Sprachliche Analyse gibt Grundgesetz schlechte Noten

"Schwer verständlich"

75 Jahre nach der Verabschiedung des Grundgesetzes liegt nun eine sprachliche Analyse des Textes vor. Besonders gut schneidet die deutsche Verfassung dabei nicht ab. In einigen Bereichen kann sie jedoch punkten.

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Von Niklas Hesselmann
Symbolbild Gesetzestext (shutterstock)

Wahlprogramme, Corona-Pressemitteilungen, Doktorarbeiten in der Politikwissenschaft: All diese Texte gehören mitunter nicht zu den verständlichsten Veröffentlichungen. Neben ihrer Unverständlichkeit haben sie jedoch eine weitere Gemeinsamkeit: Sie alle sind verständlicher geschrieben als das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland.

Artikel 2 schneidet am besten ab

Die deutsche Verfassung erhält auf dem Hohenheimer Verständlichkeitsindex (HIX) einen Wert von 3,8 auf einer Skala von 0 (schwer verständlich) bis 20 (leicht verständlich). Vier Artikel erhalten das eindeutige Urteil 0,0. Unter ihnen ist Artikel 35, der auch den Einsatz der Bundeswehr innerhalb Deutschlands bei Naturkatastrophen regelt.

Besser steht es da um Artikel 2: "Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit" ist einer der Sätze des Artikels. Unter allen 146 Artikeln und 56 Unterartikeln schneidet er mit einem Wert von 16,9 am besten ab. In den ersten 19 Artikeln des Grundgesetzes werden die elementaren Grundrechte zusammengefasst. Insgesamt schneiden sie mit einem Wert von 4,7 kaum besser ab als das Grundgesetz als Ganzes.

Das formal verständlichste Kapitel ist Kapitel IV über den Bundesrat (11,8). Zu den unverständlichsten zählt die Präambel. Das liege unter anderem an der Aufzählung aller Bundesländer.

Artikel 1 des Grundgesetzes: "Die Würde des Menschen ist unantastbar" / © Christian Thiel (shutterstock)
Artikel 1 des Grundgesetzes: "Die Würde des Menschen ist unantastbar" / © Christian Thiel ( shutterstock )

"Human dignity shall be inviolable" - Die Würde des Menschen ist unantastbar - heißt es nur in der englischen Version des Grundgesetzes, die der Bundestag vertreibt. Ansonsten gilt nämlich: Kein einziger Anglizismus findet sich in dem Dokument aus dem Jahr 1949 wieder. Das stellt der Kommunikationswissenschaftler Frank Brettschneider von der Universität Hohenheim als positiv für die Verständlichkeit des Textes heraus. 

Mehrheit der Sätze sind viel zu lang

Anders sieht es bei der Länge der Sätze aus: Fast vier von zehn Sätzen des Grundgesetzes enthalten laut Untersuchung mehr als 20 Wörter und gelten damit als zu lang. Diese Grenze sollten für eine gute Verständlichkeit maximal drei Prozent der Sätze in einem Text überschreiten. Die durchschnittliche Satzlänge im Grundgesetz betrage 19,5 Wörter; der längste Satz bestehe sogar aus 88 Wörtern.

Nicht nur die Länge der Sätze sieht Brettschneider problematisch: Über die Hälfte enthalte zu viele Substantive. "Sie lassen den Text schwerfällig erscheinen. Sie sind typisch für Amtsdeutsch und Rechtstexte»", so der Kommunikationswissenschaftler.

Lange Wörter kämen hingegen kaum vor, mit drei Prozent werde hier ein guter Wert erreicht. Als Beispiele für Wörter mit mehr als 16 Buchstaben nennt er das "Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz" (Art 125c) oder das "Bergarbeiterwohnungsbaurecht" (Art 74).

Inhalt wichtiger als Formalien

Brettschneider weist darauf hin, dass mit dem HIX lediglich die Text-Merkmale untersucht würden. Um einen Text zu verstehen kämen Merkmale der Leserinnen und Leser hinzu, wie Bildung, Alter, Vorwissen und Interesse am Thema. 

Auch sage die formale Verständlichkeit nicht allein etwas über die Qualität eines Textes aus. Der Inhalt sei noch wichtiger. Menschen würden jedoch formal verständliche Texte besser verstehen und wiedergeben.

Grundgesetz

Das Grundgesetz ist die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland. Es enthält die wichtigsten Regeln für das Zusammenleben und ist so Grundlage der freiheitlich-demokratischen Grundordnung in Deutschland. In insgesamt 146 Artikeln sind die Grundrechte der deutschen Bürger, die Aufgaben von staatlichen Institutionen und andere Gesetze verankert. Das Grundgesetz begrenzt staatliche Machtausübung durch demokratische Kontrolle.

Grundgesetz / © Jens Kalaene (dpa)
Grundgesetz / © Jens Kalaene ( dpa )
Quelle:
KNA