Neues Kunstwerk für den Kölner Dom

Ein Kunstwerk mit Signalwirkung?

Wie geht man am Kölner Dom mit antijüdischen Relikten aus dem Mittelalter um? Jetzt ist klar: Es wird ein Kunstwerk geben, das sich mit dem christlich-jüdischen Verhältnis auseinandersetzt. Das wäre ein Novum in Europa.

Abraham Lehrer und Weihbischof Rolf Steinhäuser stellen den Kunstwettbewerb vor / © Robert Boecker (privat)
Abraham Lehrer und Weihbischof Rolf Steinhäuser stellen den Kunstwettbewerb vor / © Robert Boecker ( privat )

Es sei ein bisschen wie die Vorstellung von Gott, sagt der Kölner Weihbischof und Domkapitular Rolf Steinhäuser, wenn man ihn fragt, wie denn das neue Kunstwerk für den Kölner Dom aussehen könnte. „Jeder hat ein anderes Bild davon, aber manchmal muss man bei näherer Betrachtung sagen: So ist er nicht.“

Ein neu zu schaffendes Kunstwerk soll sich mit dem heutigen Verhältnis von Juden und Christen auseinandersetzen, das Domkapitel hat dafür eigens einen internationalen Wettbewerb ausgeschrieben und stellt dafür zunächst 500.000 Euro zur Verfügung.

Was tun mit der "Judensau"?

Hintergrund sind die antijüdischen Artefakte im und am Kölner Dom, die zum Teil noch aus dem Mittelalter stammen: diffamierende Darstellungen einer so genannten „Judensau“ im Chorgestühl etwa oder die Szene auf dem Dreikönigsschrein, in der Christus von Henkersknechten mit Judenhüten gegeißelt wird: Zeugnisse einer durch Jahrhunderte tradierten Judenfeindschaft der Kirche. Bis in die 2000er Jahre war das für das Domkapitel zunächst kein Thema. Erst 2016 bildete sich ein Arbeitskreis auf Initiative der Kölnischen Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit, der sich mit diesem dunklen Erbe des Domes auseinandersetzte.

Darstellung am Dreikönigsschrein im Kölner Dom / © Ina Rottscheidt (DR)
Darstellung am Dreikönigsschrein im Kölner Dom / © Ina Rottscheidt ( DR )

Dort entschied man sich nach langen Diskussionen schließlich gegen eine Entfernung der Artefakte: „Geschichte wird nicht dadurch bereinigt, dass man die Originale entfernt“, sagte später Dombaumeister Peter Füssenich dazu bei DOMRADIO.DE, „ich glaube, diese schmähenden Darstellungen müssen als Grundlage für eine Auseinandersetzung dienen und sie sind eigentlich ein ständiges Mahnmal für uns.“ Seitdem wurde eine Ausstellung zu dem Thema konzipiert, es gibt gesonderte Domführungen und verschiedene Publikationen.

Blick nach vorne

Das neue Kunstwerk soll jetzt „im Bewusstsein der christlich-jüdischen Geschichte“ den Blick auf Gegenwart und Zukunft richten, sagt Steinhäuser, der als Bischofsvikar auch für die Ökumene und den interreligiösen Dialog im Erzbistum Köln verantwortlich ist.

Vorgaben für die Künstler gibt dabei kaum: Ob es ein Bild, ein Gewebe oder eine Skulptur wird, sei offen, so der Weihbischof, ebenso in Bezug auf Größe und Standort. Allerdings müssten der Denkmalschutz und der Dom als Gotteshaus respektiert werden. „Natürlich wird es Grenzen geben, an die wir stoßen. Das muss man ausprobieren. Aber wir wollen nicht von vorneherein alles Mögliche ausschließen, denn dann gibt es nur wenige Optionen. Erstmal ist alles offen und der Künstler muss zeigen, dass er der Besonderheit des Domes Rechnung tragen kann.“ Als Ort für das Kunstwerk könnte sich das nördliche Querhaus anbieten.

