Süssmuth sieht weiter Defizite bei Gleichberechtigung

"Von der Gleichstellung in der Kirche noch weit entfernt"

Die ehemalige Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth macht sich in der Öffentlichkeit stark für die Gleichberechtigung. In ihrem neuen Buch berichtet sie über ihre Zeit als Politikerin in einer Männerwelt und die Lehren für heute.

Süssmuth: Auch Frauen sollten sich um CDU-Vorsitz bemühen / © Bernd von Jutrczenka (dpa)
Süssmuth: Auch Frauen sollten sich um CDU-Vorsitz bemühen / © Bernd von Jutrczenka ( dpa )

Frauenpreis für Süssmuth und Soziologin Allmendinger

Die frühere Bundestagspräsidentin und Bundesfamilienministerin Rita Süssmuth (CDU) ist für ihr Lebenswerk mit dem rheinland-pfälzischen Marie-Juchacz-Frauenpreis ausgezeichnet worden. Süssmuth habe als Wissenschaftlerin und Politikerin früh die Macht der Fakten für sich entdeckt und mit Studien und Argumenten dafür geworben, mehr Geschlechtergerechtigkeit zu erreichen, sagte die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) anlässlich der Preisverleihung am Dienstagabend in der Mainzer Staatskanzlei laut vorab verbreiteter Mitteilung. Süssmuth

Rita Süssmuth (dpa)
Rita Süssmuth / ( dpa )

DOMRADIO.DE: Wie war das 1985 als Frau kein Minister sein zu wollen, sondern eine Ministerin: War das eine Palastrevolution oder haben Sie damals offene Türen eingerannt?

Rita Süssmuth: Also ich muss sagen, Palastrevolution wäre das Provokativste, was man hier sagen könnte. Es war ungewohnt, das Selbstverständliche blieb aus. Stellen Sie sich vor, ich würde Sie als Mann ständig als Frau anreden, da würden Sie Revolten anzetteln, das sage ich immer meinen Studenten, wenn sie sagen, dass es doch egal sei, wie sie angeredet werden. Aber dann erwidere ich, dass Männer darauf Wert legen als Herr angesprochen zu werden. Und ich sehe eine Selbstverständlichkeit, dass man zwischen Männern und Frauen in der Anrede unterscheidet. Das ist natürliche Kultur, würde ich sagen.

DOMRADIO.DE: Und inzwischen hat sich das ja auch etabliert. Aber lassen Sie uns über Ihr Buch sprechen. Sie beginnen mit der Klimakrise. An der Spitze einer neuen Klimabewegung steht ja eine junge Frau mit einem großen Verdienst in dieser Sache, Greta Thunberg. Und als Sie das schreiben, wussten Sie natürlich nicht, dass in diesem Februar ein Krieg in Europa, ausgelöst von einem Mann, die Klimakrise so dermaßen in den Schatten rückt. Wie geht es Ihnen damit?

Süssmuth: Das sind Vorgänge, die eigentlich tief erschütterlich sind, weil es zwischen Klima und Krieg einen Zusammenhang gibt, denn wir zerstören die Natur, die Kultur, die das Klima entscheidend beeinflussen, bis hin, denken Sie an Tschernobyl, dass man dort nicht mehr leben kann. Deswegen muss ich sagen, ich selbst habe auch nicht mehr gerecht mit einem so raschen Dritten Weltkrieg vor der Tür. Alle Bedenken, Ängste ... doch nicht wieder! Ich habe als Kind den Krieg erlebt, ich wurde 1937 geboren und ich muss sagen, die Schrecken des Krieges sind mir jahrelang in nächtlichen Träumen in meinem Kopf nachgegangen, so dass ich sagen muss, Krieg ist bisher keineswegs reduziert oder ausgerottet worden. Wir Deutschen - und mit uns viele Europäer - haben ein ungemeines Glück gehabt, dass wir jetzt 70 Jahre Frieden hatten. Aber gerade hat die Russin Swetlana Alexijewitsch ein Buch geschrieben: "Der Krieg hat kein weibliches Gesicht". Es ist ein Nobelpreisträgerinnenbuch, ich denke, das kann man gar nicht oft genug lesen. Sehr, sehr kritisch mit uns Menschen auseinander zu setzen in welcher Weise Krieg nicht das letzte - allerletzte - Mittel ist, sondern schnell eingesetzt wird und Kulturen zerstört, Menschen zerstört, die Natur zerstört.

