Theologe fordert Friedensbekenntnis von orthodoxen Gemeinden

"Noch nicht lautstark genug"

Die russisch-orthodoxe Kirche hat nach Einschätzung des Theologen Thomas Kremer nur noch ohne den Moskauer Patriarchen Kyrill I. eine Zukunft. Russisch-orthodoxe Gemeinden müssten sich nun entschieden zum Frieden bekennen.

Patriarch Kyrill I. / © Corinne Simon (KNA)
Patriarch Kyrill I. / © Corinne Simon ( KNA )

Die Haltung Kyrills zum Krieg in der Ukraine markiere "einen moralischen Tiefpunkt in der Geschichte der Christenheit", schreibt Kremer in einem Gastbeitrag für das Portal katholisch.de am Sonntag. Teile dieser Kirchenleitung seien "offenbar völlig untragbar geworden".

Die russische orthodoxe Kirche sei "hinsichtlich des Reichtums ihrer Geschichte und Theologie ein Juwel der Christenheit, das sollte man auch in diesen Tagen nicht verkennen", betont der Professor für die Theologie des Christlichen Ostens. Es sei für die russisch-orthodoxen Gemeinden jedoch an der Zeit, "sich entschieden und unerschrocken zu bekennen". Das täten sie "vielleicht noch nicht lautstark genug".

Russisch-orthodoxe Kirche

Die russisch-orthodoxe Kirche ist mit rund 150 Millionen Gläubigen die mit Abstand größte orthodoxe Nationalkirche. In Russland bekennen sich gut zwei Drittel der Bevölkerung zu ihr - etwa 100 Millionen Menschen. Fast alle übrigen früheren Sowjetrepubliken zählt das Moskauer Patriarchat ebenfalls zu seinem kanonischen Territorium.

Russisch-orthodoxe Kirche mit Baugerüst / © Balakate (shutterstock)
Russisch-orthodoxe Kirche mit Baugerüst / © Balakate ( shutterstock )

Höchste kirchliche Autorität Russlands rechtfertigt Krieg

Patriarch Kyrill I. fiel in den vergangenen Tagen mit Aussagen auf, der Westen sei schuld am Krieg. Die russischen Angriffe legitimierte er indirekt damit, Gläubige sollten vor "Gay-Pride Paraden" Homosexueller geschützt werden. Diese Darstellung bezeichnete Kremer als "perfide". Der Patriarch beschwöre eine dualistische Weltsicht, "bei der es einem nur kalt den Rücken herunterlaufen kann". Zugleich äußere Kyrill "Andeutungen", die wie Drohungen gegen Orthodoxe anmuteten, "die nicht auf Linie sind". Dies sei "vollkommen verstörend".

Der Krieg in der Ukraine sei "kein eigentlicher Glaubenskrieg, denn seine Inhalte sind nicht religiöser Natur", so Kremer. "Aber er wird - übrigens auch entgegen der offiziellen Sozialdoktrin der russisch-orthodoxen Kirche - mit der höchsten kirchlichen Autorität Russlands gerechtfertigt".

Putin bediene "Klischees von einem "historischen Russland"

Insgesamt falle Russland unter Präsident Wladimir Putin in vormoderne Zeiten zurück, beklagte der Forscher. "Identitätssuche geschieht unter Rückgriff auf mythische Urgründe, die keiner rationalen Nachfrage standhalten und denen die Errungenschaften einer modernen Zivilgesellschaft Fremdworte sind". Putin bediene "Klischees, die immer um die Wiederherstellung eines 'historischen Russland' kreisen und deshalb heute so brisant sind, weil er der Ukraine darin faktisch das Recht abspricht, als eigener Staat zu existieren".

Frieden könne es nur geben, wenn die Staaten einander als legitime, gleichberechtigte Partner akzeptierten. Letztlich würden in der Ukraine "nicht weniger als die Grundfeste aller Menschenrechtskonventionen und einer freiheitlich-staatlichen Grundordnung verteidigt".

Quelle:
KNA
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