Sänger Purple Schulz plaudert über Gott und die Kunst

"Ohne Sehnsucht haben wir keine Ziele mehr"

Ende nächster Woche tritt Purple Schulz in der Kölner Kulturkirche auf. Im Interview spricht er über Kirche und Kunst und Alzheimer und verrät, was er vom Tresen in der Kulturkirche hält und was er nach der Tour plant.

Purple Schulz / © Bettina Koch
Purple Schulz / © Bettina Koch

DOMRADIO.DE: Du hast einen alten Song von dir noch mal neu aufgenommen: Sehnsucht. Ich habe ihn gehört und frage mich. Da ist noch ganz schön viel Sehnsucht übrig geblieben, auch nach 40 Jahren noch, oder?

Purple Schulz (r.) mit Tommy Millhome / © Tommy Millhome (DR)
Purple Schulz (r.) mit Tommy Millhome / © Tommy Millhome ( DR )

Purple Schulz: Ja, allerdings. Sehnsucht ist ein Motor in meinem Leben. Und der hält mich wach und hält mich am Arbeiten. Ich glaube, ohne Sehnsucht haben wir keine Ziele mehr.

DOMRADIO.DE: Warum hast du den Song noch einmal aufgenommen?

Purple Schulz: Ich wollte ihn aus diesem musikalischen Gewand der 1980er befreien. Der Song hat immer noch große Gültigkeit - nicht nur für mich -  ich merke das auch in den Kommentaren auf YouTube, die unter dem neuen Video stehen. Ich habe jetzt auch zum ersten Mal ein richtiges Video zu dem Song gemacht. Das gab es 40 Jahre lang gar nicht. Aber generell wollte ich diesen Song ins Jetzt holen, weil er ganz viel Aktualität hat. Er ist kein historisches Relikt aus der damaligen Zeit.

DOMRADIO.DE: "Ich will raus" singst du im Song. Bei der neuen Version kommt dieser Schrei noch mehr zur Geltung.

Purple Schulz

"Alles, was dieser Song erzählt, erzählt das Gesicht. "

Purple Schulz: Ob er mehr zur Geltung kommt, weiß ich nicht. Mittlerweile müsste man ja wissen, dass da irgendwann mal einer im Song schreit. Aber beim Videodreh habe ich mich in die gleiche Situation begeben wie damals bei der Aufnahme für das Album, auf dem der Song war. Ich habe ganz alleine in einem Raum gesessen, nur mit einer Kamera. Ich wusste, dass es nur so geht. Es musste ein Video werden, ohne Schnitt, nur mit meinem Gesicht. Alles, was dieser Song erzählt, erzählt das Gesicht. Und ich glaube, das ist wirklich eines meiner, ganz bescheiden, großartigsten Werke. Jedenfalls für meine Begriffe.

DOMRADIO.DE: Es war auf jeden Fall ein geheimer Hit damals in der DDR...

Purple Schulz: Ja, wir haben den Song sogar in der DDR spielen dürfen. Die Regierung der DDR wollte der Jugend im Osten zeigen, dass mit dem System im Westen etwas nicht stimmen kann, wenn ein junger Mann von dort "Ich will raus" brüllt. Die Rechnung ist dann aber nach hinten losgegangen. Drei Monate später fiel die Mauer.

DOMRADIO.DE: Du hast drei Kinder, fünf Enkel und seit kurzem zwei Urenkel, Zwillinge. Herzlichen Glückwunsch!

Purple Schulz: Ja, seit zwei Wochen. Es ist großartig, im Herbst als Uropa auf Tour zu gehen. Vielleicht ist es ja auch mal eine Gelegenheit, den Song "Verliebte Jungs" aus dem Programm zu nehmen. Das wäre ja jetzt Etikettenschwindel.

DOMRADIO.DE: Nächste Woche Freitag bist Du in der Kölner Kulturkirche live auf der Bühne.

Purple Schulz: Alle Hits werden im Programm sein, das ist keine Frage. Aber es gibt auch viele neue Songs über das Heute, über die Themen, die uns heute beschäftigen. Ich spiele erstaunlicherweise ziemlich oft in Kirchen. Aber die Kölner Kulturkirche ist ziemlich einmalig. Es gibt sehr viele Kulturkirchen in Deutschland, aber diese ist eine Kirche mit einem Tresen. Und das gibt es nicht oft.

DOMRADIO.DE: Wenn man reinkommt ist hinten rechts, wenn kein Gottesdienst ist, tatsächlich ein Bierstand. Die Kirchen stecken in einer tiefen Krise. Verfolgst du das auch?

Purple Schulz: Ja, natürlich, das bekommt man ja mit. Und auch dazu habe ich einen Song in meinem Programm. Es geht um die Schöpfungsgeschichte und was wir daraus gemacht haben. Es sind im Prinzip meine Vorschläge an den lieben Gott, die Dinge mal in die Hand zu nehmen.

