"Tatort" über Discounter-Arbeitsbedingungen

Wenn Wirklichkeit das Drehbuch einholt

Wenn die Wirklichkeit härter ist als das, was sich Filmleute ausgedacht haben: Der "Tatort" am Sonntagabend in der ARD dreht sich um unglaubliche Vorgänge in einer fiktiven Discounter-Filiale. Kurz bevor im Frühjahr 2008 die Dreharbeiten zu der Folge begannen, wurde bekannt, mit welchen Methoden die Discounterkette Lidl ihre Mitarbeiter ausspionierte.

Autor/in:
Monika Herrmann-Schiel
 (DR)

Ein Film muss überzeichnen und dramatisieren, wenn er unterhaltend sein soll. Das ist eine alte Weisheit. Und so war das Drehbuch von Stephan Falk, nach dem Lars Montag den "Tatort" mit dem Titel "Kassensturz" inszenierte, gespickt mit unglaublichen Vorgängen, die den Mitarbeitern einer fiktiven Discounter-Filiale das Leben mehr als schwer machten.

Verblüfft verfolgten Autor und Regisseur 2008 die Enthüllungen. Vieles war genauso, wie sie es in ihrem Film beschrieben und manches noch rücksichtloser, als sie sich das vorgestellt hatten. "Manche im Umkreis der Produktion waren vorher ein wenig skeptisch gewesen, ob es nicht etwas übertrieben sei, was wir in dem Film erzählen. Und dann gab's den großen Lidl-Skandal, und alles erwies sich als noch schlimmer", erinnert sich Lars Montag. Das Drehbuch wurde daraufhin aktualisiert; auch die Kameraüberwachung wird jetzt als Nebensache thematisiert.

Leiche auf der Müllhalde
Für Lena Odenthal und ihren Kollegen Kopper beginnt der Fall äußerst unangenehm auf der Müllhalde. Mitten im Unrat hat man die Leiche eines Mannes gefunden. Blaschke war Gebietsleiter der Discounter-Kette Billy und zuständig für drei Ludwigshafener Filialen. Als die Kommissare die Wohnung durchsuchen, stellen sie fest, dass das Leben des Filialleiters nur aus Arbeit bestand und dass schon jemand vor ihnen die Räume durchsucht haben musste.

Blaschkes Vorgesetzte Fuchs reagiert mit verächtlicher Kälte auf die Todesnachricht. Bei ihren Recherchen erfahren die Kommissare viel über die Arbeitsbedingungen bei Billy. Vom Gebietsleiter bis zur Kassiererin stehen alle unter einem erbarmungslosen Leistungsdruck.

Wenig Platz für Menschlichkeit
Für Menschlichkeit ist da wenig Platz, dafür umso mehr für körperliche Übergriffe. Lars Montag: "Wenn unsere Figur Novak mit der Sprühflasche wirft, ist das etwas, was es definitiv schon gegeben hat. In der Regel greifen diese Gebietsleiter ins Obst- und Gemüseregal, weil die Sachen nicht kaputt gehen, keine Körperverletzung hervorrufen, aber ordentlich wehtun und billig sind. Und wenn es Flecken gibt, müssen die Verkäuferinnen sie auch noch daheim heraus waschen, weil sie ihre Kleidung selbst in Ordnung halten müssen."

Der "Tatort" zeigt genau, dass die, die hier schuften, auch die sind, die hier einkaufen müssen, weil sie sonst nicht über die Runden kommen. Auch die Gebietsleiter sind nichts anderes als Getriebene. Zwar verdienen sie etwas mehr, aber das Gesetz "Arbeiten bis zum Umfallen" gilt auch für sie. Die wahren Nutznießer zeigt der Krimi nicht. Sie bleiben unsichtbar.