DOMRADIO.DE: Nach der Aussage von US-Präsident Trump, der Anschlag auf ein Mormonenkirche sei ein Angriff auf Christen gewesen, stellt sich die Frage, ob es sich bei den Mormonen um eine christliche Konfession handelt?
Matthias Neff (Beauftragter für Religions-, Sekten- und Weltanschauungsfragen des Bistums Trier): Die Mormonen verstehen sich selbst als Christen. Auch die Bibel gehört für sie zu den grundlegenden Offenbarungen. Allerdings gibt es daneben weitere Schriften und Glaubensüberzeugungen, die von den Kirchen der Ökumene nicht als christlich anerkannt werden. Deshalb sehen diese die Mormonen, also die "Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage", nicht als eine Konfession im üblichen Sinn der Ökumene.
DOMRADIO.DE: Welche Überzeugungen sind das, die die christlichen Kirchen zu dieser Einschätzung bringen?
Neff: Neben der Bibel haben die Mormonen das Buch Mormon und andere Offenbarungsschriften. Darauf gründen sie ihren Glauben und ihre Lebenspraxis. Und das unterscheidet sie deutlich von den Kirchen in der Ökumene. Diese Schriften enthalten Vorstellungen, die den anderen Kirchen fremd sind.
Dazu gehört die Ablehnung der Trinität. Die "Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage" sieht Gottvater, Jesus und den Heiligen Geist als drei getrennte göttliche Personen, die zwar zusammengehören, aber unabhängig voneinander existieren. Ein weiterer Punkt ist beispielsweise die Überzeugung, dass Jesus nach seiner Auferstehung in den USA erschienen sei und dass dort in der Endzeit das Neue Jerusalem errichtet werde.
DOMRADIO.DE: Dem Gründer der Mormonen, Joseph Smith, sollen Gottvater und Jesus im Alter von 14 Jahren erschienen sein und ihm Botschaften auf metallischen Platten übergeben haben?
Neff: Ja. Darauf standen, so Smith, die Offenbarungen, die heute das Buch Mormon bilden. Für ökumenisch verbundene Christen ist die Offenbarung in Jesus Christus, wie sie in der Bibel bezeugt ist, Höhepunkt und Abschluss. Für die Mormonen geht die Offenbarung weiter: Ihr Präsident gilt als Prophet, dessen Botschaften bis heute denselben Rang beanspruchen wie die biblischen Offenbarungen der Christen.
DOMRADIO.DE: Sind die Mormonen eine Sekte?
Neff: Unter "Sekte" versteht man eine Gruppe, die Konflikte schürt, Menschen unmündig macht oder ausbeutet. Das trifft auf die Mormonen nicht zu. Es handelt sich vielmehr um eine neue Religion, die aus dem Christentum hervorgegangen ist, aber eigene Glaubensvorstellungen entwickelt hat – stark geprägt von amerikanischem Fortschrittsdenken. Eine konfliktträchtige, problematische Gruppe sehe ich darin nicht.
DOMRADIO.DE: Gibt es ökumenische Beziehungen zu den Mormonen?
Neff: Es gibt Gespräche und Kontakte, aber keine eigentlichen ökumenischen Beziehungen. Dafür fehlt die gemeinsame Basis, etwa die altkirchlichen Glaubensbekenntnisse. Das Glaubensbekenntnis von Nicäa lehnen die Mormonen ab. Eine Zusammenarbeit im Rahmen der Ökumene ist also nicht möglich. Wohl aber gibt es interreligiöse Kooperationen, etwa in Räten der Religionen.
DOMRADIO.DE: Wie groß ist die Religionsgemeinschaft der Mormonen?
Neff: Weltweit wächst sie und zählt rund 17,5 Millionen Mitglieder. In Deutschland sind es etwa 40.000 in 148 Gemeinden. Hier stagniert die Zahl eher.
Das Interview führte Johannes Schröer.