Sonderermittler wollen den Fall Edmund Dillinger aufklären

"Können nur auf Mithilfe der Betroffenen zählen"

Im mutmaßlichen Missbrauchsfall hat die Aufarbeitungskommission im Bistum Trier Sonderermittler beauftragt. Jürgen Brauer und Ingo Hromada, früher Staatsanwälte in Koblenz und Trier, erläutern die Herausforderungen und ihr Vorgehen.

Jürgen Brauer und Ingo Hromada, Ermittler im Missbrauchsfall Dillinger, am 11. Mai 2023 in Trier. / © Anna Fries (KNA)
Jürgen Brauer und Ingo Hromada, Ermittler im Missbrauchsfall Dillinger, am 11. Mai 2023 in Trier. / © Anna Fries ( KNA )

KNA: Herr Brauer, was genau ist Ihr Auftrag?

Jürgen Brauer, Ermittler im Missbrauchsfall Dillinger, am 11. Mai 2023 in Trier. / © Anna Fries (KNA)
Jürgen Brauer, Ermittler im Missbrauchsfall Dillinger, am 11. Mai 2023 in Trier. / © Anna Fries ( KNA )

Jürgen Brauer (ehemaliger Generalstaatsanwalt in Koblenz): Die gefundenen Bilder lassen vermuten, dass Dillinger in sehr, sehr großem Umfang sexuellen Missbrauch betrieben haben könnte.

Die Unabhängige Aufarbeitungskommission ist der Ansicht, dass sie den Fall mit ihren Mitteln nicht aufklären kann und hat uns damit beauftragt.

Wir legen nur ihr gegenüber Rechenschaft ab. Vereinbart haben wir, nach drei Monaten erstmals zu berichten. Nach neun Monaten soll das Projekt beendet sein. Ob das gelingt, ist noch offen.

KNA: Was wollen Sie herausfinden?

Jürgen Brauer: Was vorgefallen ist, wer was gewusst und wer wie reagiert oder nicht reagiert hat. Wir müssen erst wissen, was überhaupt passiert ist. Daraus kann man Konsequenzen ziehen und überlegen, was hätte besser gemacht werden sollen.

KNA: Wie gehen Sie das an?

Brauer: Wir sind keine staatlichen Ermittler mehr, sondern gehen diesen Fragen als Privatpersonen nach. Wir können also nichts durchsuchen lassen, keine Polizei hinschicken, keine Zeugen vorladen und keine richterlichen Vernehmungen beantragen. Wir können nur auf Mithilfe der Betroffenen und derjenigen zählen, die etwas wissen. Und wir können um Akteneinsicht bitten.

Jürgen Brauer

"Wir können nur auf Mithilfe der Betroffenen und derjenigen zählen, die etwas wissen. Und wir können um Akteneinsicht bitten."

Für die Bistumsakten ist uns das zugesichert. Das ist auch Geschäftsgrundlage. Sollte das anders sein, würde ich meine Arbeit niederlegen. Dafür gibt es aber bisher keine Anzeichen. Ansonsten sind wir darauf angewiesen, dass wir Unterlagen von Staatsanwaltschaften, Bildungsministerium, Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion und Schulaufsicht bekommen.

KNA: Wo fangen Sie an?

Brauer: Als erstes haben wir die Zeitungsartikel nach der Veröffentlichung des Falls durch den Neffen des Priesters ausgewertet und Kontakt zu einigen Menschen hergestellt, die angeben, etwas zu wissen.

So haben wir im Saarland sechs Personen gefunden: Schüler und Kollegen Dillingers aus dessen Zeit als Religionslehrer am Gymnasium in Saarlouis von 1979 bis 1999. Wir haben öffentlich aufgerufen, dass sich Betroffene melden.

Ingo Hromada, Ermittler im Missbrauchsfall Dillinger, am 11. Mai 2023 in Trier. / © Anna Fries (KNA)
Ingo Hromada, Ermittler im Missbrauchsfall Dillinger, am 11. Mai 2023 in Trier. / © Anna Fries ( KNA )

KNA: Wie gehen Sie mit Hinweisen auf Verbindungen nach Afrika und nach Paris um? Reisen Sie hin?

