Solingen erinnert an 30 Jahre Brandanschlag

"Schlussstrich darf es niemals geben"

Das Motiv war Fremdenhass. An den Solinger Brandanschlag vor 30 Jahren erinnert die Stadt mit einer Gedenkfeier und Initiativen. Neben Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat auch weitere Politprominenz ihr Kommen angekündigt.

Autor/in:
Andreas Otto
Tatort in Solingen (epd)
Tatort in Solingen / ( epd )

In der großen Lücke zwischen den Häusern mit den Nummern 79 und 83 der Unteren Wernerstraße wachsen fünf Kastanien.

Genau an der Stelle von Nummer 81, wo einst die türkischstämmige Familie Genc wohnte. Jeder Baum erinnert an einen der fünf Angehörigen, die beim fremdenfeindlich motivierten Solinger Brandanschlag aus dem Leben gerissen wurden. Der schlimme Angriff jährt sich am 29. Mai zum 30. Mal. Beim zentralen Gedenken in der bergischen Stadt wird Bundespräsident Frank Walter Steinmeier an diesem Tag eine Rede halten.

Vier Männer, zwischen 16 und 23 Jahren alt, legten damals in der Nacht Feuer. Aus Fremdenhass. Zwei junge Frauen und drei Mädchen starben in den Flammen oder bei dem Versuch, sich davor zu retten.

Das Gelände gehört mittlerweile der Stadt Solingen. Im Tausch bekamen die Hinterbliebenen ein anderes Grundstück. Trotz allen Leids sind sie in der Stadt geblieben.

"Ich wünsche mir, dass Gott den Tätern vergibt"

Zum Gesicht der Familie wurde Mevlüde Genc, die bei dem Brandanschlag zwei Töchter, zwei Enkelinnen und eine Nichte verlor. Der harte Schicksalsschlag hielt sie nicht davon ab, sich für Verständigung und gesellschaftlichen Zusammenhalt einzusetzen. Selbst die vier jungen Männer, die ihre Haftstrafen längst verbüßt haben, betrachtete Genc gütig: "Ich wünsche mir, dass Gott den Tätern vergibt. Wenn Gott vergibt, dann werden die Menschen auch vergeben."

Als Mevlüde Genc im Oktober vergangenen Jahres im Alter von 79 Jahren starb, würdigte Steinmeier sie als "große Versöhnerin". In einem Kondolenzschreiben an die Familie heißt es: "Sie hat uns vor Augen geführt, dass Nächstenliebe und Menschlichkeit stärker sind als Hass und Gewalt." Und weiter: "Mevlüde Genc hatte ihren Glauben an das Gute im Menschen nicht verloren, obwohl sie allen Grund dazu gehabt hätte. Auch das macht sie zu einem Vorbild für alle Menschen in unserem Land."

Für ihr Engagement erhielt Genc 1996 das Bundesverdienstkreuz. Mit einer nach ihr benannten Medaille zeichnet die nordrhein-westfälische Landesregierung seit 2018 Menschen aus, die sich wie Mevlüde Genc für gesellschaftlichen Zusammenhalt einsetzen.

Stadt hält die Erinnerung an den Anschlag wach 

Die Erinnerung an den Anschlag hält die Stadt wach - etwa in Form eines Mahnmals und einer Gedenktafel. Nach dem türkischen Heimatort der Familie Genc ist der Mercimek-Platz am Solinger Rathaus benannt, der am 28. Mai, also schon am Tag vor dem 30. Jahrestag, in Mevlüde Genc-Platz umbenannt wird. Im Anschluss ziehen die Teilnehmenden in einem gemeinsamen Mahngang zum Ort des Brandanschlags, wo der Tag mit einem Gebet endet.

Zum Gedenken im Solinger Theater und Konzerthaus am Jahrestag selbst hat Oberbürgermeister Tim Kurzbach (SPD) 600 Menschen eingeladen.

"Den Opfern ein Gesicht, den Betroffenen eine Stimme geben"

Neben Steinmeier werden auch Bundestagspräsidentin Bärbel Bas, Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD), ihr Kabinettskollege Cem Özdemir (Grüne) und Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) erwartet. Wenige Stunden vor der Feier wird Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) im Solinger Zentrum für verfolgte Künste die Ausstellung "Den Opfern ein Gesicht, den Betroffenen eine Stimme geben" eröffnen.

Zudem soll der Gedenkstein am Standort des zerstörten Wohnhauses, der bevorzugte Erinnerungsort der Familie, um die Porträts der Opfer und ein Bild des Gebäudes ergänzt werden. Auch am "Solinger Mahnmal" an einem Berufskolleg werden Gedenksäulen aufgebaut.

"Einen Punkt oder Schlussstrich darf es niemals geben", betont Oberbürgermeister Kurzbach. Er war 15 Jahre alt, als aus der "Klingenstadt" Solingen auch ein Symbol für offenen Rechtsextremismus wurde. Ihm ist es wichtig, dass auch aus einem anderen Grund die Erinnerung an den Brandanschlag wach bleibt. "Es gibt traumatisierte Menschen von den Tagen damals", sagt er. Das Verdrängen sei eine normale psychische Reaktion. Trotzdem müssten die Leute damit leben lernen, dass man den Brandanschlag nicht einfach aus der Geschichte streichen könne: "Alle Demokratinnen und Demokraten sind dafür verantwortlich, gegen Fremdenhass einzutreten."

Brandanschlag von Solingen

Der Brandanschlag von Solingen, der sich am 29. Mai zum 25. Mal jährt, war der folgenschwerste ausländerfeindliche Anschlag der deutschen Nachkriegsgeschichte: Zwei Frauen und drei Mädchen wurden getötet, als vier junge Neonazis in der Nacht zum Pfingstsamstag 1993 das Haus der türkischen Familie Genç in der Unteren Wernerstraße anzündeten. Die Tat rief weltweit Entsetzen hervor.

29.05.1993, Solingen: Vor dem abgebrannten Haus bekunden türkische und deutsche Bürger ihr Entsetzen / © Roland Scheidemann (dpa)
29.05.1993, Solingen: Vor dem abgebrannten Haus bekunden türkische und deutsche Bürger ihr Entsetzen / © Roland Scheidemann ( dpa )
Quelle:
KNA