Theologe glaubt an Umweltschutz durch eigene Naturerlebnisse

"Im Herzen sind wir Tiere"

Gerade in der Ferienzeit zieht es viele Menschen in die Natur. Unberührte Landschaften haben eine magische Anziehungskraft, meint der Leiter des Instituts für Theologische Zoologie, Rainer Hagencord. Natur sei für die Menschen Heimat.

Symbolbild: Umwelt- und Naturschutz / © Bela Geletneky (Pixabay)
Symbolbild: Umwelt- und Naturschutz / © Bela Geletneky ( Pixabay )

DOMRADIO.DE: Die Natur tut uns gut, sagen wir gerne. Warum ist das so? Warum zieht uns die Natur magisch an?

Rainer Hagencord, Theologe und Biologe, sowie Leiter des Instituts für Theologische Zoologie / © Lars Berg (KNA)
Rainer Hagencord, Theologe und Biologe, sowie Leiter des Instituts für Theologische Zoologie / © Lars Berg ( KNA )

Dr. Rainer Hagencord (Leiter des Instituts für Theologische Zoologie in Münster): Weil das unsere Heimat ist. Um es vielleicht mal ganz einfach auf den Punkt zu bringen: Wir haben in den letzten Jahren und Jahrzehnten eine starke Entwicklung erlebt, in der die digitale Welt als unsere Heimat beschrieben oder sogar dafür geworben wird. Die natürliche Mitwelt gerät immer mehr in den Hintergrund. Das ist übriges ein Begriff, den ich sehr schätze, Mitwelt, statt Umwelt.

Es ist schon ein sehr ernst zu nehmender und wertvoller Impuls, den viele Menschen jetzt erleben, dass sie diese digitale Welt hinter sich lassen wollen, um ans Meer, in die Berge zu fahren, um dort aufzuatmen. Sie fühlen sich dort wie eins mit dieser natürlichen Mitwelt. Wir sind Teil dieser Welt, nicht der digitalen Welt. Die ist nicht unsere Heimat.

DOMRADIO.DE: Sie beschäftigen sich in Ihrem Institut vor allem mit der Mensch-Tier-Beziehung. Welche Rolle spielen Tiere, wenn ich unberührte Natur genießen will?

Hagencord: Die Tiere in dieser unberührten Natur, um es mit dem heiligen Franziskus zu sagen, sind unsere Geschwister. Franziskus hat diesen Begriff geprägt, ohne irgendetwas vom evolutiven Denken zu wissen. Darwin hat vor 150 Jahren genau diese Evolutionstheorie entwickelt, im Grunde als eine wissenschaftliche Vertiefung dessen.

Von Darwin wissen wir, dass es letztlich überhaupt keinen Graben gibt, der uns Menschen von den anderen trennt. Wir sind Tiere, und ich gehe immer gerne mit dem Begriff des Erbgutes um. Diesen Begriff verdanken wir übrigens auch einem Theologen, dem Benediktiner Pater Gregor Mendel, der entdeckt hat, dass es Erbgut gibt, das wir vererben.

Dr. Rainer Hagencord

"Im Herzen, in der Seele und in unseren Sinnen sind wir Tiere." 

Erbgut ist so etwas wie ein Erbe, das wir in uns tragen. Im Herzen, in der Seele und in unseren Sinnen sind wir Tiere. Mit unseren "Verwandten" unterwegs zu sein, das zieht uns oft in ihren Bann. Ich war vor 14 Tagen noch in der Schweiz und bin immer ganz hellhörig, wenn ich die Murmeltiere höre und bleibe stehen.

Ich bin ganz bewegt, wenn der Bartgeier über mir kreist. Mein Lieblingsvogel übrigens, mit einer drei Meter Flügelspannweite. Wenn der kommt, verdunkelt sich die Sonne.

Das ist die Natur, die uns lockt, die unsere Heimat ist. Die Tiere als die Wesen, die uns am nächsten sind, näher als die Pflanzen, die erhalten unsere Aufmerksamkeit. Das ist auch gut so, weil wir dabei aus unserem Denken rauskommen.

DOMRADIO.DE: Sie fahren mit Ihren Studenten ins Engadin, in die Schweiz, damit Sie dort Natur erfahren. Wie muss man sich das genau vorstellen?

Hagencord: In der Schweiz gibt es den großen Nationalpark, der ist im Kanton Graubünden. An diesen Nationalpark schließt sich das Biosphärenreservat an. Das ist eine Region, in der nachhaltig und ökologisch Landwirtschaft betrieben wird. In diesem Münstertal, so heißt dieser schöne Teil der Schweiz, gibt es das kleine Örtchen Lü.

