Selenskyj und der Papst und ihre Differenzen

Zwei Welten prallen aufeinander

Selten ist nach einer Papstaudienz für einen Präsidenten so um die Deutungshoheit gestritten worden wie nach der von Selenskyj mit Franziskus. Der mediengewandte Ukrainer versuchte vergeblich, den Papst auf seine Linie zu bringen.

Autor/in:
Ludwig Ring-Eifel
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj trifft im Vatikan Papst Franziskus.  / © Vatican Media/dpa  (dpa)
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj trifft im Vatikan Papst Franziskus. / © Vatican Media/dpa ( dpa )

Eine auf Twitter verbreitete italienische Karikatur zeigte am Montag den ukrainischen Präsidenten, der sich vor dem Papst aufbaut und mit einem Finger auf den hinter ihm stehenden Schweizergardisten deutet: "Hast du von denen noch welche für uns übrig?", fragt er den sichtlich überrumpelten Pontifex. Der Papst schaut betroffen nach unten, vom forschen Auftreten des Mannes in Militärgrün sichtlich überfordert.

Nicht mit "dem Mörder Putin" verhandeln

Christliche Kirchen in der Ukraine

Die kirchlichen Verhältnisse in der Ukraine sind komplex. Rund 70 Prozent der 45 Millionen Ukrainer bekennen sich zum orthodoxen Christentum. Sie gehören allerdings zwei verschiedenen Kirchen an: der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche (UOK) des Moskauer Patriarchats und der autokephalen (eigenständigen) Orthodoxen Kirche der Ukraine (OKU). Zudem gibt es eine römisch-katholische Minderheit mit rund einer Million Mitgliedern sowie die mit Rom verbundene (unierte) griechisch-katholische Kirche der Ukraine.

Das Heilige Feuer aus Jerusalem am 18. April 2020 im Kiewer Höhlenkloster Petscherska Lawra, Hauptsitz der ukrainisch-orthodoxen Kirche Moskauer Patriarchats. / © Sergey Korovayny (KNA)
Das Heilige Feuer aus Jerusalem am 18. April 2020 im Kiewer Höhlenkloster Petscherska Lawra, Hauptsitz der ukrainisch-orthodoxen Kirche Moskauer Patriarchats. / © Sergey Korovayny ( KNA )

Auch die realen Bilder, die von dem ungewöhnlichen Treffen am Samstagnachmittag verbreitet wurden, zeigten einen fordernden Gast und einen Papst, der ihm mit eher skeptischer Mine zuhört. Im anschließenden Kommunique fanden sich die Divergenzen zwischen den Zeilen: Kein Wort von einer möglichen Vermittlungsrolle des Papstes, Konsens lediglich in der Frage des humanitären Engagements, insbesondere für im Krieg entführte Kinder.

Divergenzen im Klartext benannte dann Wolodymyr Selenskyj wenige Stunden später bei einem Auftritt in der italienischen Polit-Talk-Sendung "Porta a Porta". Er nutzte die große Bühne, um festzustellen, dass es "bei allem Respekt vor seiner Heiligkeit" keine Möglichkeit gebe, mit dem Mörder Putin zu verhandeln. Das gelte für den Papst ebenso wie für Diplomaten oder Staatsoberhäupter anderer Länder. Stattdessen rief er den Papst dazu auf, endlich seine Neutralität aufzugeben und die russischen Angreifer mit klaren Worten zu verurteilen.

Kritik durch italienische Medien

"Selenskyj will den Papst zu seinem Militärseelsorger machen", kommentierte die italienische Tageszeitung "Il Messaggero" das Ansinnen des Ukrainers. Und Andrea Riccardi, als Sant'Egidio-Gründer seit Jahren eine Art Vordenker der vatikanischen Außenpolitik, merkte in einem Zeitungsinterview an, immerhin sei es das erste Mal gewesen, dass sich Selenskyj mit jemandem unterhalten habe, der zum Krieg eine andere Position einnehme als er selbst. Deshalb werde dieses Aufeinandertreffen "nicht irrelevant" bleiben. Die vatikanische Diplomatie, so Riccardi, werde sich weiterhin darum bemühen, Gesprächskanäle zu öffnen, "in denen die Sprache der Diplomatie gepflegt wird  – und nicht die Propaganda von Konfrontationen und Beschimpfungen".

