Stammzellgesetz: Bundestag beschließt Verschiebung des Stichtages - Katholische Kirche reagiert enttäuscht

"Kein guter Tag für den Lebensschutz"

Künftig wird in Deutschland umfassender als bislang mit menschlichen embryonalen Stammzellen geforscht. Der Bundestag beschloss am Freitag in Zweiter und Dritter Lesung eine Ausweitung des Imports von embryonalen Stammzellen. Damit wird der gesetzliche Stichtag beim Stammzellimport von 2002 auf Mai 2007 verlegt. Die katholische Kirche und das Zentralkomitee der deutschen Katholiken zeigten sich enttäuscht über die Entscheidung. Erzbischof Marx sagte, die katholische Kirche werde auch weiterhin daran festhalten, dass der menschliche Embryo "ein Jemand, keine Sache ist".

 (DR)

Dem entsprechenden Gesetzentwurf stimmten 346 Abgeordnete aller Fraktionen zu. 228 votierten mit Nein. Sechs enthielten sich. 32 Abgeordnete gaben ihre Stimme nicht ab. Das Gesetz bedarf nicht der Zustimmung des Bundesrates. Vor der Entscheidung standen sich in einer rund zweistündigen Debatte die gegensätzlichen Positionen unvereinbar gegenüber. Redner der unterschiedlichen Konzepte appellierten für mehr Forschung oder eine konsequente Ausrichtung am Lebensschutz.

Bundesforschungsministerin Annette Schavan (CDU) warb als erste Rednerin erneut für eine einmalige Verschiebung des Stichtags. Sie mahnte, auch die ethischen Überzeugungen der Wissenschaftler ernstzunehmen. Es gehe bei der Forschung lediglich um Embryonen, bei denen die Entscheidung bereits getroffen sei, sie nicht für eine Schwangerschaft einzusetzen. Die Voraussetzung zum Leben sei ihnen damit bereits genommen. Auch Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) warb für diesen Weg. Dagegen warnten die Ministerinnen im Bundeskanzleramt Maria Böhmer und Hildegard Müller (beide CDU) entschieden für eine Verschiebung des Stichtags. Wer diesen einmal verschiebe, hebe ihn letztlich auf.

In der häufig von Beifall begleiteten Debatte ergriffen insgesamt 21 Abgeordnete das Wort. 13 plädierten für eine Ausweitung der Forschung an embryonalen Stammzellen, acht dagegen. Das entsprach der Zahl der offiziellen Unterstützer bei den vorher eingereichten Anträgen. Die Meinungsäußerungen gingen quer durch die Fraktionen. Lediglich von der CSU ergriff kein Abgeordneter das Wort.

Am Morgen hatten Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) und der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch, sich gegen eine Liberalisierung ausgesprochen.

Lammert sagte im Deutschlandfunk (DLF), er werde für eine Beibehaltung des derzeitigen Stammzellgesetzes votieren. Zollitsch plädierte für eine konsequente Einstellung der Arbeiten mit embryonalen Stammzellen. Menschliches Leben dürfe nicht zu Forschungszwecken getötet werden.

Katholische Kirche und Laien enttäuscht
Die katholische Kirche hat die Bundestags-Entscheidung zur Ausweitung der Embryonenforschung in Deutschland kritisiert.
Damit setze sich das Parlament nicht für einen konsequenten Lebensschutz ein, sagte der Leiter des Katholischen Büros, Prälat Karl Jüsten, am Freitag in Berlin. Das sei zutiefst zu bedauern. Die katholische Kirche werde in ihrem Werben für umfassenden Lebensschutz nicht nachlassen. Jüsten dankte jenen Abgeordneten, die sich über Fraktionsgrenzen hinweg für den uneingeschränkten Schutz von Embryonen eingesetzt hätten.

"Das ist kein guter Tag für den Lebensschutz in Deutschland." Mit diesen Worten reagierte der Erzbischof von München und Freising, Reinhard Marx, auf die Verabschiedung des Stammzellengesetzes. Er sei über diese Entscheidung, die menschliches Leben zur Disposition stelle, betroffen und enttäuscht, sagte Marx.

Die katholische Kirche werde auch weiterhin daran festhalten, dass der menschliche Embryo "ein Jemand, keine Sache ist". Diese Überzeugung sei nicht fortschrittsfeindlich, sondern diene dem Leben und der Menschenwürde, sagte der Erzbischof. Die Kirche werde auch künftig diese Überzeugung offensiv vertreten. Marx hatte in jüngster Zeit mehrfach vor der Stichtagsverschiebung im Stammzellengesetz gewarnt und zu einem verantwortungsvollen Umgang mit dem menschlichen Leben gemahnt. In seiner Osterpredigt hatte erklärt, es dürfe von Gott her nicht sein, dass der Mensch zum Material werde.

Auch das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) hat mit Enttäuschung reagiert. Die Verschiebung des Stichtages für den Import embryonaler Stammzellen sei nicht gerechtfertigt und mit Blick auf den Lebensschutz das "falsche Signal", erklärte ZdK-Präsident Hans Joachim Meyer am Freitag in Bonn. Er dankte den Abgeordneten, die sich für die Beibehaltung des bisherigen Stichtages eingesetzt hatten.

Nun müsse dafür gesorgt werden, dass die Stichtagsregelung nicht zur "Wanderdüne" werde, ergänzte der Präsident der katholischen Laienorganisation. Denn durch die Verschiebung des Stichtages würden Begehrlichkeiten größer, menschliche Embryonen generell für Forschungszwecke nutzen zu können. Meyer: "Dem werden wir mit aller Entschiedenheit widersprechen, denn die Substanz des geltenden Embryonenschutzgesetzes darf nicht weiter ausgehöhlt werden."

Bischof Huber: Respekt vor der Entscheidung in einer schwierigen Frage
Der Vorsitzende des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Bischof Wolfgang Huber, äußerte nach der Entscheidung seinen Respekt. Ziel müsse es sein, die Grundlagenforschung mit embryonalen Stammzellen so schnell wie möglich hinter sich zu lassen, um den Schwerpunkt auf die Forschung mit adulten Stammzellen zu legen. Politik und Wissenschaft, so der Ratsvorsitzende, sollen sich nun klar dafür einsetzen, dass diese Stichtagsverschiebung einmalig bleibt.

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