DOMRADIO.DE: Sprechen wir über Frauenquoten und Parität, das ist ja Hauptthema Ihres Buches. Im Bundestag liegen wir inzwischen ja bei etwa 35 Prozent Frauenanteil. Das Kabinett Scholz ist, wenn man ihn rausrechnet, auch paritätisch. Der Bundestag hat jetzt die Frauenquote für Vorstände großer Unternehmen eingeführt. Alles auf einem richtigen Weg? Wie sehen Sie das?

Der Plenarsaal im Bundestag / © Michael Kappeler (dpa)
Der Plenarsaal im Bundestag / © Michael Kappeler ( dpa )

Süssmuth: Ich unterscheide hier nicht zwischen gut und böse, richtig und falsch, aber für unrichtig halte ich, dass wir von 1949 bis 1987 nie mehr als einen Anteil von knapp zehn Prozent hatten. Hoch war er schon bei acht Prozent, zehn Prozent hat er erst 1987 erreicht, 90 Prozent Männer, zehn Prozent Frauen. Mir geht es nicht um die Frage, Männer gegen die Frauen und Frauen gegen die Männer, sondern: Warum tun wir nicht das, dass wir selbstverständlich auf einen gleichen Anteil von Frauen und Männern kommen? Weg mit der Quote. Sehen Sie, es ist eine 20-Prozent-Quote. Die anderen streiten gegen eine 30-Prozent-Quote. Die Grünen haben 58 Prozent, die SPD 46 Prozent, da muss ich doch einfach sagen: Es ist möglich und es kommen Themen auf den Tisch, die sonst nicht darauf kommen. Ich habe das oft genug mit dem Beispiel Alterssicherung für Frauen, die nicht erwerbstätig waren oder weniger. Da hieß es dann, hört auf mit eurem Gedöns, sorgt dafür, dass die Frauen erwerbstätig werden, dann ist das Problem gelöst. Da kann ich nur antworten, es bedeutet, dass diejenigen nicht die geringste Ahnung vom Wert menschlicher Arbeit, sozialer Arbeit und des Aufziehens von Kindern, dem Begleiten, dem Entdecken von Kindern, dem Pflegen von Kranken, Behinderten und älteren Menschen haben. Ja, Pech gehabt, hätte man ja arbeiten müssen, so war der Tenor.

DOMRADIO.DE: Ein letzter Aspekt noch, Frau Professor Süssmuth, Sie sind katholisch, waren auch Mitglied im Zentralkomitee der deutschen Katholiken, ZdK, und dort konnte man es offenbar auch noch nicht so recht glauben, in den 80er-Jahren, als eine Frau der Kommission Ehe und Familie vorstand. Man schrieb Sie offenbar mit "Herr Süssmuth" an, aber das ist lange her. Inzwischen gibt es ja sogar eine Generalsekretärin der Deutschen Bischofskonferenz. Ist die Kirche genügend gleichberechtigt? Ist das so für Sie akzeptabel?

Süssmuth: Sie haben jetzt nach "der Kirche" gefragt. Die christliche Botschaft ja, sie hat einen hohen Anspruch daran, dass Männer und Frauen als Christinnen und Christen eng zusammenarbeiten, besondere Nähe zu Frauen der Welt. Aber wir sind von der Gleichstellung in der Kirche noch weit entfernt. Es wird überlegt, welche Ämter wir denn als Frau einnehmen können. Papst Franziskus unternimmt den Versuch einer Reform. Und wieder geht es um die Position. Aber es sind in hohem Maße nicht gestaltende, sondern verwaltende Ämter. Warum beteiligen wir die Frauen nicht in gleicher Weise, wofür engagierte Christinnen seit Langem eintreten? Mitten in den liturgischen Raum hinein, ins Gebet, in die Messe. Vielfach wird es schon praktiziert, weil es keine Priester mehr gibt, aber das darf doch nicht schrittchenweise aufgrund von extremem Mangel zugestanden werden, wahrscheinlich als Notstandslösung, die wieder abgeschafft wird und gar nicht erst erlaubt wird.

Das Interview führte Tobias Fricke.

Quelle:
DR