Solinger Oberbürgermeister will mehr Solidarität mit Juden

"Fester Bestandteil unserer Kultur"

Die Stadt Solingen feiert in diesem Jahr das jüdische Chanukka-Fest zum ersten Mal öffentlich. Tim Kurzbach hofft darauf, dass sich daraus eine Tradition entwickelt und will auf die Schönheiten jüdischer Bräuche hinweisen.

Chanukkaleuchter / © Julia Steinbrecht (KNA)
Chanukkaleuchter / © Julia Steinbrecht ( KNA )

DOMRADIO.DE: Die erste öffentliche Chanukka-Feier in Solingen. Warum in diesem Jahr?

Tim Kurzbach / © Stadt Solingen
Tim Kurzbach / © Stadt Solingen

Tim Kurzbach (Oberbürgermeister der Stadt Solingen und Vorsitzender des Diözesanrates des Erzbistums Köln): Es ist schon lange eine Idee, die mich umtreibt, dass wir mehr von der Schönheit des jüdischen Lebens, dem Bestandteil unserer Kultur, auch offen zeigen.

Zu oft sprechen wir über das Judentum dann, wenn irgendetwas Schlimmes passiert ist oder ein Gedenken stattfindet. Das ist leider viel zu oft, weil wir in der Tat damit zu tun haben, dass Antisemitismus in unserer Gesellschaft steigt. Dagegen braucht es eine starke Brandmauer.

Tim Kurzbach, Solinger Oberbürgermeister

"Es lohnt sich, die Schönheiten jüdischen Lebens auch noch mehr öffentlich darzustellen."

Aber eben nicht nur das Kämpfen dagegen und das Mahnen, sondern das Herausstellen, dass das seit Jahrtausenden zu uns gehört und dass es auch wunderschöne Bräuche gibt und dass viele Bräuche auch mit leckerem Essen und gutem Geschmack zu tun haben. Daher lohnt es sich, die Schönheiten jüdischen Lebens noch mehr öffentlich darzustellen.

DOMRADIO.DE: Was gefällt Ihnen an Chanukka?

Chanukka

Kerzen, Kreisel, Reibekuchen und ein "Diener": Sie gehören untrennbar zum jüdischen Lichterfest Chanukka. 

Von Sonnenuntergang bis Mitternacht, solange Kerzen brennen, wird gesungen und gespielt. Beliebt ist das Trendl- oder Dreidelspiel mit einem vierseitigen Kreisel, der vier hebräische Schriftzeichen trägt. Sie ergeben den Spruch: "Ein großes Wunder geschah hier." Überdies werden Kinder beschenkt, und es gibt besondere Speisen wie Latkes, eine Art Reibekuchen, und Sufganiot, in Öl gebackenes Spritzgebäck.

Chanukka-Leuchter in Berlin (dpa)
Chanukka-Leuchter in Berlin / ( dpa )

Kurzbach: Es ist schon sehr ähnlich zu unserem Adventsfest. Dieses hoffnungsvolle Zeichen: In eine dunkle Welt kommt viel Licht. Der ursprüngliche Brauch hat etwas mit einem Öltopf zu tun, der nicht zu Ende gegangen ist und der dann auf wundersame Weise doch den Chanukka-Leuchter wieder erfüllt hat und immer mehr Licht in die Welt gebracht hat.

Da kann man sehen, dass die Religionen doch enger verbunden sind als man zunächst meint. Bei unseren älteren Geschwistern, den Jüdinnen und Juden, gibt es vieles, was wir entdecken können und wo wir gemeinsam Hoffnung in eine Gesellschaft bringen müssen, die jeden Tag darum kämpfen muss, mit Hoffnung wieder aufzustehen und neue Hoffnung zu finden.

DOMRADIO.DE: Was wird heute Abend in Solingen passieren?

Kurzbach: Jetzt werden erstmalig an dem Platz unserer ehemaligen Synagoge, die von den Nazis vernichtet worden ist, einen großen Chanukka-Leuchter mit dem zweiten Licht entzünden. Danach gibt es dann für die vielen Schülerinnen und Schüler, die hoffentlich kommen werden, süße, selbstgebackene Kleinigkeiten.

DOMRADIO.DE: Synagogen werden vielfach in Deutschland von der Polizei zum Schutz vor antisemitischen Angriffen bewacht. Wie sieht das heute Abend in Solingen aus?

Kurzbach: Das ist eine bittere Wahrheit, dass immer dann, wenn Sie eine Veranstaltung machen, die zusammen mit Jüdinnen und Juden stattfindet, die Polizei beansprucht wird. Und da müssen wir den vielen Polizistinnen und Polizisten, die jeden Tag bei einer Synagoge oder jüdischen Einrichtungen ihren Dienst tun, wirklich danksagen.

Man muss sich vorstellen, was das für eine Atmosphäre schafft, wenn bei einer Veranstaltung immer die Polizei dabei sein muss. Aber leider ist dies notwendig, weshalb gerade wir Christinnen und Christen aufgefordert sind, uns an die Seite unserer jüdischen Freundinnen und Freunde zu stellen.

Tim Kurzbach, Solinger Oberbürgermeister

"Wir als Mehrheitsgesellschaft, wir müssen sagen und dafür kämpfen, dass es ist ein fester Bestandteil unserer Kultur ist, der nicht mehr wegzudenken ist."

Es ist nicht die Aufgabe der Jüdinnen und Juden, für ihr Recht zu kämpfen, ihre Religionsfreiheit ausüben zu dürfen. Wir als Mehrheitsgesellschaft, wir müssen sagen und dafür kämpfen, dass es ein fester Bestandteil unserer Kultur ist, der nicht mehr wegzudenken ist.

DOMRADIO.DE: Ist diese erstmalige auch gleichzeitig eine einmalige Aktion oder wird das zur Tradition?

Kurzbach: Ich glaube schon, dass wir hier etwas begründen, was dauerhaft ist und was in vielen anderen Gemeinden auch schon läuft. Andere Gemeinden machen das auch schon. Aber auch darüber hinaus kann es noch weiter wachsen und als Symbol gesehen werden, dass wir viele christliche Bräuche haben. Aber um so wichtiger ist es auch, unsere Traditionen mit den Jüdinnen und Juden zu feiern. Das ist mir sehr wichtig.

DOMRADIO.DE: Die muslimische Gemeinde könnte jetzt sagen: Wir haben im April Zuckerfest. Feiert Ihr Solinger auch mit uns? Was wäre Ihre Antwort?

Kurzbach: Wir feiern auch das Fastenbrechen. Wir haben einen sehr aktiven Kreis Solinger Muslime und mit der Moscheegemeinden bin ich auch im ständigen Austausch.

Ich bin auch sehr froh, dass es zwischen christlichen Kirchen, der jüdischen Gemeinde und den muslimischen hier einen guten und engen Austausch gibt. Das klappt wunderbar. Letztlich berufen wir uns ja alle auf denselben Urvater Abraham.

Das Interview führte Katharina Geiger.

Quelle:
DR