Mehrere Medienkommentare in Italien äußerten sich kritisch über Selenskyjs hartes Auftreten beim Papst, so dass sich der ukrainische Botschafter beim Heiligen Stuhl veranlasst sah, die Wogen wenigstens verbal zu glätten. Auch wenn es anders ausgesehen habe, sei die Begegnung ein "offener und fruchtbarer" Meinungsaustausch gewesen – und keineswegs eine Konfrontation, sagte Botschafter Andrij Jurasch dem "Corriere della Sera".

Wenn es den falschen Eindruck einer Kontroverse gegeben habe, liege das nur daran, dass "beide Seiten vor dem Gespräch nicht ihre Rahmenbedingungen geklärt haben". Dennoch sei der Austausch für beide Seiten gehaltvoll gewesen.

Papst steht zu "positiver Neutralität"

Der Hinweis des Diplomaten auf die fehlende Klärung der jeweiligen Rahmenbedingungen deutet an, wo es zwischen Selenskyj und Franziskus hakte. Der Ukrainer will, das machte er in mehreren Äußerungen nach dem Treffen deutlich, nichts akzeptieren, was unterhalb der völligen Wiederherstellung der territorialen Integrität und Sicherheit der Ukraine liegen würde. Für ihn gibt es nur einen Schuldigen (Putins Russland) und ein unschuldiges Opfer in diesem Krieg: die Ukraine und ihr Volk.

Der Papst vermutet tieferliegende Ursachen in dem Konflikt – so wie er dies bei allen Kriegen annimmt. Vom friedenspolitischen Grundaxiom der vatikanischen Diplomatie, die diese seit Beginn des 20. Jahrhunderts verfolgt, wird er nicht abrücken. Das machte er noch wenige Stunden vor dem Treffen mit Selenskyj in einer Ansprache an fünf Diplomaten aus drei Erdteilen deutlich. Das Prinzip der "positiven Neutralität" unterstrich der Papst bei dieser Gelegenheit erneut. Es besteht darin, Kriegsverbrechen klar zu benennen und zu verurteilen, dennoch aber nicht Partei zu ergreifen für eine der beiden Seiten in einem Konflikt.

Gibt es noch eine Annäherung?

Allein auf Waffen zu setzen, bringe keinen Frieden und zerstöre sogar die Hoffnung auf Frieden, so Franziskus' zusätzliche Ausführungen einen Tag nach dem Treffen mit Selenskyj. Die waren zwar vom Anlass her nicht auf den Konflikt in Osteuropa gemünzt, sondern auf den im Heiligen Land, doch gelten sie aus vatikanischer Sicht für alle Kriege. Im klaren Gegensatz dazu verfolgt Selenskyj konsequent eine Politik der Selbstverteidigung und der Souveränität, die gegen einen kriegführenden Angreifer nur mit Waffen durchgesetzt werden kann.

Vatikanbotschafter Jurasch meinte, dass trotz dieser unterschiedlichen Grundannahmen auch der Papst noch auf den "ukrainischen Friedensplan" einschwenken könne: "Wir haben keine Zweifel, dass der Heilige Stuhl wenigstens auf der Basis einiger Punkte unseres Friedensplanes mitwirken will," betonte er. Hauptforderungen des ukrainischen Friedensplans sind der vollständige Abzug russischer Truppen vom ukrainischen Staatsgebiet, die Wiederherstellung ihres Territoriums gemäß dem Völkerrecht und umfassende Sicherheitsgarantien für die Ukraine.

Quelle:
KNA