Schulen wollen sich nach Rupert Neudeck umbenennen

Vorbild für Kinder

Im Mai vergangenen Jahres verstarb unerwartet der Theologe, Journalist und Menschenrechtler Rupert Neudeck. Sein geistiges Erbe wollen nun Schulen antreten und sich nach ihm umbenennen. Eine große Ehre, findet Witwe Christel Neudeck.

Jacken vor einem Klassenzimmer / © Inga Kjer (dpa)
Jacken vor einem Klassenzimmer / © Inga Kjer ( dpa )

domradio.de: Was bedeutet es Ihnen und Ihrer Familie, dass Schulen den Namen Ihres Mannes tragen wollen?

Christel Neudeck: Rupert hat sich immer ganz besonders um Schulen gekümmert. Er ist sehr gerne in Schulen gegangen und hat Termine mit Schülern und Studenten niemals abgesagt. Unser Freund, ein Schriftsteller aus Sarajevo, Dževad Karahasan, hat gesagt: "Wir alle werden mit dem Tod in uns geboren." Obwohl wir das wissen, machen wir uns das ja nicht täglich klar - und das ist auch gut so. Wenn Schulen sich nach Rupert benennen und ihn als Vorbild nehmen, dann heißt das für unsere Kinder und für mich, dass es weitergeht und dass seine Ideen fortgeführt werden.

domradio.de: Deshalb haben Sie als Familie beschlossen, solche Anfragen gerne anzunehmen?

Neudeck: Das haben wir, ja. Wir sind sehr vorsichtig, manchmal auch zurückhaltend. Aber wenn Schulen sich ihn als Vorbild nehmen, dann kann das nur gut sein. Er war nicht leichtsinnig, er war aber mutig. Er ist manchmal über seine Grenzen gegangen und es hat ihm Freude gemacht, etwas für andere zu tun. Er hat sich nicht aufgeopfert, sondern es war schön und spannend für ihn. Wenn Schüler das für sich entdecken, dann freut uns das sehr.

domradio.de: Wie glauben Sie, können Kinder vom Geist, den Rupert Neudeck gelebt hat, profitieren?

Neudeck: Ich bin sicher, dass Zivilcourage ein Stichwort ist. Das ist ein Wort, was immer im Zusammenhang mit Rupert genannt wird. Aber man kann nicht plötzlich mutig sein. Das muss man im Kleinen lernen. Ich denke, das fängt auf dem Schulhof und in der Klasse an, dass man sensibel mit Schwächeren umgeht, sie anspricht, zu sich holt und auch an die denkt, denen es schlechter geht. Albert Camus, der Ruperts großer Mentor war, hat gesagt, man kann sich schämen, allein glücklich zu sein. Wenn man selbst glücklich ist, kann es Freude machen, von diesem Glück etwas anzugeben.

domradio.de: In Tönisvorst am Niederrhein ist die Gesamtschule bereits feierlich auf seinen Namen getauft worden. Wie war das bei der Umbenennung? Sie haben da ja vor Kindern und mit Kindern gesprochen, die wahrscheinlich größtenteils gar nicht wissen, wer die Grünhelme sind oder was Cap Anamur ist. War das nicht ein bisschen komisch?

Neudeck: Das ist nie komisch. Wenn ich heute in Schulen gehe oder mich auch mit 30-Jährigen unterhalte und von Sartre spreche, mit dem das Ganze im Jahr 1979 begann, dann wissen viele nicht, wer das ist. Sie wissen nicht, wer Heinrich Böll ist. Heinrich Böll ist auch so ein Vorbild. Das war der geistige Vater von Rupert, der vielen Menschen geholfen hat und den man sich als Vorbild nehmen kann. Komisch ist das nicht, sondern eine reine Freude.

domradio.de: Und dann haben Sie versucht den Kindern zu erklären, wer Ihr Mann war?

