Religionssoziologe sieht kein Problem in Lindner-Hochzeit

"Zeichen unserer Zeit"

Trotz Kritik angesichts der Sylter "Luxus-Hochzeit" sind Beobachter überzeugt: Die Kirche hätte dem Paar den Segen kaum verweigern können. Die Gottesdienst-Kosten hätte sie dennoch in Rechnung stellen sollen, sagt ein Politik-Berater.

Die evangelisch-lutherische Kirche St. Severin im sylter Ort Keitum in der Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) und seine Frau heirateten. / © Axel Heimken (dpa)
Die evangelisch-lutherische Kirche St. Severin im sylter Ort Keitum in der Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) und seine Frau heirateten. / © Axel Heimken ( dpa )

Der Münsteraner Religionssoziologe Detlef Pollack hat die kirchliche Trauung von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) und der Journalistin Franca Lehfeldt als "ein Zeichen unserer Zeit" bezeichnet. Die Mehrheit der Menschen sei mittlerweile kirchenfern, wolle aber auf den Segen Gottes nicht verzichten, sagte er dem Evangelischen Pressedienst (epd) am Montag. Lindner und Lehfeldt hatten sich am Wochenende in der St.-Severin-Kirche in Keitum auf Sylt evangelisch trauen lassen, obwohl beide keine Kirchenmitglieder sind.

Kurschus führt seelsorgliche Gründe an

Annette Kurschus / © Sina Schuldt (dpa)
Annette Kurschus / © Sina Schuldt ( dpa )

Die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Annette Kurschus, erklärte, sie habe nur eine Meinung zu Dingen, deren Sachverhalt sie genau kenne. "Ich weiß zum Beispiel nicht genau, ob Herr Lindner oder Frau Lehfeldt vor der Trauung Kirchenmitglieder waren oder wurden", sagte Kurschus dem "Westfalen-Blatt" am Montag. Zu den Aufgaben im Traugespräch gehöre ausdrücklich, die Möglichkeit eines Kircheneintritts anzusprechen.

Die Pfarrerin in Keitum habe entschieden, die beiden zu trauen. "Und ich muss ihr vertrauen, dass sie dies nach dem Gespräch mit dem Paar nach reiflichem Nachdenken getan hat." Ein solches Gespräch unterliege der seelsorglichen Verschwiegenheit.

Die generelle Rechtslage auch in der Nordkirche sei, nach einem Kirchenaustritt nicht in einer Kirche heiraten zu können, sagte die westfälische Präses. "Es gibt aber einzelne Fälle, in denen eine Pfarrperson aus besonderen seelsorglichen Gründen davon abweicht und dies mit ihrem Gewissen vertritt", erklärte sie. Solche "seelsorglichen Gründe" seien allerdings keine Allerweltsgründe.

Pollack sieht keinen Widerspruch zu religiösen Anliegen

Prof. Dr. Detlef Pollack (privat)
Prof. Dr. Detlef Pollack / ( privat )

Der Religionssoziologe Pollack zeigte sich überzeugt, dass Lindners Kirchenaustritt dem religiösen Anliegen nicht per se widerspreche. Bei seiner Vereidigung als Minister habe Lindner die Formel "So wahr mir Gott helfe" gesprochen, sagte der Soziologe.

Viele Menschen, auch Kirchenmitglieder, könnten heutzutage mit der Kirche nicht viel anfangen, seien aber trotzdem an ihrem Segen interessiert. "Sie wollen die Möglichkeit nicht ausschließen, dass es etwas gibt, das über das Irdische hinausgeht und auf dessen Wohlwollen sie angewiesen sind."

Die Kritik, wonach sich die Kirche in Keitum habe instrumentalisieren lassen, hält Pollack für überzogen. Der Fall veranschauliche das doppelte kirchliche Anliegen, für ihre Botschaft einzutreten und sich dabei nicht dem Zeitgeist anzupassen, aber auch offen für möglichst viele zu sein. "Die evangelische Kirche ist dezidiert keine autoritär agierende Institution, die sich abschließt und von oben nichts als die Wahrheit verkündet, sondern eine dialogische Institution, die in allem die Bedürfnisse der Menschen im Blick behalten will", sagte Pollack. Sie würde ihrem Auftrag untreu, wenn sie zwei Menschen den Segen verweigerte, die um ihn bitten.

Auch aus kirchlicher Sicht begrüßenswert?

Auch aus Sicht des Kölner Kommunikations-Experten Erik Flügge ist die geistliche und theologische Glaubwürdigkeit der Kirche nicht beschädigt. "In der Kirchengeschichte war es schon immer so, dass Hochzeiten von Staatsleuten eine politische Dimension hatten und man es mit dem religiösen Ernst der Brautleute besser nicht zu genau genommen hat", gab der Politikwissenschaftler zu bedenken, der bereits mehrfach als Politik-Berater für Grüne und SPD tätig war.

Erik Flügge (Gründer und Leiter der Beratungsgesellschaft SQUIRREL & NUTS in Köln) / © Ruprecht Stempell (privat)
Erik Flügge (Gründer und Leiter der Beratungsgesellschaft SQUIRREL & NUTS in Köln) / © Ruprecht Stempell ( privat )

Indem die Brautleute ein starkes religiöses Symbol suchten, komme immerhin ein religiöses Grundbedürfnis zum Tragen. "Der Bundesfinanzminister und sein ganzes Umfeld begeben sich im Traugottesdienst in einen spezifisch religiösen Kontext." Dies sei auch aus Kirchensicht zu begrüßen.

Kritik von Landesbischof Meister

Ralf Meister, Landesbischof der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers / © Harald Oppitz (KNA)
Ralf Meister, Landesbischof der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers / © Harald Oppitz ( KNA )

Der hannoversche Landesbischof Ralf Meister äußerte sich hingegen skeptisch. "Das entsprechende Kirchengesetz der Landeskirche Hannovers sieht keine kirchlichen Trauungen für Nichtmitglieder vor. Das gilt in jedem Fall, unabhängig von sozialem Status, Wohlstand und Prominenz", sagte der Bischof dem Evangelischen Pressedienst.

Für eine Trauung von zwei ausgetretenen Kirchenmitgliedern könne es aber seelsorgerliche Gründe geben, die eine Ausnahme rechtfertigten. Zugleich betonte der Bischof, dass er die näheren Umstände, die zu Lindners Trauung geführt haben, nicht kenne.

Am vergangenen Samstag hatten Lindner und Lehfeldt in der evangelischen Kirche St. Severin in Keitum auf Sylt geheiratet, obwohl sie keiner Kirche angehören. Der evangelische Bischof von Schleswig und Holstein, Gothart Magaard, hatte die kirchliche Trauung verteidigt. Zwar sehe die Lebensordnung der Nordkirche vor, dass bei einer Trauung mindestens ein Partner Mitglied sein soll. Ausnahmen lägen jedoch im Ermessen des Seelsorgers. Die evangelische Theologin Margot Käßmann hatte in ihrer Kolumne für "Bild am Sonntag" kritisiert, hier sei es nicht um christlichen Inhalt, sondern um eine Kulisse gegangen.

Quelle:
epd