Tausende stellen sich bei Groß-Demo an die Seite der Ukraine

"Aufstehen gegen diesen unermesslichen Wahnsinn"

Zum Jahrestag des Kriegsbeginns hatte der Deutsch-Ukrainische Verein "Blau-Gelbes Kreuz" zu einer Solidaritätskundgebung auf den Roncalliplatz eingeladen. Neben den vielen Rednern aus der Politik trat auch Stadtdechant Kleine auf.

Autor/in:
Beatrice Tomasetti
Dom- und Stadtdechant Robert Kleine, Oberbürgermeisterin Henriette Reker, die CDU-Bundestagsabgeordnete Serap Güler und Linda Mai, Gründerin des Vereins "Blau-Gelbes Kreuz".
Dom- und Stadtdechant Robert Kleine, Oberbürgermeisterin Henriette Reker, die CDU-Bundestagsabgeordnete Serap Güler und Linda Mai, Gründerin des Vereins "Blau-Gelbes Kreuz".

Der Raketenalarm ist ohrenbetäubend und dauert nur wenige Sekunden an. Doch der Schrecken, der allen in die Knochen fährt, verfehlt seine Wirkung nicht: Reflexartig nehmen Mütter ihre Kinder in den Arm und halten schützend ihre Hände über sie. 

Andere Teilnehmer halten sich die Ohren zu, und wieder andere umarmen sich innig oder wischen sich Tränen aus den Augen. Ein Aufheulen aus dem Lautsprecher – und plötzlich ist der Krieg so nah.

Kundgebung für die Ukraine auf dem Kölner Roncalliplatz
Kundgebung für die Ukraine auf dem Kölner Roncalliplatz

Auf dem Roncalliplatz handelt es sich an diesem Mittag nur um eine Simulation. Doch in weiten Teilen der Ukraine ist dieser Lärm nach zwei langen Kriegsjahren immer noch jeden Tag Realität und eine Warnung, sich möglichst schnell in Sicherheit zu begeben. 

Wenn die Sirenen gehen, droht akute Lebensgefahr. Mitunter mehrmals am Tag. Denn das ist Alltag in Kiew, Odessa, Cherson, Charkiw und vielen anderen Städten in der Ukraine.

Die Veranstalter dieser Großkundgebung, der Deutsch-Ukrainische Verein "Blau-Gelbes Kreuz", kalkulieren bewusst diesen Überraschungseffekt. Sie möchten dafür sensibilisieren, was es heißt, seit 731 Tagen im Krieg zu leben. Und deshalb haben sie auch zu dieser Demonstration eingeladen. 

Denn, so schreiben sie in ihrem Aufruf, wenn jetzt nicht alle Kräfte und Ressourcen in Europa mobilisiert würden, um die Ukraine in ihrem Verteidigungskampf zu unterstützten, könnte der perfide Plan Putins doch noch aufgehen, die Ukraine vollständig einzunehmen, ihre Identität und viele Menschenleben auszulöschen und Europa nachhaltig zu schwächen. 

Militärische und humanitäre Ressourcen bereitstellen

Weiter heißt es da: "Es steht viel auf dem Spiel. Es gilt, die Feinde von Freiheit, Demokratie und Menschenrechten in Deutschland in ihre Schranken zu weisen. Eine nicht minder große Bedrohung stellen die äußeren Feinde unserer Werte dar. Diktatoren wollen die europäische Friedensordnung und Demokratie zerstören." 

Es geht um die Aufforderung, "ein klares Zeichen für die Solidarität und den Respekt für die Ukraine zu setzen und mit dafür einzustehen, dass nun endlich alle notwendigen militärischen und humanitären Ressourcen für die Ukraine bereit gestellt werden".

"Zwei Jahre russischer Krieg gegen Europa – jetzt alle Ressourcen für die Ukraine mobilisieren", dazu will das Blau-Gelbe Kreuz animieren. "Um der Ukraine zu helfen, das Böse zu bekämpfen und die Menschen in den besetzten Gebieten zu befreien, müssen wir die tapferen ukrainischen Kämpferinnen und Kämpfer mit allen notwendigen Mitteln unterstützen", heißt es in einem Instagram-Posting. Und diese Art der Kommunikation rüttelt wach. 