DOMRADIO.DE: In deiner Biografie steht so ein schöner Satz: Du hättest dich noch nie gescheut, Intimes ohne Tabus zu besingen. Themen, über die andere noch nicht einmal sprechen.

Purple Schulz

"Man muss querdenken, um Kunst zu erschaffen, und neue Perspektiven zu eröffnen."

Purple Schulz: Das war mir immer wichtig, dass man querdenken muss, um Kunst zu erschaffen, und neue Perspektiven zu eröffnen. Ich finde, das ist die Aufgabe von Kunst: Mit einem ganz anderen Blickwinkel auf Dinge zu schauen, die uns beschäftigen. Und dazu gehört auch, dass man Themen nicht ausklammert, die unser aller Leben bestimmen. Sei es jetzt der psychische Zustand einer Gesellschaft, oder die Fragen: Wie gehen wir mit dem Tod um? Mit Alzheimer? Demenz war auch mal ein großes Thema bei mir. Ich bin jetzt seit vier Jahren im Kuratorium der Deutschen Alzheimer Gesellschaft und mir ist es sehr wichtig, dass wir darüber reden. Den Song "Fragezeichen" habe ich im Jahr 2012 rausgebracht, aus Sicht eines Alzheimer-Erkrankten. Es ist nichts passiert seitdem. Schaut man sich die demografische Entwicklung an, wird klar, dass es keine Familie ohne Demenzfälle gibt. Dann kann man sich eigentlich nur noch an den Kopf fassen.

DOMRADIO.DE: Im nächsten Jahr kommt vielleicht ein neues Album?

Purple Schulz: Ja, das ist so ein Thema, mit dem ich mich sehr beschäftige. Die ganze Musiklandschaft hat sich komplett verändert. Durch das Streaming stehen wir jetzt vor ganz neuen Situationen als Künstler. Wir konnten früher unsere Musik verschenken. Musik ist etwas Schönes, Musik ist etwas Heilendes. Und es ist doch unheimlich schön gewesen, wenn man früher eine LP oder eine CD verschenken konnte und damit auch zeigen konnte: Ich versteh' dich, hör dir diese Lieder machen, vielleicht helfen sie dir in bestimmten Lebenssituationen. Das ist leider komplett weggefallen.

Es gibt kaum noch Abspielgeräte in den Autos. Die Leute streamen überwiegend auch zuhause ihre Musik, wovon die Künstler nicht viel haben. So eine Produktion zu machen ist sehr, sehr aufwendig. Und da muss man sich wirklich fragen, ob das noch in irgendeinem guten Verhältnis zueinander steht.

Ich werde immer neue Songs schreiben, habe ich immer gemacht und sie kommen ins Konzert. Und ich werde auch weiterspielen, auch als Ururgroßvater wird mir das eine große Freude sein, aber wir müssen erst mal lernen, mit dieser ganzen Situation umzugehen und was das für uns bedeutet.

DOMRADIO.DE: Im nächsten Jahr gibt es Konzerte mit Jördis Tielsch. Wie kam es zu der Zusammenarbeit?

Purple Schulz

"Das ist toll, mit so einem völlig neuen Instrument alte Songs neu zu entdecken."

Purple Schulz: Ich wollte mir jetzt, nach 50 Jahren auf der Bühne, einen Wunsch erfüllen. Ich habe mein ganzes Leben lang nie mit einer Frau zusammen auf der Bühne gestanden und ein komplettes Programm gespielt. Und das möchte ich jetzt auf meine alten Tage gerne noch machen. Jördis ist für mich eine ganz, ganz großartige Partnerin. Ihre Stimme hat mich total begeistert. Ich mache ja selber auch Radio und da habe ich sie für meine Sendung beim WDR, für die Songpoeten, entdeckt und lieben gelernt. Sie ist eine unfassbare Instrumentalistin, eine hervorragende Violinistin und Pianistin. Und ich glaube, wir beide ergänzen uns sehr, sehr gut.

Dann kann ich zum Beispiel endlich auch mal vom Klavier begleitet auf meiner Harpejji spielen. Das ist ein 16-seitiges Instrument. Ich bin der einzige in Deutschland, der damit auf die Bühne geht und singt. Das wirst du bei keinem anderen Künstler hier in Deutschland sehen. Aber hier jetzt auf der Tour kann man sich anhören, wie die alten Songs damit klingen. Und das ist toll, mit so einem völlig neuen Instrument alte Songs neu zu entdecken.

DOMRADIO.DE: Im nächsten Jahr werden Sie mit Jördis Tielsch auf Tour gehen, nächste Woche Freitag sind Sie mit Markus Winstroer als Solist in der Kölner Kulturkirche.

Purple Schulz: Mit dem großartigen Markus Wienstroer, muss man dazu sagen. Er hat in unzähligen Produktionen gespielt - mit Udo Jürgens, mit Marius Müller-Westernhagen und noch mehr. Er ist Gitarrist und spielt auch Banjo und Violine.

Das Interview führte Tommy Milhome.

Quelle:
DR