Religionsexperte erklärt das Verschwinden des Einhorns

"Einhorn wird mit der Jungfrau in Verbindung gebracht"

Heute ist es als Fabelwesen beliebt, dabei kommt das Einhorn schon im Alten Testament vor. In christlichen Darstellungen wurde es früher mit Maria in Verbindung gebracht. Journalist Bernward Kalbhenn erklärt, warum das vorbei ist.

Abbildung "Jungfrau mit dem Einhorn", 15. Jahrhundert, in Paderborn. / © Wolfgang Radtke (KNA)
Abbildung "Jungfrau mit dem Einhorn", 15. Jahrhundert, in Paderborn. / © Wolfgang Radtke ( KNA )

DOMRADIO.DE: Das Einhorn ist ja in der Gegenwart durchaus präsent, vor allem bei Kindern. Als Stofftier zum Beispiel. Wie kamen Sie denn auf die Idee, auf das Einhorn im christlichen Kontext zu schauen? 

Bernward Kalbhenn (privat)
Bernward Kalbhenn / ( privat )

Bernward Kalbhenn (Journalist, ehemaliger Leiter der NDR-Redaktion Religion und Gesellschaft): Als Großvater stolpere ich quasi immer über Einhörner in den Kinderzimmern. Aber dann ist mir ein Buch aus dem Herder Verlag in die Hand gefallen, offensichtlich eine Schrift für Jugendliche mit dem Titel "Bibelwissen für Besserwisser". 

Darin wird erwähnt, dass in der Bibel 130 Tierarten verzeichnet werden und die Einhörner gebe es aber nur in der evangelischen Bibel. Mit dieser Aussage war dann auch mein journalistisches Interesse geweckt, dem noch mal etwas hinzuzufügen und tiefer zu graben. 

DOMRADIO.DE: Martin Luther hat ja in seiner Übersetzung der Psalmen im Alten Testament zweimal das Einhorn erwähnt, sowohl negativ wie auch positiv. Gibt es denn da auch so etwas wie eine Beschreibung des Einhorns in der Bibel? 

Kalbhenn: Das gibt es nicht in der Bibel, aber es gibt eine wunderbare Auflistung der christlichen Kunst von einem Autor. Das Werk, das er verfasst hat, gilt auch bis heute als Standardwerk zum Thema "Einhornforschung". 

Das Unglaubliche ist, es handelt sich eben nicht nur um ein Fabeltier, sondern ich fand es unglaublich, wie der Autor dieser Studie heißt. Das ist nämlich ein Herr Einhorn, und zwar ein Franziskanerpater, der vor 50 Jahren an der Uni Kiel seine Doktorarbeit geschrieben hat zur Bedeutungsgeschichte des Einhorns in der christlichen Kunst. Er beschreibt darin auf 500 Seiten, das Wissen über Einhörner aus der Antike bis in die Neuzeit. 

Er führt alte Handschriften, Münzen, Gemälde und Kirchenfassaden an. Wie diese in die christliche Welt gekommen sind, erfährt man da und inzwischen natürlich auch aus anderen Quellen, ist das Einhorn durch einen Bericht im "Physiologus".

Diese griechisch geschriebene Zoologie ist wohl im zweiten bis vierten Jahrhundert nach Christus in Syrien oder in Alexandrien entstanden. Und diese Zoologie, versetzt mit Elementen aus dem Mythos und der Fabelwelt, wurde dann zum unerschöpflichen Beispielschatz theologischer Aussagen. Der Verfasser hat das auch begründet, denn nichts habe uns die Schrift ohne Gleichnisse gesagt. 

Und dann kommt es im Spätmittelalter in der christlichen Kunst zum Höhepunkt, wenn das Einhorn mit der Jungfrau in Verbindung gebracht wird. Also die reine Magd und das reine weiße Tier, das von Theologen als Christussymbol oder aber auch ins Gegenteil gedeutet wird und negativ besetzt dem Bösen zugeordnet wird. 

Martin Luther hat das Wort wahrscheinlich aus dem Lateinischen oder auch der hebräischen Bibel übersetzt. Da taucht es nämlich auch schon auf. 

DOMRADIO.DE: Die Verbindung von Einhorn zur Jungfrau Maria hat sich im Laufe der Geschichte ergeben, aber wie kommt es denn zu dieser Verbindung? 

Bernward Kalbhenn

"Das Tier galt als besonders edel."

