DOMRADIO.DE: Die Frau, die 2014 mit ihren Kindern aus Syrien nach Deutschland flüchtet, gibt es wirklich. Sie heißt Nadira. Für sie gab es ein Happy End, denn heute arbeitet sie als Grundschullehrerin. Aber für Soloeltern ist es doch immer schwerer, im neuen Land Fuß zu fassen, als wenn man allein kommt, oder?
Heidi Thiemann (Vorständin Alltagsheld:innen): Ja, das ist eine besondere Situation. Schon Alleinerziehende, die nicht eingewandert sind, haben es in Deutschland schwer. Sie sind die Gruppe, die am stärksten von Armut betroffen ist: Über 40 Prozent leben in Armut oder sind davon bedroht. Gleichzeitig erfahren sie wenig Wertschätzung in der Gesellschaft.
Wenn dann noch eine Fluchtgeschichte hinzukommt, wenn man also kaum etwas mitbringen kann und keine Familie hier hat – etwa Großeltern, die mithelfen könnten –, wird es noch schwieriger. Da wäre deutlich mehr Unterstützung nötig. Es gibt Programme, auch hier in NRW, aber wie Nadiras Geschichte zeigt, reicht das oft nicht. Beratungen sind häufig nicht ausreichend qualifiziert. Und gerade für Alleinerziehende, die gleichzeitig eingewandert sind, fehlen passende Angebote, die beide Aspekte zusammen berücksichtigen.
DOMRADIO.DE: Aber es gibt doch Anlaufstellen, die auch bei der beruflichen Eingliederung beraten.
Thiemann: Ja, die gibt es. Das war auch ein interessantes Ergebnis unserer Studie. Sie war einerseits qualitativ – also mit Einzelinterviews, die die Universität geführt hat – und andererseits quantitativ, durch eine Umfrage. Dabei zeigte sich: Viele Geflüchtete wussten gar nicht, dass es diese Beratungsstellen gibt. Die Stellen erreichen die Menschen oft nicht. Außerdem sind sie zum Teil nicht ausreichend auf diese spezielle Zielgruppe vorbereitet und wissen nicht genau, was sie wirklich brauchen.
DOMRADIO.DE: Und wie sieht es bei der Kinderbetreuung aus? Gerade für Nadira war das ja ein zentrales Thema.
Thiemann: Genau. Auch da zeigt sich ein Problem. Alleinerziehende Geflüchtete oder Eingewanderte haben es schwerer, einen Platz zu bekommen, obwohl sie die Betreuung noch dringender bräuchten. Oft müssen sie länger warten. Sprachkurse bieten zudem meist keine Kinderbetreuung an. Dadurch verzögert sich die Integration, obwohl wir wissen: Sprache ist der Schlüssel, um hier gut anzukommen.
DOMRADIO.DE: Nadira ist nur ein Beispiel. Diese Gruppe hat man oft gar nicht so im Blick. Wie viele konnten Sie in Nordrhein-Westfalen im Rahmen der Studie befragen?
Thiemann: Die Studie gibt nur einen kleinen Einblick, sie liefert also keine repräsentativen Ergebnisse. Unser Schwerpunkt lag auf den qualitativen Interviews. Die Idee dabei ist: Auch einzelne Geschichten können viel über strukturelle Probleme aussagen. Insgesamt haben wir 15 Interviews geführt. Danach gab es noch eine Online-Befragung. Dort haben wir die Themen aus den Interviews aufgegriffen und breiter abgefragt. Dabei kamen rund 150 Rückmeldungen von Geflüchteten und noch einmal etwa 200 von Eingewanderten zusammen.
DOMRADIO.DE: Jetzt liegen die Ergebnisse auf dem Tisch. Welche Schlüsse ziehen Sie daraus?
Thiemann: Die Hochschule hat Empfehlungen erarbeitet. Diese haben wir am Donnerstag in Düsseldorf auf einer großen Veranstaltung diskutiert – mit Vertreterinnen des NRW-Ministeriums, Beratungsstellen und auch mit betroffenen alleinerziehenden Migrantinnen.
Wichtige Punkte sind zum Beispiel eine schnellere Anerkennung von Abschlüssen, wie es in anderen europäischen Ländern bereits praktiziert wird. Außerdem eine bessere Kinderbetreuung, auch in Randzeiten. Denn wenn etwa eine Krankenschwester um sechs Uhr früh auf Station sein muss – wer bringt die Kinder in die Schule oder betreut sie beim Frühstück? Dafür braucht es Lösungen.
Es gibt Modellprojekte in NRW, bei denen jemand morgens in die Familie kommt und diese Zeit überbrückt. Gerade für geflüchtete Alleinerziehende, die noch am Anfang stehen, ist so etwas entscheidend – damit sie Sprachkurse besuchen und beruflich Fuß fassen können.
Das Interview führte Carsten Döpp.