Ingo Hromada (ehemaliger Oberstaatsanwalt in Trier): Aber wohin überhaupt? Aktuell kennen wir nur Andeutungen. Da ist die Rede von Togo oder Kamerun. Damit lässt sich aber wenig anfangen. Konkrete Hinweise fehlen.

Wir bräuchten Informationen von Betroffenen oder Mitwissenden, die den Ort, den ungefähren Zeitraum und eventuell andere Beteiligte nennen können.

Auch Unterlagen und Dokumente könnten weiterhelfen, außer den Bildern etwa Tagebücher oder Briefe. Ansonsten stochern wir im Nebel.

KNA: Wie sieht es mit den zahlreichen Vereinen aus, in denen Dillinger aktiv war?

Brauer: Wir werden proaktiv auf Menschen zugehen und mit allen in Kontakt treten, von denen wir annehmen, dass sie etwas Substanzielles beitragen können. Aber wenn Leute nicht mit uns reden wollen, so müssen wir das hinnehmen.

Jürgen Brauer

"Nichts Substanzielles, kein Missbrauch. Aber von Gerüchten, die damals kursierten, Andeutungen in der Abiturzeitung. Da kann man ansetzen und fragen: Wurde den Gerüchten nachgegangen?"

KNA: In einem Brief der Trierer Staatsanwaltschaft von 2012 heißt es, Ermittlungen an Dillingers Schule im Saarland hätten keine weiteren Ansätze ergeben. Was bedeutet das für Ihre Arbeit?

Brauer: Wenn eine Staatsanwaltschaft mit ihren deutlich umfassenderen Mitteln nichts herausbekommt, dann kann es sein, dass auch wir nichts finden. Aber gerade mit Blick auf die Schule im Saarland haben wir Kontakt mit einem ehemaligen Schüler, der schon Dinge erzählt hat.

Nichts Substanzielles, kein Missbrauch. Aber von Gerüchten, die damals kursierten, Andeutungen in der Abiturzeitung. Da kann man ansetzen und fragen: Wurde den Gerüchten nachgegangen?

KNA: Können Sie etwas zur Vermutung eines Pädophilen-Netzwerks sagen?

Hromada: Nein, das ist zu früh. Es ist offen, ob wir da einen Fuß in die Tür bekommen.

KNA: Berücksichtigen Sie auch Dillingers Zeit im Erzbistum Köln?

Brauer: Ja, wir sind mit den Stellen dort in Kontakt.

KNA: Mit welchen Herausforderungen haben Sie zu tun?

Hromada: Das Ganze ist weit verzweigt und teilweise lange her. Einige Stationen liegen 50 Jahre zurück. Außerdem ist fraglich, ob Betroffene, die sich bisher nicht gemeldet haben, das nach so langer Zeit tun wollen.

KNA: Was kann Aufarbeitung in dem Fall überhaupt leisten?

Brauer: Wenn es gelingt, Betroffene zu finden, kann die Aufarbeitung den Opfern möglicherweise weiterhelfen. Sie könnten Entschädigungen von der Kirche bekommen. Es könnte dazu führen, Strukturen zu erkennen, die Missbrauch begünstigen.

Man könnte ein Frühwarnsystem entwickeln. Zuerst müssen wir aber klären, was passiert ist.

Chronik der Missbrauchs-Aufarbeitung bundesweit und in Freiburg

Januar 2010: Der Jesuit Klaus Mertes macht öffentlich, dass es an seiner Schule in Berlin sexualisierte Gewalt und Missbrauch gab - und die Fälle lange verschleiert wurden. Der Skandal löst eine Welle von Enthüllungen in der Kirche und in anderen Institutionen aus.

Februar 2010: Die katholischen Bischöfe bitten bei ihrer Vollversammlung in Freiburg um Entschuldigung. Ein Sonderbeauftragter (Bischof Stephan Ackermann aus Trier) wird benannt, eine Hotline für Betroffene eingerichtet.

Blick auf ein Wandkreuz während der Vorstellung des Missbrauchsgutachtens im Erzbistum München und Freising / © Sven Hoppe (dpa)
Blick auf ein Wandkreuz während der Vorstellung des Missbrauchsgutachtens im Erzbistum München und Freising / © Sven Hoppe ( dpa )
Quelle:
KNA