, bei dem sich ein Knoten löst, eine Barriere niedergerissen wird, die Menschen in dem einen Geist, den wir heilig nennen, verbunden werden und mit einem Mal einander wieder verstehen. Wo der Geist Gottes ungehindert weht, kommt es zur Einheit aus Einsicht und in Freiheit.

DOMRADIO.DE: Schon allein mit dem Begriff Heiliger Geist haben viele ein Problem. Nun ist die Dreifaltigkeitslehre ja auch nicht gerade leicht vermittelbar. Was ist der Heilige Geist? Wie lässt er sich übersetzen, und wo wird er – aus christlicher Sicht – spürbar?

Der Tabernakel in St. Nikolaus, Bensberg, mit der Heiligen Dreifaltigkeit und Feuerzungen / © Beatrice Tomasetti (DR)
Der Tabernakel in St. Nikolaus, Bensberg, mit der Heiligen Dreifaltigkeit und Feuerzungen / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Hammes: Erst vor kurzem bin ich wieder einmal darauf aufmerksam geworden, dass das katholische Lehramt noch Anfang des 20. Jahrhunderts das Verbot bekräftigt hat, den Heiligen Geist als menschliche Person darzustellen. Vielleicht, um daran festzuhalten, dass er tatsächlich nicht leicht zu greifen ist. Der Heilige Geist lässt sich nicht definieren oder von uns auf irgendetwas festnageln, sondern er ist eben wirklich eine dynamische Kraft, die nicht zur Ruhe kommt und die ständig zwischen den Menschen ist. Mit anderen Worten: Er ist in Person ein Beziehungsgeschehen und nicht irgendeine statische Substanz, sondern etwas, das Verbindung schafft, sie aufrecht erhält, vertieft und letztlich den beziehungsreichen Gott verkörpert. 

Der Heilige Geist ist dieses Verbindende und Verlebendigende zwischen Vater und Sohn. Er ist die personifizierte Liebe zwischen Vater und Sohn und wird an seinen Früchten erkannt. Aus Jesaja lesen wir sieben Gaben des Geistes heraus. Der Apostel Paulus fächert im Galaterbrief  die "Frucht des Geistes" sogar in neun Gaben auf. Dazu gehören Weisheit, Einsicht, Rat, Stärke, Erkenntnis, Frömmigkeit und Gottesfurcht. Um sie wird in der Pfingstnovene gebetet, die sich von dem Gebet ableitet, zu dem sich die Jünger laut Apostelgeschichte neun Tage vor dem Pfingstfest zurückziehen, um den Heiligen Geist zu erbitten.

DOMRADIO.DE: Welche Botschaft spricht denn aus dem Pfingstfest, das neben Weihnachten und Ostern zwar das dritthöchste Fest der Christen ist, aber heute doch eher ein Schattendasein fristet und sich dem modernen Menschen kaum noch erschließt?

Dr. Axel Hammes

"Wir geben dem Heiligen Geist den nötigen Raum, wo wir voller Sehnsucht auf ihn warten."

Hammes: In der Kirche wird regelmäßig der Ruf nach einem "neuen Pfingsten" laut. Darin meldet sich die erste Botschaft des Festes zu Wort: Alles Handeln der Kirche ist angewiesen auf das Kommen und den Beistand des Heiligen Geistes. Ohne ihn gelingt uns nichts. Vor der Spendung der Sakramente erbitten wir ihn ausdrücklich. Damit er wirken kann, muss die Kirche Christi ihm aber auch freie Bahn einräumen. Dann werden wir es wie die ersten Jünger beieinander aushalten, obwohl auch wir nicht wissen, wie es mit uns weitergehen wird. 

Heiliger Geist: Friedenstaube, Darstellung des Heiligen Geistes, in der Herz-Jesu-Kathedrale in Skopje / © Harald Oppitz (KNA)
Heiliger Geist: Friedenstaube, Darstellung des Heiligen Geistes, in der Herz-Jesu-Kathedrale in Skopje / © Harald Oppitz ( KNA )

Wir geben dem Heiligen Geist den nötigen Raum, wo wir voller Sehnsucht auf ihn warten. Was die Kirche in ihrem innersten Wesen ausmacht, kann sie sich selber nicht beschaffen. Sie muss es von Gott erbitten und erhoffen. Sie muss aber auch bereit sein, es so anzunehmen, wie Gott es gibt. Er weiß am besten, was wir wirklich brauchen. Die Gaben des Geistes empfängt die Kirche und jeder Einzelne dabei niemals für sich allein.

DOMRADIO.DE: Pfingsten, so heißt es, sei das Fest der Einheit der Christinnen und Christen – über alle von Menschen gemachten Trennungen hinweg. Wie wichtig ist es – in Zeiten gesellschaftlicher und politischer Spaltungen – den Kern dieses Festes immer wieder neu ins Bewusstsein zu rücken?

Hammes: Ob das Miteinander der Menschen aufbaut oder zerstört, hängt davon ab, welcher Geist unter ihn herrscht: ob er etwas zum Frieden in Wahrheit und Gerechtigkeit beiträgt, ob er unterschiedliche Kulturen und Mentalitäten zusammenführt, dem Aufbau und Wohlergehen aller dient, oder – das Gegenteil – ob er destruktiv spaltet, zu Konkurrenz, Neid, Misstrauen und am Ende auch zu Krieg und Zerstörung führt. Insofern sagt Pfingsten allen Menschen guten Willens: Auf den Geist kommt es an. Ohne den Geist bleibt alles letztlich nur Routine, ist dem Tod geweiht und kann kein neues Leben hervorbringen. Die Kirche wiederum ist in der Tat so lange nicht glaubwürdig, wie sie – analog zur Welt – unfähig zur Einheit ist. Eine gespaltene Christenheit hat einer zerrissenen Menschheit nicht mehr viel zu sagen. 