Dort bin ich schon seit über 20 Jahren privat zum Wandern unterwegs und seit gut zehn Jahren auch mit Gruppen. Da gibt es ein sehr schönes Haus, dort spricht man rätoromanisch. In dem Haus Gruber ist ein Häuschen, in dem Exerzitien angeboten werden. Sie können dort alleine die Stille erfahren, in Begleitung. Ich bin dort in 14 Tagen wieder mit Studierenden der Landschaftsökologie. Das Thema heißt: Wandern in inneren und äußeren Landschaften.

DOMRADIO.DE: Wie können diese Studenten im besten Fall Multiplikatoren für den Naturschutz werden?

Hagencord: In dem sie über die beiden Weisen des Unterwegsseins verfügen. Damit meine ich äußere Landschaften. Ich arbeite dort mit Landschaft-Ökologinnen zusammen, um ein Wissen über die Flora und Fauna, über die Zusammenhänge dieser Landschaften zu vertiefen und da auch Expertise zu erhalten. Das brauchen wir. Wir müssen eine Wertschätzung für alle Lebensformen und Lebensräume gewinnen.

Dr. Rainer Hagencord

"Da schöpfen wir aus den spirituellen Traditionen der Religionen"

Es braucht auch eine Kompetenz für die inneren Landschaften. Das heißt, wie nehme ich wahr, welche Fragen treiben mich um, mit welchem Blick schaue ich in die Natur? Da schöpfen wir aus den spirituellen Traditionen der Religionen, indem wir deutlich sehen, dann, wenn es in uns still ist, wenn wir wirklich wachsam sind, nicht mehr unserem Grübeln verfallen, sondern unseren Gefühlen, und unsere Wahrnehmungen schulen, dann sind wir in Korrespondenz mit den äußeren Landschaften.

DOMRADIO.DE: Können Sie sich jetzt von Ihrer letzten Reise im Engadin an einen Moment erinnern, wo Sie gemerkt haben, jetzt hat es "klick" gemacht?

Hagencord: Wir haben in unseren Kursen immer das Element der "Land Art", das ist eine Kunstart. Die Studierenden sind nach drei Tagen eingeladen, alleine noch mal in die Natur zu gehen und mit den Materialien, die sie dort vorfinden, Kunst herzustellen, die der Vergänglichkeit unterworfen ist. Sie sollen dabei nichts abbrechen oder kaputt machen.

Am letzten Tag haben wir dort eine Vernissage und wandern von Installation zu Installation. Dort hat ein Student in eine Zirbe, das ist ein wunderbares Nadelholz, ein großes Mobile hinein gefertigt, ohne irgendwas kaputt zu machen. Das war so bewegend. Dieser Baum an sich hat schon eine Kraft und wird zusätzlich gewürdigt durch dieses Kunstwerk. Das ist allen in Erinnerung geblieben.

DOMRADIO.DE: Braucht es immer jemand anders, der einem die Augen, die Nase, die Ohren öffnet für die Natur? Oder kann ich mich auch selber zu Hause für die Natur sensibilisieren?

Hagencord: Unbedingt. Wir haben in uns diese Sehnsucht, die in unseren Urlauben Gestalt annimmt. Bei mir ist es manchmal auch nur der Balkon. Ich kann leider mein Leben nicht in Lü verbringen, aber ich habe einen Balkon. Ich habe hier in Münster meine Insel, die auch für mich Lehrerin oder Lehrer ist.

Dr. Rainer Hagencord

"Das heißt, wir können jedes Tier, das uns begegnet, neu würdigen, wahrnehmen und unseren Beitrag dafür leisten, die Biosphäre zu stärken und zu schützen."

Eckhart Tolle nennt die Tiere übrigens die "Wächter des Seins". Das heißt, wir können jedes Tier, das uns begegnet, neu würdigen, wahrnehmen und unseren Beitrag dafür zu leisten, die Biosphäre zu stärken und zu schützen. Wir haben noch zehn Jahre, sagen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, dann sind möglicherweise unsere Lebensgrundlagen vernichtet.

Das Interview führte Heike Sicconi.

Rainer Hagencord

Tiere sind weder seelenlose Automaten, noch als bessere Menschen zu sehen, sie sind Mitgeschöpfe. Für diese Ansicht kämpft Dr. Rainer Hagencord.

Dr. Rainer Hagencord / © Michele Cappiello
Dr. Rainer Hagencord / © Michele Cappiello
Quelle:
DR