Kalbhenn: Das ist die jungfräuliche Geburt, die hier eine zentrale Rolle spielt. Noch bevor die Jungfrau an sich mit Maria in Verbindung gebracht wurde, ist das Einhorn bereits in Verbindung mit der Jungfräulichkeit in die Kunst gekommen. Das Tier galt als besonders edel, wild und wurde häufig in weiß dargestellt, also ein sehr reines Tier. 

Und dann wurde es, über welche Gedankenspiele auch immer, mit Maria in Verbindung gebracht. 

DOMRADIO.DE: Und es gibt ja durchaus skurrile Beschreibungen im Laufe der Geschichte. Der Erzengel Gabriel will beispielsweise ein Einhorn fangen, es lässt sich aber auch beobachten, dass das Einhorn irgendwann wieder aus der christlichen Kunst verschwindet, warum? 

Kalbhenn: Die Verkündigungsgeschichte mit dem Erzengel Gabriel ist beispielsweise im erzbischöflichen Museum Kolumba in Köln zu sehen. Dort gibt es ein wunderbares Antependium, einen Altarvorhang, der genau diese mystische Einhornjagd im geschlossenen Garten darstellt. Der Erzengel Gabriel ist der Jäger, doch das Einhorn kommt nur im Schoß der Jungfrau zum Frieden. 

Das Einhorn ist also ein wildes, unbezähmbares Tier und Bedenkenträger in der Theologie warnten vor Missinterpretationen. Das hatte offensichtlich ein Verschwinden des Einhorns aus der christlichen Kunst zur Folge. Das Tridentinische Konzil nach der Reformation hat 1563 dazu sogar ein Dekret über die Verehrung der Bilder erlassen. Darin wurde festgehalten, dass in den Kirchen keine Bilder aufgestellt werden durften und gegebenenfalls abgeschafft werden mussten, die den "Ungebildeten Gelegenheit zu einem gefährlichen Irrtum geben könnten." 

Damit war das Urteil gesprochen und sukzessive verschwanden diese Bilder aus den Kirchen. Es gibt bis heute aber Beispiele, wo sie noch zu sehen sind. Ein besonders schönes Exemplar gibt es im Erfurter Dom zu sehen. Im Lübecker Dom gibt es ein Einhorn, Altarretabel und auch hier in Salzwedel, in Norddeutschland, in der Nähe von Uelzen. 

Einhornaltar im Erfurter Dom mit der allegorischen Darstellung der Ankündigung der Geburt Jesu durch den Erzengel Gabriel im Mittelbild / © Roger Hagmann (KNA)
Einhornaltar im Erfurter Dom mit der allegorischen Darstellung der Ankündigung der Geburt Jesu durch den Erzengel Gabriel im Mittelbild / © Roger Hagmann ( KNA )

DOMRADIO.DE: Wir haben am Anfang unseres Gespräches davon gesprochen, dass Martin Luther in seiner Übersetzung zweimal das Einhorn erwähnt hat. Die Einheitsübersetzung heute macht daraus einen "Büffel" oder einen "Wildstier". Finden Sie das schade, dass der Begriff "Einhorn" heute nicht mehr vorkommt in der Bibel? 

Bernward Kalbhenn

"Die neu erzählten Geschichten kommen ohne diese alten Geschichten nicht aus."

Kalbhenn: Also das Einhorn ist aus der deutschsprachigen Bibel komplett verschwunden. Aus der Einheitsübersetzung ebenso, wie aus der Lutherbibel. Auch in der Lutherbibel wurde es durch "Stier", "Wildochse" oder "Auerochse" ersetzt. 

Schade fände ich, wenn vergessen wird, was diese alten christlich gedeuteten Geschichten, mit den Geschichten zu tun haben, die heute über das Einhorn erzählt werden. Denn die neu erzählten Geschichten kommen ohne diese alten Geschichten nicht aus. Wenn wir das vergessen, fände ich das sehr schade. 

Da das Einhorn heutzutage unter den jungen Menschen anschlussfähig ist, könnte ich mir vorstellen, dass zum Beispiel im Religionsunterricht über diese Bedeutungsgeschichte und den Wandel der Bedeutung des Einhorns, viel zu lernen ist: Wie Symbole in unterschiedlichen Zeiten unterschiedlich gedeutet werden. Und man könnte zum Beispiel auch das Thema Fake News in so einem Zusammenhang behandeln. 

DOMRADIO.DE: Das heißt also, das Einhorn könnte heute ein neuer Anknüpfungspunkt sein zwischen der Gesellschaft, die ja ziemlich säkular geworden ist und der christlichen Tradition? 

Kalbhenn: Das könnte ich mir vorstellen! 

Das Interview führte Mathias Peter.

Quelle:
DR