Dr. Axel Hammes

"Ohne dieses Fest und ohne das Bewusstsein von Gottes Heiligem Geist geht unserem Leben die Seele verloren."

Gemeinschaft ist Heimat / © Rawpixel (shutterstock)

Deswegen verbindet sich mit Pfingsten nicht zuerst ein Auftrag, vielmehr geht davon ein gewaltiger Zuspruch aus, den eigentlich Gott selber schon in seine Kirche hineingelegt hat. Nehmen wir ihn doch einfach wieder ernst! Er hat an Pfingsten die Initialzündung dazu gegeben, die die Menschheit einen könnte, die zu immer besserer Verständigung antreibt, nicht zuletzt durch eine Kirche, die aus der Begeisterung lebt für die große Sache Gottes. Dem muss die Kirche mehr trauen, und sie muss vielleicht noch mehr erkennen, dass das meiste, was uns als Christen untereinander trennt, doch nur menschengemacht und eben gar nicht göttlichen Ursprungs ist. Ohne die Erinnerung an den Geist Gottes und auch die Sehnsucht danach, dass er tatsächlich in uns atmet, uns beseelt und treibt – ohne dieses Fest und ohne das Bewusstsein von Gottes Heiligem Geist geht unserem Leben die Seele verloren.

DOMRADIO.DE: Eine andere Zuschreibung, die sich mit diesem Hochfest verbindet, ist "Geburtstag der Kirche"…

Kreuzkette / © ShutterstockProfessional (shutterstock)

Hammes: Diese Wendung sagt etwas Richtiges, darf aber nicht zu Verkürzungen führen. Denn die Kirche hat einen viel tieferen Ursprung. Ich persönlich lege immer großen Wert darauf, dass das eine Volk Gottes eben aus Gottes erster Liebe Israel und uns Heidenvölkern besteht. Das erst ist die Kirche Gottes. Insofern liegt der Geburtstag der Kirche viel weiter zurück. Andererseits stimmt es natürlich schon, denn wir feiern, dass die Jünger ihre Angst überwunden haben, dass sie endlich ihre Sendung aufnehmen zu den Menschen, ihnen das Evangelium verkünden, sie zu Christus führen und eben auch zu den Verheißungen, die Gott für diese Welt ausgesprochen hat. Eine Kirche, die noch so verzagt ist, sich nicht wirklich traut und vielleicht auch von der Trauer über das Verlorene festgehalten wird, kommt durch dieses Fest zu sich selbst: Sie wird fähig zur Verkündigung, fähig zum Fest, fähig zum Dienst an den Menschen.

DOMRADIO.DE: Wann haben Sie persönlich zuletzt das Wehen des Heiligen Geistes gespürt, dass Sie gedacht haben, hier verändert sich etwas hoffnungsvoll zum Guten?

Hammes: Ich habe viel mit der Ausbildung von Theologen zu tun. Den Geist Gottes sehe ich am Werk, wo sich bei jemandem, der in seinem Studium lange keine Fortschritte machen konnte, etwas löst und er an innerer Freiheit dazugewinnt; wo jemand die Angst überwindet, vor vielen Menschen zu sprechen; wo jemand den Mut bekommt, in seiner ganz eigenen Art das Evangelium zu verkünden und sich den Menschen auch auszuliefern mit all dem, was ihn ausmacht, und wenn er dann erlebt, dass das Resonanz findet, Früchte des Geistes trägt.

Neuer Papst Leo XIV. erscheint auf der zentralen Loggia / © Alessandra Tarantino/AP (dpa)
Neuer Papst Leo XIV. erscheint auf der zentralen Loggia / © Alessandra Tarantino/AP ( dpa )

Ganz augenfällig aber war das Wirken des Heiligen Geistes für mich zuletzt bei der Papstwahl. Als ich im Vorfeld von den Favoriten las, dachte ich nur: Hoffentlich werden wir wieder überrascht! Und als dann der neue Papst auf die Loggia trat, durchfuhr es mich: Der Heilige Geist ist wieder einmal dazwischen gegangen! Jedenfalls war ich beseelt davon, dass da jemand kam, mit dem die Wenigsten gerechnet hatten, und dass er so kam, wie er kam: als einer mit einer ganz eigenen Ausstrahlung und Haltung, die für den Frieden steht; für das, was Menschen verbindet und sie wirklich vor den einen Gott stellt. Das ist für mich Wirken des Heiligen Geistes: dass sich am Ende auch bei diesen 133 Kardinälen kein politisches Kalkül durchgesetzt hat, sondern augenscheinlich der Heilige Geist die Oberhand behalten hat Er bringt den Willen Gottes zum Durchbruch. Das hat mich begeistert. Das ermutigt mich auch ganz persönlich.

Das Interview führte Beatrice Tomasetti.

Pfingsten

Pfingsten ist für Christen das Fest des Heiligen Geistes und gilt als Geburtsfest der Kirche. Damit endet die 50-tägige Osterzeit. Das Wort Pfingsten leitet sich ab von "Pentekoste", dem griechischen Begriff für "fünfzig". Die Bibel versteht den Heiligen Geist als schöpferische Macht allen Lebens. Er ist nach kirchlicher Lehre in die Welt gesandt, um Person, Wort und Werk Jesu Christi lebendig zu erhalten.

Flammenzungen über Männern und Frauen in der Kuppel der Kirche Sankt Katharina, Saint Catherine, in Spring Lake (USA). / © Octavio Duran/OSV News (KNA)
Flammenzungen über Männern und Frauen in der Kuppel der Kirche Sankt Katharina, Saint Catherine, in Spring Lake (USA). / © Octavio Duran/OSV News ( KNA )
Quelle:
DR

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