Kundgebung für die Ukraine auf dem Kölner Roncalliplatz
Kundgebung für die Ukraine auf dem Kölner Roncalliplatz

Am Ende bringt sie mehrere tausend Menschen mit selbstgebastelten Pappschildern oder der blau-gelben Nationalfahne um die Schultern gebunden auf die Straße, um im wahrsten Sinne des Wortes Flagge zu zeigen: Alte, Junge und ganze Familien. Deutsche, Ukrainer und alle, die ihr Mitgefühl, ihren Respekt, vor allem aber ihre Solidarität mit diesem angegriffenen Land mitten in Europa zum Ausdruck bringen wollen.

Mit dabei: die NRW-Minister Neubaur und Liminski

Auch viele Politikerinnen und Politiker aus Nordrhein-Westfalen nutzen dieses Forum, um den vom Leid Betroffenen Mut zuzusprechen und sie ihrer aller Bemühungen um Unterstützung zu versichern, darunter die Oberbürgermeisterin von Köln, Henriette Reker, Berivan Aymaz, Vizepräsidentin des NRW-Landtags, Mona Neubaur, NRW-Ministerin für Wirtschaft, Industrie, Klimaschutz und Energie sowie stellvertretende Ministerpräsidentin, Nathanael Liminski, NRW-Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten, Internationales sowie Medien und Chef der Staatskanzlei, Robin Wagener, Bundestagsabgeordneter und Vorsitzender der Deutsch-Ukrainischen Parlamentariergruppe im Bundestag und die ukrainische Generalkonsulin Iryna Shum. 

NRW-Landtags-Vizepräsidentin Berivan Aymaz, NRW-Minister Nathanael Liminski (CDU), Mona Neubaur (Grüne) und Robin Wagener MdB (Grüne) / © Beatrice Tomasetti (DR)
NRW-Landtags-Vizepräsidentin Berivan Aymaz, NRW-Minister Nathanael Liminski (CDU), Mona Neubaur (Grüne) und Robin Wagener MdB (Grüne) / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Die meisten von ihnen geben sich kämpferisch, weil es um "einen gemeinsamen Kampf für Frieden und Demokratie geht" und der russische Diktator Putin die Situation fehl eingeschätzt habe, als er glaubte, die Ukraine sei innerhalb von drei Tagen einzunehmen, sagt die Geschäftsführerin des Blau-Gelben Kreuzes, Julia Chenusha. 

Er habe nicht mit einem "Volk voller Tapferkeit und Kampfeswillen" gerechnet. Henriette Reker betont: "Freiheit ist stärker als Unterdrückung. Die Ukraine kämpft dafür, dass auch wir in Freiheit leben können." Und sie erinnert daran, dass allein Köln in den letzten zwei Jahren zehntausende Geflüchtete nicht nur in Unterkünften, sondern auch im Herzen aufgenommen habe.

 Dann appelliert die Oberbürgermeisterin unter zustimmendem Beifall an die vielen auf dem Roncalliplatz: "Lassen sie uns nicht nachlassen, bis die Ukraine ihr Land und ihre Freiheit zurückerobert hat!"

Mona Neubaur

"Wir dürfen die Ukraine nicht alleinlassen." 


Auch Mona Neubaur erklärt: "Europa lässt sich seine Werte nicht nehmen, sondern steht auf gegen diesen unermesslichen Wahnsinn." Die Grünen-Politikerin zeigt sich emotional sehr bewegt, besonders als sie davon spricht, dass sie noch vor wenigen Tagen auf dem Maidan in Kiew gestanden und dort die vielen Flaggen – jede steht für einen gefallenen Soldaten – gesehen habe. Oder Kinder getroffen habe, "die schon Dinge erlebt hätten, die niemand von uns erleben möchte". 

