Staatskirchenrechtler Heinig kritisiert Religionsunterricht

"Weg von der Kummer- und Kümmerstunde"

Nach Ansicht von Staatskirchenrechtler Hans Michael Heinig hat sich der Religionsunterricht in der Praxis immer weiter "vom ursprünglichen verfassungsrechtlichen Idealzustand" entfernt. Er fordert eine Rückkehr zu mehr religiöser Bildung.

Katholischer Religionsunterricht / © Elisabeth Schomaker (KNA)
Katholischer Religionsunterricht / © Elisabeth Schomaker ( KNA )

Ein Grund für die momentane Praxis sei eine veränderte "empirische Ausgangslage", schreibt Heinig in einem Gastbeitrag der "Zeit"-Beilage "Christ & Welt". "Die Volkskirchen schrumpfen, die Zahl der Konfessionslosen steigt, und Migrationsbewegungen haben zu einer neuen Qualität religiöser Vielfalt geführt."

"Kummer- und Kümmerstunde"

Im Ergebnis sei Religionsunterricht "heutzutage zu weiten Teilen von Lehrern begleitete individuelle Sinnsuche" der Schüler, das Aufspüren "impliziter religiöser Erfahrungen im Alltag der Heranwachsenden" oder schlicht die "Kummer- und Kümmerstunde" im hektischen Schulalltag, schreibt der 46-Jährige. Er solle dann auch noch den Schulfrieden sicherstellen.

Diese Wirklichkeit, so Heinig, scheine meilenweit von dem entfernt, was das Bundesverfassungsgericht Ende der 1980er Jahre über den Religionsunterricht geschrieben habe: Dessen Gegenstand sei der Bekenntnisinhalt und die Glaubenssätze der jeweiligen Religionsgemeinschaft in ihrem religiösen Wahrheitsanspruch.

Im Sinne des Grundgesetzes meine dies etwas anderes als die "überkonfessionelle, vergleichende Betrachtung der verschiedenen Religionskulturen, als Morallehre und Sittenunterricht oder als ein Fach 'Kulturgeschichte des Christentums'".

Mehr religiöse Bildung

Dabei hält Heinig Religionsunterricht gerade heute für wichtig: Religiöse Bildung schütze vor "tumbem Fundamentalismus" und befähige zur "Mündigkeit in religiösen Fragen". Mit der "forcierten religiös-weltanschaulichen Vielfalt unserer Zeit" könne nur souverän umgehen, wer gelernt habe, sich selbst zu positionieren und eine "reflektierte eigene Identität" auszubilden.

In der Praxis scheine jedoch weniger das "Vertrautmachen mit religiösen Traditionsbeständen", sondern "Wertevermittlung" im Vordergrund zu stehen.

Die Kirchen verkennten ihre Rolle in der modernen Gesellschaft jedoch, wenn sie sich als "Bundeswerteagenturen" gerierten. Ebenso gehe der Religionsunterricht fehl, wenn er sich vor allem für zuständig halte, "Sitte und Anstand in der Schule zu heben", so Heinig. Der Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Kirchenrecht und Staatskirchenrecht in Göttingen weiter: "In einer religiös hyperdiversen und zugleich stark säkularisierten Gesellschaft wird Religionsunterricht, in welcher organisatorischen Gestalt auch immer, nur eine Zukunft haben, wenn er mehr als Ethik, Religionskunde und Glückskeksweisheiten bietet."


Quelle:
KNA