Die umstrittene religionskritische Oper "Sancta" bewegt auch in der zweiten Spielzeit Kulturschaffende und katholische Kirche. Das Stück war von Theaterkritikern zur "Inszenierung des Jahres" für die Saison 2024/25 gewählt worden.
"Auch wenn das Publikum insbesondere in Stuttgart mit Ohnmachten zu kämpfen hatte, begeisterte das Gesamtkunstwerk über alle Genregrenzen hinaus", hieß es im August in der Zeitschrift "Theater heute". Doch auch nach der zweiten Spielzeit gehen die Meinungen über "Sancta" auseinander.
Während die Staatsoper die Kunstfreiheit lobt, spricht die Kirche von einer "Verhöhnung der katholischen Messe". Wegen drastischer Darstellungen von Gewalt und Sexualität auf der Bühne war die Opernperformance erst ab 18 Jahren freigegeben.
Regisseurin Florentina Holzinger verquicke die Oper "Sancta Susanna" von Paul Hindemith (1895-1963) und Elemente der katholischen Liturgie "zu einer radikalen Vision der heiligen Messe", so die Staatsoper.
2025 Sanitäter und Theaterarzt im Einsatz
Schon bei den ersten beiden Aufführungen 2024 an der Staatsoper gab es insgesamt 18 Einsätze des Besucherservice. Damals verließen manche Zuschauer den Saal, weil ihnen schlecht wurde. In drei Fällen wurde sogar der Notarzt gerufen. Und in der Spielzeit 2025 lief "Sancta" gleichfalls nicht ohne Vorfälle im Zuschauerraum ab.
"Es gab auch in der zweiten Vorstellungsserie einige Fälle von Kreislaufproblemen, die allesamt durch unseren Besucherservice und die Sanitäter beziehungsweise den Theaterarzt behandelt wurden", sagt Sebastian Ebling, Pressesprecher der Oper Stuttgart, auf Anfrage der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Er betonte zugleich: "Notfälle gab es keine."
Oper: Kunstfreiheit verteidigen
Von Theaterkritikern ausgezeichnet wurde "Sancta" allerdings auch für das "Bühnenbild des Jahres“ – mit "Kletterwand, Halfpipe, Neonkruzifix, Roboter und Weihrauchfass".
Stuttgarts katholischer Stadtdekan Christian Hermes hatte das Stück nach der zweiten Aufführung 2024 kritisiert. Mitarbeitende und Besucher würden "brutal an und über die Grenzen des ästhetisch und psychisch Erträglichen geführt", religiöse Gefühle "entgegen aller sonst gepflegten politischen Korrektheit obszön verletzt".
Doch hat der Wirbel um "Sancta" der Theaterszene eher genützt? "Wenn die öffentliche Aufmerksamkeit dazu geführt hat, dass manche Besucherinnen und Besucher zum ersten Mal ein Opern- oder Theaterhaus betreten haben, dann kann man das durchaus als Gewinn bezeichnen", sagt Ebling.
Auf der anderen Seite hätten die Vorfälle gezeigt, "dass es Werte wie Toleranz, Kunstfreiheit, Diversität sowie Demokratie und Diskursfähigkeit ständig aufs Neue zu verteidigen gilt".
Den Islam "nicht ins Visier genommen"
Hermes zeigte sich verwundert über diese Aussage: "Es ist im Rahmen der theaterpolitischen Performance interessant, wie die Oper das große moralische Bühnenbild der Verteidigung von 'Toleranz, Kunstfreiheit und Demokratie' auffährt, als ob Kritik an der Produktion antidemokratisch wäre". So einfach sei es wohl nicht.
"Beruhigt bin ich, dass nach der Verhöhnung der katholischen Messe nun nicht als Nächstes wichtige Überzeugungen anderer Religionen wie des Judentums oder des Islams in ähnlicher Weise ins Visier genommen wurden", sagte Hermes der KNA. "Das wäre zwar wahrscheinlich eine noch mutigere Beanspruchung von Toleranz und Kunstfreiheit gewesen, hätte aber ganz andere Diskussionen nach sich gezogen."
Hassnachrichten für Regisseurin und Team
Friedliche Mahnwachen vor dem Opernhaus hat es auch in der zweiten Aufführungsserie gegeben. Die Vorstellungen hätten sie aber nicht gestört, so Ebling. Die "schärfsten Reaktionen" erhielt die Staatsoper von Einzelpersonen, die sich in zahlreichen Briefen, Anrufen und Kommentaren in den Sozialen Netzwerken bemerkbar machten.
"Unter Hass- und Gewaltnachrichten hatten vor allem Frau Holzinger und ihr Team zu leiden", erklärt Ebling. Ein Teil der negativen Nachrichten und Kommentare an die Adresse der Staatsoper Stuttgart habe vor allem versucht, "uns als Institution zu delegitimieren".
Es sei anzunehmen, "dass von diesen Personen so gut wie niemand die Produktion tatsächlich gesehen hat, denn bei sämtlichen Vorstellungen war die unmittelbare Reaktion des Publikums überwältigend positiv", so Ebling. Die Staatsoper hätten auch "positive Rückmeldungen von Christen erreicht", die einen "diskursiven Umgang mit der Kirche" schätzten.