Religionsvertreter in Jerusalem wollen Frieden in Ukraine

"Stoppt das Leiden"

Chance auf Gehör sehen sie kaum, aber stumm bleiben angesichts von Krieg und Gewalt wollen sie nicht. Gemeinsam rufen Religionsvertreter in Jerusalem zu Frieden für die Ukraine auf - vor der russischen Kathedrale.

Religionsvertreter rufen in Jerusalem zu einem Ende des Blutvergießens in der Ukraine auf / © Andrea Krogmann (KNA)
Religionsvertreter rufen in Jerusalem zu einem Ende des Blutvergießens in der Ukraine auf / © Andrea Krogmann ( KNA )

Der Appell der Religionsführer in Jerusalem war eindeutig. "Stoppt das Leiden, stoppt das Blutvergießen", forderten sie am Montagmittag gemeinsam in Jerusalem. Der Ort ihrer Zusammenkunft war symbolisch gewählt: auf dem sogenannten "russischen Komplex" in der Jerusalemer Innenstadt. Hier, an den Mauern zur russisch-orthodoxen Kathedrale, brachten sie später ihren offenen Brief an den Moskauer Patriarchen Kyrill I. an. Mit dem Schreiben rufen sie das seit Beginn des Ukrainekriegs oft für seine Aussagen kritisierte Kirchenoberhaupt auf, die Bemühungen um Dialog und Frieden zu unterstützen.

Es sei "eine symbolische Geste, diesen Brief öffentlich den Russen anzubieten", sagte Rabbiner Alon Goshen-Gottstein, Direktor des "Elijah Interfaith Institute". Eine Erinnerung an Martin Luther und seine Thesen sei in diesem Zusammenhang "nicht falsch". Nötig wurde die Geste, so Goshen-Gottstein, weil ein gewünschtes Treffen mit Vertretern der russisch-orthodoxen Kirche in Jerusalem nicht zustandegekommen sei. Von dem Treffen der Religionsführer vor dem russischen Symbol Jerusalems möge die Botschaft an Kyrill ausgehen, "dass Religion eine Kraft des Friedens sein und nicht dem Krieg zuspielen solle".

"Die Gewalt muss ein Ende haben"

So drängten sie sich auf der kleinen Verkehrsinsel zwischen dem Jerusalemer Prozessgericht und der Kathedrale, immer wieder von vorbeifahrenden Baustellenfahrzeugen der umliegenden Großbaustellen übertönt: Scheichs, Rabbiner, Drusen, Bischöfe und weitere religiöse Männer sowie eine Lutheranerin, um aus der heiligen Stadt Jerusalem die Stimme zu erheben gegen Gewalt, Zerstörung und Tod in der Ukraine. Aus einer Stadt, die selbst allzu oft im Brennpunkt von Konflikten steht, sprachen sie mit einer Stimme: Die Gewalt muss ein Ende haben, denn Gott, gleich welcher Religion, habe den Plan des Friedens für die Menschen.

Derzeit stehe die Kirche in Russland "nicht gerade auf unserer Seite", sagte die lutherische Theologin Karin Ekblom vom Schwedischen Theologischen Institut Jerusalem der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Gerne sähe man, dass sie - angestoßen durch Aktionen wie die auf der Verkehrsinsel - ihre Meinung ändere. Wenn die Initiative auch nur zu einem Menschen durchdränge, sie hätten etwas bewegt. Denn eines dürften sie als Religionsvertreter in dieser Hilflosigkeit nicht: still bleiben.

"Es ist wichtig, dass wir es versucht haben"

Ein "einfacher Appell religiöser Menschen an das Herz Kyrills als Mann des Glaubens" sei der gemeinsame Brief, erläuterte David Rosen. Dabei blieb auch er realistisch. "Ich kann nicht sagen, dass ich glaube, dass wir großen Erfolg haben werden, aber es ist wichtig, dass wir es versucht haben", so der Rabbiner.

Erzbischof Pierbattista Pizzaballa (l.) / © Andrea Krogmann (KNA)
Erzbischof Pierbattista Pizzaballa (l.) / © Andrea Krogmann ( KNA )

Solidarität mit den Kriegsleidenden war auch das zentrale Motiv der zahlreichen Redner. Eine Solidarität, wie sie sich Juden im Zweiten Weltkrieg von den religiösen Führern der Welt gewünscht hätten, so Rosen gegenüber der KNA. "Als Juden Opfer waren, fragten wir, wo diese Stimmen sind. Nicht, dass wir uns in der Illusion verloren haben, dass religiöse Führer uns vor dem Bösen retten würden, aber wir wollten dieses Gefühl der Unterstützung. Das ist es, war wir zu den Menschen der Ukraine und denen, die im Krieg leiden, senden wollen."

Doppelter Appell an Israel

"Es ist eine Botschaft für uns", sagte der ukrainisch-russisch-stämmige Passant Timor. Ein Teil seiner Familie ist in der umkämpften ukrainischen Stadt Charkiw. Die Botschaft sei wichtig, auch wenn er nicht daran glaube, dass sie auf russische Seite ankomme.

Rosen zieht aus dem Ukrainekrieg und der umstrittenen Rolle der russischen Kirche zugleich einen doppelten Appell an Israel. Es möge eine Lehre daraus ziehen, dass "wann immer Religion in Machtstrukturen verstrickt ist, sie sich voraussichtlich prostituieren wird". Als Jude glaube er daran, dass jeder Mensch als Bild Gottes geschaffen und alle menschliche Würde heilig sei. "Ich rufe daher meine Politiker in der Antwort auf diese Tragödie auf, jede Art der Unterscheidung beiseitezuschieben und so viele Flüchtende aufzunehmen, wie es diesem Land möglich ist."

 

Lateinisches Patriarchat von Jerusalem

Das Lateinische Patriarchat von Jerusalem betreut die rund 60.000 bis 70.000 römisch-katholischen Christen im Heiligen Land. Seine Jurisdiktion erstreckt sich über das Staatsgebiet von Israel, Jordanien, Zypern und die Palästinensischen Gebiete. Die Ursprünge des Patriarchats liegen in der Zeit der Kreuzfahrer, die sich als "Lateiner" bezeichneten. Es erlosch jedoch mit dem Fall Akkos 1291. Im Jahr 1847 belebte Papst Pius IX. das Patriarchat neu.

Blick auf Jerusalem / © Kyrylo Glivin (shutterstock)
Quelle:
KNA