Neudeck: Gar nicht mal, sie haben sehr gute Fragen gestellt. Die haben sich im Vorfeld Gedanken gemacht. Dann kann man versuchen, ihnen von den Aktionen, die wir gemacht haben, zu erzählen. Das war ja 1979 so ähnlich, wie das heute in Syrien ist. Man sah die Bilder von ertrinkenden Flüchtlingen, die von Piraten überfallen wurden. So sieht man heute die Bilder vom Mittelmeer und die Bilder aus Syrien. Da lässt man sich bewegen. Das macht einen fertig. Wenn man dann im gleichen Moment aber überlegen kann, ob man selber etwas tun kann, dann kann man das besser ertragen. Man meint ja immer, dass man selber überhaupt nichts ausrichten kann. Aber in 90 Prozent der Fälle kann man etwas tun. Das gelingt nicht immer, aber man kann es versuchen, egal ob das in der Nachbarschaft ist oder ob das in Syrien selber ist. Das ist die Idee, die wir gerne weiter verfolgen wollen.

domradio.de: Was haben die Kinder denn alles gefragt?

Neudeck: Die haben nach den Anfängen gefragt, ob wir noch Kontakt zu den Boat-People, den Vietnamesen hätten. Sie haben gefragt, ob ich keine Angst um meinen Mann gehabt hätte. Das sind teilweise auch Fragen, die ich seit 30 Jahren zu hören bekomme: Wie er gelebt hat, wie er die Aktionen durchgeführt hat. Wir finanzieren ja alles aus Spendengeldern und haben wunderbare Mitarbeiter. Unsere Tochter leitet heute in ihrem Wohnzimmer das Büro der Grünhelme, wie ich das früher für Cap Anamur gemacht habe. Wir haben ein ganz junges Team. Die meisten sind zwischen 30 und 40 Jahre alt, junge, fantastische Handwerker, Solartechniker, Leute, die genau so engagiert und voller Freude sind, wie wir das früher auch waren. Sie sind manchmal ein bisschen verrückt, aber manchmal können auch Verrückte die Welt verändern. Man muss sogar ein bisschen verrückt sein, um das tun zu können. Das hat schon Dieter Hildebrand damals gesagt. Er hat uns ganz zu Beginn 1979 unterstützt und eine größere Spende gegeben. Er hat gesagt, er finde es verrückt, was wir da vorhaben, aber er mag Verrückte. Das hat uns damals gefreut und das sehe ich auch heute noch so.

domradio.de: Die Kinder haben Ihnen als Zeichen noch ein Baby-T-Shirt mit dem neuen Schulnamen für Ihren jüngsten Enkel Bruno Rupert, den Ihr Mann nicht mehr kennengelernt hat, geschenkt. Ist das so für Sie, dass in ihm, den anderen Enkelkindern und vielleicht auch in den Schulen etwas weiterleben kann?

Neudeck: Ja, das ist so. Da war ich auch sehr gerührt, als ich das bekam. Rupert wusste noch, dass unsere Tochter schwanger ist und das sechste Enkelkind unterwegs war. Dass sie es Bruno Rupert genannt haben, ist für mich auch schön. Rupert war fest davon überzeugt, dass nach dem Tod etwas kommt. Er war sehr gläubig. Ich spreche auch heute noch mit ihm und hoffe, dass er viel davon mitbekommt, was Gutes in dieser schrecklichen Welt passiert. Aber dass seine Gene in diesen Enkelkindern stecken, ist biologisch einfach so. Diesen Gedanken finde ich sehr tröstlich.

domradio.de: Es ist noch kein Jahr her, dass Ihr Mann gestorben ist. Wie geht es Ihnen heute?

Neudeck: Wenn ich überlege, wie es mir geht, dann denke ich an die vielen, die einen Partner verlieren, mit dem sie so eng wie Rupert und ich gelebt haben und dann niemanden haben. Ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, wie das gehen soll, dass man einsam und allein ist. Ich habe die Kinder, eine tolle Familie, gute Freunde und Mitarbeiter, die eine tolle Arbeit machen.

Das Interview führte Hilde Regeniter.


Christel und Rupert Neudeck im März 2016 / © Rudolf Wichert (KNA)
Christel und Rupert Neudeck im März 2016 / © Rudolf Wichert ( KNA )
Quelle:
DR