Stadtdechant sieht zunehmende Polarisierung in Bad Godesberg

"Seit langem Separierung und Radikalisierung“

Berichte über radikalisierte muslimische Schüler an einem Gymnasium in Bad Godesberg sorgen derzeit für Aufregung. Bonns Stadtdechant Wolfgang Picken war dort Pfarrer. Er kritisiert politische Versäumnisse und mangelnde Dialogkultur.

Schüler melden sich im Unterricht am Aloisiuskolleg in Bonn am 8. Juli 2019. / © Julia Steinbrecht (KNA)
Schüler melden sich im Unterricht am Aloisiuskolleg in Bonn am 8. Juli 2019. / © Julia Steinbrecht ( KNA )

DOMRADIO.DE: Sie kennen Bad Godesberg seit knapp zwanzig Jahren als Seelsorger, unter anderem als leitender Pfarrer. Wenn man nun die Berichte über radikalisierte muslimische Schüler am städtischen Nicolaus-Cusanus-Gymnasium hört, die andere Mitschüler drangsaliert haben sollen, wie muss man sich Bad Godesberg und die Stadtgesellschaft vorstellen?

Wolfgang Picken, Stadtdechant von Bonn / © Harald Oppitz (KNA)
Wolfgang Picken, Stadtdechant von Bonn / © Harald Oppitz ( KNA )

Dr. Wolfgang Picken (Stadtdechant von Bonn und ehemals leitender Pfarrer in Bad Godesberg): Die Verhältnisse im Nicolaus Cusanus-Gymnasium, das muss man vorausschicken, decken Probleme auf, die es nicht nur in Bad Godesberg gibt.

Vergleichbares gibt es an vielen Schulen im ganzen Bundesgebiet. Das darf uns nicht wundern. Was die Situation einer Gesellschaft und die soziale Struktur eines Sozialraums bestimmt, wirkt sich selbstverständlich auch auf die Realitäten eines Schulalltags aus.

Stadtdechant Wolfgang Picken

"In Bad Godesberg kann man seit langem die Separierung und Radikalisierung mancher Bevölkerungsteile beobachten."

Das bedeutet konkret: Wenn es vor Ort eine Polarisierung zwischen Gesellschaftsschichten, Kulturen und Religionen gibt, dann findet sich das spiegelbildlich auch an den Schulen wieder. Gleiches gilt für Extremismus. In Bad Godesberg kann man seit langem die Separierung und Radikalisierung mancher Bevölkerungsteile beobachten.

Es war nur eine Frage der Zeit, bis sich das auch auf das Verhalten der Schülerinnen und Schüler auswirken wird. Deshalb muss man es als eklatantes Versäumnis der Sozial- und Bildungspolitik bezeichnen, dass man dem Vorhersehbaren nicht frühzeitig begegnet ist, beispielsweise durch eine zusätzliche Schulsozialarbeit und eine gezielte Fortbildung des Lehrpersonals.

DOMRADIO.DE: Wie haben Sie während Ihrer Zeit als Pfarrer von Bad Godesberg den Austausch zwischen den Religionen erlebt?

Picken: Offiziell sind sich Religionen und Konfessionen höflich begegnet. Sie standen im losen Kontakt miteinander. Eine konstante Dialogkultur aber war schwierig aufrechtzuerhalten.

Stadtdechant Wolfgang Picken

"Die Atmosphäre in der Bevölkerung blieb von Vorurteilen, Ängsten und Abgrenzung geprägt."

Auch konnte man nur sehr wenig feststellen, dass der respektvolle Umgang auf offizieller Ebene Auswirkungen auf das konkrete Verhalten der Einzelnen gezeigt hätte. Die Atmosphäre in der Bevölkerung blieb von Vorurteilen, Ängsten und Abgrenzung geprägt.

DOMRADIO.DE: Es gibt nur zwei städtische Gymnasien in Bad Godesberg, zudem gibt es Kritik an einer schlechten Durchmischung der Schülerschaft – wie sehen Sie die Schullandschaft in Bonn und Bad Godesberg aus kirchlicher Sicht?

Aussicht auf die Burg Godesburg in Bad Godesberg / © Majonit (shutterstock)
Aussicht auf die Burg Godesburg in Bad Godesberg / © Majonit ( shutterstock )

Picken: Die Schülerschaft in den städtischen Schulen von Bad Godesberg ist aufgrund des großen Angebots privater Schulen sicherlich weniger durchmischt, als das in anderen Regionen der Fall ist. Das ist fraglos ein Problem.

Allerdings wäre es lösbar, wenn der städtische Träger auf die Schülerstruktur mit entsprechenden pädagogischen und sozialen Angeboten reagieren würde. Hier fehlt es leider an Initiative und an finanziellen Mitteln.

Stadtdechant Wolfgang Picken

"Die Politik der Stadt Bonn produziert Eskalationen, die mit guter Prävention verhindert werden könnten und müssten."

Die Politik der Stadt Bonn und auch die in anderen Kommunen setzt unter dem Hinweis auf eine Nachhaltigkeit oft andere Schwerpunkte. Sie hat meines Erachtens zu wenig die Ressource Mensch im Blick und produziert Eskalationen, die mit guter Prävention verhindert werden könnten und müssten.

DOMRADIO.DE: Laut Medien-Berichten sollen strenggläubige Muslime an dem besagten Gymnasium Druck auf Schülerinnen aufgrund der Bekleidung ausgeübt haben und auch sonst durch verbotene Gebete aufgefallen sein. Welche Möglichkeit hat die Katholische Kirche, in so einer aufgeheizten Atmosphäre zu einem besseren Miteinander beizutragen?

Picken: Die katholische Kirche hat nur sehr begrenzte Möglichkeiten, weil sie naturgemäß wenig Verbindungen zu diesen muslimischen Schülern hat.

Ihre Aufgabe ist es, einen politischen Druck aufrechtzuerhalten, damit die nötigen Investitionen in die Bildung und soziale Entwicklung erfolgen. Auch kann sie sich an Lösungsmodellen beteiligen und dabei eigene Erfahrungen einbringen, vielleicht auch Ressourcen zur Verfügung stellen.

Stadtdechant Wolfgang Picken

"Die Kirchen müssen dringend den Dialog mit den muslimischen Gemeinden intensivieren"

Schließlich müssen die Kirchen dringend den Dialog mit den muslimischen Gemeinden intensivieren und dort dafür werben, dass die Jugendarbeit der Moscheegemeinden den Dialog und den Respekt unter den Religionen fördern und die Gewaltprävention verstärken.

Insgesamt zeigen eine zunehmende Polarisierung und Radikalisierung, dass wir als Gesamtgesellschaft mehr darüber nachdenken müssen, wie wir in einer multikulturellen Gesellschaft ein gutes sozialen Miteinander garantieren können. Hier könnte die Kirche Motor und Impulsgeber sein.

Die Fragen stellte Mathias Peter.

Quelle:
DR