Spitzelvorwürfe halten Polens Bischöfe in Atem

Lange Schatten der Vergangenheit

Genau zwei Jahre nach dem spektakulären Rücktritt des Warschauer Erzbischofs Stanislaw Wielgus gibt es in Polen neuen Streit um die Aufarbeitung mutmaßlicher Geheimdienst-Kontakte von Geistlichen. Diesmal geht es um den einflussreichen langjährigen Apostolischen Nuntius in Warschau, Erzbischof Jozef Kowalczyk (70), und die Frage, ob er ein Informant des früheren kommunistischen Geheimdienstes SB war.

Autor/in:
Oliver Hinz
 (DR)

Ein Versuch von Kirchenhistorikern, den Vatikan-Diplomaten mit einem Freispruch zu entlasten, führte zunächst nicht zum erhofften Ergebnis. Denn das staatliche Institut des Nationalen Gedenkens (IPN), das die Geheimdienstakten verwaltet,
bremste: Es sei nicht ausgeschlossen, dass Kowalczyk in den 1980er Jahren wissentlich mit dem SB zusammenarbeitete.

Die Polnischen Bischofskonferenz verteidigte am Freitag Kowalczyk. Der Nuntius habe nicht mit dem SB zusammengearbeitet, erklärte das Präsidium. Der neue Fall zeigt aber, dass für die katholischen Bischöfe in Polen auch zwei Jahre nach dem Skandal um Wielgus das Kapitel der kommunistischen Vergangenheit noch immer nicht abgeschlossen ist. Zur Erinnerung: Erzbischof Wielgus erklärte am 7.
Januar 2007 in der Warschauer Kathedrale seinen Amtsverzicht während eines Gottesdienstes, bei dem er eigentlich inthronisiert werden sollte. Es war ein einmaliger Vorgang in der über tausendjährigen Kirchengeschichte Polens. Für Wielgus kam das Aus, nachdem er den Vorwurf einer von ihm zunächst geleugneten Geheimdienst-Verstrickung am Ende doch nicht widerlegen konnte.

Damals geriet auch der Nuntius, der bei Personalentscheidungen eine Schlüsselrolle spielt, in die Kritik. Man warf Kowalzcyk vor, Wielgus nicht ausreichend geprüft und den Vatikan nicht richtig informiert zu haben. Tatsächlich blieb die SB-Akte des Kandidaten damals ungesichtet.

Zur Prüfung seiner eigenen Geheimdienstakte entschloss sich Kowalczyk erst vor wenigen Tagen, als die konservative Tageszeitung «Rzeczpospolita» beim IPN die Akteneinsicht beantragte. Fünf Kirchenexperten stellten in Kowalczyks Auftrag fest, der SB habe den seit 1989 amtierenden Nuntius ab Dezember 1982 als «Informationskontakt» mit dem Decknamen «Cappino» geführt. Als damaliger Leiter der polnischen Abteilung des vatikanischen Staatssekretariats habe er auch Gespräche mit Vertretern des polnischen Staates führen müssen. «Diese Art von Kontakt kann man auf keinen Fall als Spitzel-Tätigkeit werten», heißt es in dem Expertenbericht. Im Januar 1990 habe der SB alle von Kowalczyk stammenden Materialien vernichtet, da sie «unbrauchbar» gewesen seien, zitiert die Kommission aus seiner verbliebenen SB-Akte. Diese umfasst demnach nur noch zehn Seiten.

Kritik am Expertenbericht kam auch vom Krakauer Pfarrer Tadeusz Isakowicz-Zaleski, der sich seit Jahren der Aufarbeitung der Geheimdienst-Vergangenheit von Geistlichen widmet. Es sei unwahrscheinlich, dass die Führungsoffiziere von «Cappino» ihre Vorgesetzten so lange über eine nur fiktive Zusammenarbeit hätten belügen können. Die «Rzeczpospolita» schrieb, man könne weder behaupten, Kowalczyk sei ein Informant gewesen, noch er sei keiner gewesen. Dafür fehlten die verbrannten Unterlagen.

Der Nuntius betonte, er habe Papst Johannes Paul II. (1978-2005) über seine Gespräche mit polnischen Offiziellen pflichtgemäß informiert. «Ich habe das Vertrauen des Heiligen Vaters nicht verraten», sagte er. Die Prüfung seiner Akte habe er aus Solidarität mit den polnischen Bischöfen veranlasst. Der Episkopat hatte sich bereits 2007 durchleuchten lassen. Die Historische Kommission teilte mit, dass laut den SB-Akten mehr als zehn Bischöfe mit dem Geheimdienst zusammengearbeitet hätten. Ob wissentlich oder nicht, könne man jedoch nicht sagen. Eine genaue Zahl und die Namen nannte die Kommission nicht. Unter anderen der Vorsitzende der Bischofskonferenz, Jozef Michalik (Przemysl) sowie die Erzbischöfe Jozef Zycinski (Lublin) und Henryk Muszynski (Gniezno) machten jedoch öffentlich, dass sie vom Geheimdienst gegen ihren Willen registriert wurden.

Die Presse widmet sich unterdessen auch der Aufarbeitung der Geheimdienst-Vergangenheit in der evangelischen und orthodoxen Kirche. Bei den Orthodoxen sei die Lage «viel schlimmer», sagte der Kirchenexperte Czarek Gmyz von der «Rzeczpospolita» auf Anfrage. Bei ihnen hätte etwa die Hälfte der Priester mit dem SB kooperiert. Und die Bischöfe würden sich diesem Problem nicht stellen wollen. Bei der evangelischen Kirche hätten wie bei der katholischen etwa zehn Prozent der Geistlichen mit dem Geheimdienst zusammengearbeitet, so Gmyz.

Von den Priestern, die mit dem SB gemeinsame Sache machten, wurden laut Historikern etliche erpresst. Dazu zählten Drohungen, ihre Alkoholprobleme sowie finanzielle oder sexuelle Vergehen publik zu machen. Die Agententätigkeit von Geistlichen schockierte Polen besonders deshalb, weil der einstige Warschauer Erzbischof Stefan Wyszynski (von 1948 bis 1981) ein unbeugsamer Gegner der Kommunisten war. Er ging 1953 für drei Jahre ins Gefängnis, statt dem Regime zu dienen.