Dann stellt sie fest: "Wir haben die Verpflichtung zu humanitärer, finanzieller und militärischer Unterstützung und dürfen die Ukraine nicht alleinlassen. NRW, Deutschland und Europa dürfen nicht aufgeben, denn Putin darf diesen Krieg nicht gewinnen." 

Zum Schluss wiederholt sie ihren eindringlichen Appell in fließendem Ukrainisch und endet mit dem Ausruf "Slava Ukraini – Hoch lebe die Ukraine"; ein Slogan, der seit Kriegsausbruch von den Ukrainern vermehrt auch als Ausdruck des Widerstands formuliert wird.

Liminski: Mangelt nicht an Tapferkeit der Ukainer

Nathanael Liminski, der Chef der NRW-Staatskanzlei, spricht davon, dass man zu Beginn des Krieges noch für Wahnsinn gehalten habe, dass sich ein Einzelner in diese politische Isolation begeben würde, es sich aber inzwischen gezeigt habe, dass tatsächlich ein "Verrückter" im Kreml sitze. 

Nathanael Liminski

"Es geht darum, den Menschen im wahrsten Sinne des Wortes wieder auf die Beine zu helfen. Und wir können das auch."


Und dennoch mangele es in diesem Kampf Davids gegen Goliath nicht an der Tapferkeit der Ukrainer, eher an dem politischen Willen des Westens, "verdammt noch mal, wirklich auch alles dafür zu tun, dass die Ukraine diesen Kampf gewinnt. Und das heißt auch, Taurus-Marschflugkörper zu liefern."

NRW-Minister Nathanael Liminski
NRW-Minister Nathanael Liminski

Er lobt die vielen, die gekommen sind, und macht sich auch zu deren Sprachrohr, als er sagt: "Wir stehen an der Seite der Ukraine, solange es nötig ist. Und wir alle hier in NRW können viel dafür tun, dass sie den Krieg gewinnt." 

Zunächst habe das Land Krankenhausbetten, Stromgeneratoren und Laptops an Schüler für den Fernunterricht geliefert, inzwischen aber seien es vor allem Prothesen, die massenhaft gebraucht würden. "Es geht darum, den Menschen im wahrsten Sinne des Wortes wieder auf die Beine zu helfen. Und wir können das auch", bekräftigt Liminski.

Viele Parolen, die auch als Zeichen gegenseitiger Ermutigung und Stärkung dienen, wiederholen sich bei dieser Solidaritätsdemo. Manche aber werden auch zu regelrechten Kampfansagen, zum Beispiel als Linda Mai, gebürtige Ukrainerin und die Vorsitzende des Blau-Gelben Kreuzes, einen Sprechchor "Tribunal für Putin" anstimmt und in ihrer Ansprache fordert, dass er für seine Gräueltaten und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zur Rechenschaft gezogen wird. 

Vorsitzende und Gründerin des Blau-Gelben Kreuzes, Linda Mai
Vorsitzende und Gründerin des Blau-Gelben Kreuzes, Linda Mai

Sie berichtet von den vielen verstümmelten Körpern, die ihr bei ihrem letzten Besuch der Ukraine in den Krankenhäusern begegnet seien, und von der Erschöpfung und Verzweiflung der Menschen nach diesen zwei Jahren. 

Auch ihr ist der Schmerz über all das, womit sie bei ihrer Unterstützungsarbeit in ihrer Heimat, aber auch in Deutschland konfrontiert wird, deutlich anzusehen.

Deutliche Kritik an Patriarch Kyrill I. 

Dom- und Stadtdechant Monsignore Robert Kleine schließlich zitiert in seinem Redebeitrag die Deutschen Bischöfe, die nochmals in dieser Woche anlässlich der Vorstellung ihres "Friedenswortes" festgestellt hatten, dass es sich beim Krieg in der Ukraine um einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg handele, der eine militärische Verteidigung der Ukraine ebenso rechtfertige wie Militärhilfe durch andere Staaten, einschließlich Deutschlands. 

