Rheinischer Präses will Missbrauch vorbehaltlos aufarbeiten

Gemeinsam mit Betroffenen

Der Missbrauchsskandal beschäftigt die evangelische Kirche. In einem Interview äußert sich der rheinische Präses Thorsten Latzel zur Aufarbeitung. Auf die Frage, wie viel sie die Kirchen kosten darf, antwortet er ausweichend.

Thorsten Latzel / ©  Thomas Lohnes (epd)
Thorsten Latzel / © Thomas Lohnes ( epd )

Der Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland, Thorsten Latzel, hat sich für eine schonungslose Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch ausgesprochen. "Uns ist wichtig, dass wir vorbehaltlos aufarbeiten, dass wir das gemeinsam mit den Betroffenen machen und deren Perspektive einbeziehen", sagte er im Interview des Bonner "General-Anzeigers" (Mittwoch).

Die rheinische Kirche lässt laut Latzel alle ihr bekannten Fälle sexualisierter Gewalt von unabhängigen Strafrechtlern auf institutionelles Versagen überprüfen. Jede kirchliche Einrichtung müsse ein Schutzkonzept vorhalten, jeder und jede Mitarbeitende werde geschult. "Wir sensibilisieren in allen Einrichtungen dafür, dass sexualisierte Gewalt ein gesamtgesellschaftliches Problem ist, das wir auch bei uns in unserer evangelischen Kirche haben."

46 Empfehlungen nach Missbrauchsstudie 

Ende Januar hatten unabhängige Forscher die erste bundesweite Missbrauchsstudie für evangelische Kirche und Diakonie vorgestellt. Sie stellten den Institutionen im Umgang mit Missbrauchsfällen ein schlechtes Zeugnis aus und gaben 46 Empfehlungen für Verbesserungen.

Latzel sagte, derzeit berate das Beteiligungsforum der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), was angemessene Anerkennungsleistungen für betroffene Menschen seien. Ihm sei wichtig, dass es künftig bundesweit einheitliche Regeln gebe.

Keine Verhinderungshaltung

Auf die Frage, wie viel Missbrauchsaufarbeitung die Kirchen künftig kosten dürfe, antwortete der Präses: "Wir machen Aufarbeitung nicht nach Kassenlage. Sondern wir versuchen, dem Leid, das Menschen erfahren haben, zumindest in Ansätzen gerecht zu werden." Ihm sei bewusst, dass die Kirche das geschehene Unrecht niemals aufwiegen könne. Doch wenn es Fälle gebe, die wegen eines massiven institutionellen Versagens vor Gericht kämen, sei es wichtig, keine Verhinderungshaltung an den Tag zu legen.

Missbrauchsstudie der Evangelischen Kirche

Die Zahl der Missbrauchsopfer in der evangelischen Kirche und Diakonie ist viel höher als bislang angenommen. Laut einer Studie sind seit 1946 in Deutschland nach einer Hochrechnung 9.355 Kinder und Jugendliche sexuell missbraucht worden. Die Zahl der Beschuldigten liegt bei 3.497. Rund ein Drittel davon seien Pfarrpersonen, also Pfarrer oder Vikare. Bislang ging die evangelische Kirche von rund 900 Missbrauchsopfern aus. Die Forum-Studie wurde von einem unabhängigen Forscherteam erarbeitet und in Hannover veröffentlicht.

Gedruckte Ausgaben der Studie zu Missbrauch in der evangelischen Kirche liegen auf einem Tisch / © Sarah Knorr (dpa)
Gedruckte Ausgaben der Studie zu Missbrauch in der evangelischen Kirche liegen auf einem Tisch / © Sarah Knorr ( dpa )
Quelle:
KNA