Rheinischer Pfarrer beklagt Sprachlosigkeit in Jerusalem

"Völlig verzweifelt"

Die israelische Gesellschaft steht nach den Worten des rheinischen Pfarrers Joachim Lenz nach den Terroranschlägen der Hamas vom 7. Oktober noch immer unter Schock. Auch der palästinensische Teil sei "völlig verzweifelt".

Trauer in Jerusalem / © Ilia Yefimovich (dpa)
Trauer in Jerusalem / © Ilia Yefimovich ( dpa )

Das sagte der Propst von Jerusalem und Pastor der Evangelischen Gemeinde deutscher Sprache zu Jerusalem in einem am Dienstag von der Evangelischen Kirche im Rheinland veröffentlichten Interview.

"Es besteht keinerlei gegenseitiges Verständnis und wir deutsche Evangelische hängen genau dazwischen." Seit den Terroranschlägen und dem anschließenden Krieg gebe es "eine große Sprachlosigkeit. Die Sprachlosigkeit führt erst mal dazu, dass praktisch alle Versöhnungsprojekte auf Eis liegen", betonte Lenz. 

"völlig sprach- und fassungslos"

"Wir hatten zum Beispiel Ende September mitgeholfen, in einer jüdisch-muslimisch-christlichen Aktion einen muslimischen Friedhof auf dem Zionsberg wieder in Ordnung zu bringen." Nach dem Terrorangriff seien die jüdischen Organisatoren "völlig sprach- und fassungslos" aufgrund ausbleibender Kondolenzen der meisten christlichen Kirchen.

Jenseits der deutschsprachigen Gemeinden hätten die christlichen Kirchen überwiegend palästinensische Gemeindemitglieder, die im Westjordanland und in Israel vertreten seien. In Gaza gebe es nur einige Hundert Christinnen und Christen. "Die Kirchenoberhäupter halten sich sehr zurück, die Hamas öffentlich verantwortlich zu machen, die den Kirchen und Christenmenschen gegenüber ja feindselig eingestellt und gefürchtet ist", erläuterte er.

Jerusalem hat für das sofortige Kriegsende gesprochen

Allerdings gebe es auch zwei Ausnahmen: "Der anglikanische Erzbischof Hosam Naoum hat mit dem Erzbischof von Canterbury eine gemeinsame Presseerklärung herausgegeben - Canterbury hat da die Hamas-Massaker verurteilt, Jerusalem hat für das sofortige Kriegsende gesprochen", erklärte Lenz.

"Und der Lateinische Patriarch von Jerusalem, Kardinal Pizzaballa, hat erklärt, er sei sofort bereit, sich gegen israelische Kinder, die als Geiseln genommen worden sind, austauschen zu lassen." Er spreche auch klar vom Massaker der Hamas.

Israel fühle sich von der Welt alleingelassen

Israel fühle sich von der Welt alleingelassen, sagte der evangelische Pfarrer. Zwar hätten die USA zwei Flugzeugträger an die Küste geschickt, um Iran und Hisbollah in Schach zu halten. Jedoch hätte die Enthaltung von Deutschland bei der UN-Vollversammlung zur Gaza-Resolution, mit der Israel zur Feuerpause aufgefordert wurde, für viele Menschen bedeutet, dass nicht einmal Deutschland ein verlässlicher Partner sei.

Auch auf der palästinensischen Seite bestehe das "Grundtrauma", allein dazustehen. "Beide Empfindungen sind aus meiner Sicht nicht richtig, aber subjektiv ist das der starke Eindruck", unterstrich Lenz, der seit Sommer 2020 der 19. Propst von Jerusalem ist. 

Israel

Israelische Flagge / © Sebi Berens (KNA)
Israelische Flagge / © Sebi Berens ( KNA )

Israel ist Einwandererland, Schmelztiegel verschiedener Kulturen und Wiege zweier Weltreligionen. Ursprünglich agrarisch geprägt, hat sich das Land zu einer der führenden Hightech-Nationen der Welt entwickelt. Gleichzeitig ist die stark segmentierte Gesellschaft voller Gegensätze. Strengreligiöse treffen auf säkulare Israelis, europäischstämmige Juden auf jüdische Einwanderer aus arabischen Staaten, jüdische auf arabische Israelis.

Quelle:
KNA