Patriarch Kyrill leitet einen orthodoxen Ostergottesdienst in der Moskauer Christ-Erlöser-Kathedrale / © Pavel Bednyakov (dpa)
Patriarch Kyrill leitet einen orthodoxen Ostergottesdienst in der Moskauer Christ-Erlöser-Kathedrale / © Pavel Bednyakov ( dpa )

Deutliche Kritik übt Kleine dann an Kyrill I., dem höchsten Vertreter der russisch-orthodoxen Kirche, der als Putin-Vertrauter und Unterstützer des Angriffskrieges gilt, diesen Krieg aber als Heimatverteidigung darstelle. Als solche werde sie von der Leitung der russisch-orthodoxen Kirche zelebriert und gutgeheißen, so Kleine. 

In zahlreichen Predigten stelle das Kirchenoberhaupt den Krieg als Schutz vor Feinden dar und habe unmittelbar nach der Invasion behauptet, Russland sei in einen Kampf eingetreten, der keine physische, sondern eine metaphysische Bedeutung habe. Die Russen würden sich aber nicht denen unterwerfen, die die Sünde als Vorbild propagierten, womit der Patriarch den Westen mit seinen liberalen Werten gemeint habe.

Domdechant Msgr. Robert Kleine beim Friedensgebet im Kölner Dom / © Beatrice Tomasetti (DR)
Domdechant Msgr. Robert Kleine beim Friedensgebet im Kölner Dom / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Kyrill behaupte, erklärt der Stadtdechant weiter, die in der Ukraine gefallenen Soldaten würden direkt ins Paradies kommen. Denn wer seine Pflicht erfülle und sterbe, der vollbringe eine Heldentat, die einem Opfer gleichkomme. 

Vor Kindern habe er zu Weihnachten sogar davon gesprochen, dass es keinen größeren Liebesbeweis gebe, als wenn einer sein Leben für seine Freunde hingebe. Denn das höchste Zeichen von Liebe sei die Opferbereitschaft. 

Obwohl heute niemand solche Opfer verlange, gebe es Orte in den Weiten des historischen Russlands, wo Menschen ihre Heimat verteidigen und sterben würden. 

Kleine verurteilt eine solche Haltung auf das Schärfste: "Das hat rein gar nichts mit der Botschaft Jesu Christi zu tun. Diese Worte aus dem Mund eines christlichen Geistlichen im Angesicht des von Russland über die Menschen in der Ukraine gebrachten Leid, angesichts der tausenden Verletzten und Toten, sind für mich nur eines: Gotteslästerung, Blasphemie."

Gedenktag mit vielen unterschiedlichen Gefühlen

Und wie auch schon zuvor beim Friedensgebet im Kölner Dom sorgt der Domseelsorger am Ende dieser Großkundgebung noch einmal für Momente des betroffenen Innehaltens, indem er die vielen unterschiedlichen Gefühle ausspricht, die die Menschen an diesem bedrückenden Gedenktag bewegen mögen und zu denen nicht nur Wut, Angst, Verzweiflung und Erschöpfung gehören, sondern auch "Dankbarkeit für die in den letzten beiden Jahren durch Menschen in unserer Stadt gezeigte Solidarität und Unterstützung der Opfer des Krieges, die Aufnahme und das Willkommenheißem der Geflüchteten". 

Kundgebung für die Ukraine auf dem Kölner Roncalliplatz
Kundgebung für die Ukraine auf dem Kölner Roncalliplatz

Die Veranstaltung endet offiziell mit einem "Gebet der Hoffnung", mit dem Kleine vor allem die Menschen in der Ukraine in ihren zerbombten Wohnungen und Häusern bedenkt, die seit Kriegsbeginn im Schutz der Keller leben, sich in Todesangst befinden und doch diesen Krieg überleben wollen, wie er sagt.

In diesem Gebet heißt es gegen Ende: Wir bitten dich um Kraft, dem Bösen entgegenzutreten. Wir bitten dich um Hoffnung, um widerständige Zuversicht. Und sei sie so winzig wie Blumensamen. Bitte lass sie wachsen und blühen.

Quelle:
DR