Dialogischer Wettbewerb

Insgesamt 16 Künstlerinnen und Künstler sollen eingeladen werden, ihre Entwürfe einzureichen. Ausgewählt werden sie von acht Expertinnen und Experten, die jeweils zwei Kunstschaffende benennen. Diese sollen bis Mitte März 2024 in einem dialogischen Verfahren einen ersten Entwurf einreichen. Vier Kunstschaffende sollen anschließend ihren Entwurf vertieft ausarbeiten. Im Herbst 2024 soll dann die Entscheidung der Jury, in der unter anderem der Architekt und Vorstand der Jüdischen Gemeinden in Frankfurt am Main Salomon Korn und der Vorsitzende der Kölnischen Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Jürgen Wilhelm sitzen, fallen.

Der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde in Frankfurt, Salomon Korn / © Heike Lyding (epd)
Der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde in Frankfurt, Salomon Korn / © Heike Lyding ( epd )

In der jüdischen Gemeinde in Köln begrüßt man diesen Vorstoß. Auch wenn dort einige Mitglieder die Schmähplastiken lieber aus dem Dom entfernt und eingelagert sähen: „Aber ein Kunstwerk im Dom, das das heutige Verhältnis von Juden und Christen beschreiben soll, findet sicher die Zustimmung aller Beteiligten“, sagt Abraham Lehrer, Vorstand der Synagogen-Gemeinde Köln und Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland. Er macht aber auch deutlich: „Es wird nicht dazu führen, dass die Kritiker, die gegen den Verbleib der Artefakte sind, ihre Meinung ändern.“

Projekt mit Signalwirkung?

Die jüdische Gemeinde war von Anfang an im Rahmen des interreligiösen Arbeitskreises, der sich mit den antijüdischen Artefakten in der Domarchitektur auseinandersetzt, in den Prozess einbezogen. Abraham Lehrer persönlich kann mit diesen Darstellungen leben, er legt Wert auf die Kontextualisierung: Die ergriffenen Maßnahmen, findet er, würden der Geschichte gerecht: „Das Domkapitel übernimmt damit Verantwortung für seine Geschichte“, sagt er.

Ein solches Kunstwerk mitten im Dom – das wäre eine außergewöhnliche Maßnahme: Bis heute gibt es an Dutzenden Kirchen- und Sakralbauten antijüdische Darstellungen als Relikte aus dem Mittelalter; die bekannteste ist die „Wittenberger Judensau“, wo nach Jahrelangem Streit eine Infotafel installiert wurde.

Judensau am Chorgestühl des Kölner Doms / © Benedikt Plesker (KNA)
Judensau am Chorgestühl des Kölner Doms / © Benedikt Plesker ( KNA )

Ein Kunstwerk hat es in diesem Zusammenhang noch nie gegeben. „Ich halte das für eine wunderbare Idee“, sagt Lehrer, der sich auch eine Signalwirkung von diesem Projekt erhofft: „Es ist ein Versuch, die christlich-jüdische schlechte Vergangenheit aufzuarbeiten und weiterzuentwickeln. Dass dies in einem der bekanntesten christlichen Gotteshäuser der Welt geschehen soll, verleiht dem Projekt eine besondere Strahlkraft. Es könnte ein Vorbild für viele Kirchen und Kathedralen in Europa sein.“

Judenfeindliche Schmähplastiken

Schmähplastiken oder Schmähskulpturen waren in der christlichen Kunst des Mittelalters fester Bestandteil und Ausdruck von Antijudaismus der Kirchen. Juden wurden in den Darstellungen an den Kirchen verhöhnt, verspottet und gedemütigt. Ein prominentes Beispiel ist die Schmähskulptur "Judensau" an der Wittenberger Stadtkirche.

Auf dem um 1300 entstandenen Relief in etwa vier Metern Höhe ist ein Rabbiner zu sehen, der den Schwanz eines Schweins anhebt und ihm in den After sieht. Zwei weitere Juden saugen an den Zitzen des Tiers. Das Schwein gilt den Juden als unrein.

Darstellung an der Stadtkirche in Wittenberg / © Norbert Neetz (KNA)
Darstellung an der Stadtkirche in Wittenberg / © Norbert Neetz ( KNA )
Quelle:
DR