Queerfeindlichkeit ist in der Kirche immer noch verbreitet

Von Mut, Seelsorge und Glitzer

Mancherorts wehen derzeit besonders viele Regenbogenflaggen, denn die "Pride-Saison" hat begonnen. Auch gläubige queere Menschen suchen ein spirituelles Zuhause. Ein Priester hört hin. Und das nicht nur zum Christopher Street Day.

Autor/in:
Madita Steiner
Sonnenschirm in Regenbogenfarben / © Katharina Gebauer (KNA)
Sonnenschirm in Regenbogenfarben / © Katharina Gebauer ( KNA )

Jazz Cortes wohnt neben einer Kirche. Einmal wollten Gottesdienstbesucher sie anzünden - weil sie mit ihrem Lebensentwurf
nicht klarkamen, wie Jazz sagt. Jazz ist schwul und arbeitet nebenberuflich als Dragqueen. Dragqueens sind Männer, die sich mit Kleidung und Schminke als Frau präsentieren, oft bewusst übertrieben und theatralisch dargestellt.

Dragqueen Jazz Cortes (l.) filmt beim "Drag Slam Frankfurt" / © Madita Steiner (KNA)
Dragqueen Jazz Cortes (l.) filmt beim "Drag Slam Frankfurt" / © Madita Steiner ( KNA )

Sie sind Teil der queeren Gemeinschaft, die in den kommenden Monaten auf weltweiten Paraden für die Akzeptanz aller Sexualitäten eintreten. In Berlin wird der Christopher Street Day zum Beispiel am 27. Juli gefeiert, "Cologne Pride" schon vom 21. Juni bis 6. Juli. Mit dem englischen Wort queer bezeichnen sich Menschen, die nicht heterosexuell sind oder deren geschlechtliche Identität nicht mit gesellschaftlichen Rollenbildern übereinstimmt.

Jazz fühlt sich in der Rolle als Drag wohler als in der alltäglichen Welt: "Ich liebe es, einen Raum zu haben, und alle drehen sich zu einem um." Über die Jahre hinweg machte sie sich mit häufiger Präsenz auf verschiedenen Veranstaltungen einen Namen und moderiert nun auch schon mal dort. So wie etwa kürzlich bei den baden-württembergischen Poledance-Meisterschaften.

Viele Konservative haben Toleranz gelernt

Szenenwechsel: Einige Kilometer entfernt hat Ansgar Wucherpfennig seinen Arbeitsplatz. Für den katholischen Ordensmann und Professor an der Jesuiten-Hochschule Sankt Georgen in Frankfurt spielen die Belange der queeren Gemeinschaft in seiner Arbeit eine zentrale Rolle. Er setzt sich für die Rechte von Homosexuellen und Frauen in der Kirche ein. 

Ansgar Wucherpfennig / © Angelika Zinzow (KNA)
Ansgar Wucherpfennig / © Angelika Zinzow ( KNA )

2018 war er für eine dritte zweijährige Amtszeit als Rektor der Hochschule wiedergewählt worden. Der Vatikan erteilte ihm aber zunächst nicht die Zustimmung in Form der Unbedenklichkeitserklärung ("Nihil obstat") - was auf massive Kritik stieß, bevor er doch noch das Amt antreten konnte.

Er habe "von der Kirche einen großen Rückhalt erfahren", sagt Wucherpfennig rückblickend. Im September 2020 endete dann seine insgesamt sechsjährige Zeit als Rektor. Die Debatte habe gezeigt "dass Konflikte hilfreich sind". Und: Allgemein erlebe er bei den Kirchenmitgliedern - von konservativ bis progressiv - eine große Toleranz gegenüber Queerness.

In der selbst gewählten Familie

Manchmal ist diese Welt tatsächlich voller Glamour und Glitzer: An diesem Abend filmt Jazz bei einem "Drag Slam" in Frankfurt, um Clips in den Sozialen Medien hochzuladen - etwa, wie die befreundete Dragqueen Giselle vor rund hundert Zuschauern auftritt. Giselle Hipps moderiert die Show in einem leuchtend bunten, hautengen Anzug. Ihre Perücke ist so voll wie zwei Haarprachten zusammen.

Dragqueen Giselle Hipps moderiert den "Drag Slam Frankfurt" / © Madita Steiner (KNA)
Dragqueen Giselle Hipps moderiert den "Drag Slam Frankfurt" / © Madita Steiner ( KNA )

Giselle heißt eigentlich Hendrik Gies, aber Jazz würde sie nie so nennen. Zu sehr identifizieren sich beide mit ihren Drag-Rollen. Giselle arbeitet seit elf Jahren als Drag und moderiert die Show jeden Monat. Ihre Drag-Kollegen bezeichnet sie als "chosen family" - ihre selbst gewählte Familie neben ihrer biologischen, von der sie ebenfalls Unterstützung erfährt. Teil davon ist auch Phiphi Cumfort, die sie an diesem Abend auf die Bühne ruft.

Kreative Facetten der Person ausdrücken

Phiphi heißt bürgerlich Philipp Turinske und ist außerhalb der Drag-Welt ein schwuler Mann. Aber: "Phiphi steht auf hetero Männer." Sie schätzt, dass nur einer von hundert Drags hetero ist. Phiphi hat zweieinhalb Stunden für ihr Make-up gebraucht. Ihre Arbeit als Drag bezeichnet sie als Therapie: "Ich drücke mich aus, wie ich authentisch bin." Das heißt: feminin, kreativ, weniger Schein.

Phiphi Cumfort ist eine von sechs Kandidatinnen, die mit ihren Auftritten gegeneinander antreten. Bevor die Moderatorin sie aufruft, zupfen einige an ihrer Kleidung. Doch in dem Moment, in dem sie die Bühne betreten, strahlen sie - je nach Auftritt fröhlich, majestätisch oder auch melancholisch. Phiphi singt bei der eigenen Tanzeinlage nicht laut mit, doch die Vorstellung gleicht dem Auftritt einer Opernsängerin: Sie reißt die Augen auf, und ihre Präsenz nimmt den gesamten Raum der Bühne ein.

Kirchliche Angebote bei Pride-Paraden

Für Jesuit Wucherpfennig begann die Beschäftigung mit queeren Bedürfnissen aufgrund persönlicher Begegnungen: etwa mit einem schwulen Freund, der sich zwischen Liebe zu den kirchlichen Traditionen und dem Gefühl, unwillkommen zu sein, zerrissen fühlte. Oder mit der Leiterin eines Drogenprojekts, deren Leichtigkeit, ihre Queerness offen zu leben, ihn inspirierte.

Gestalten das Programm des Stadtdekanats Köln zum ColognePride 2024 (v. re.): Kölns Stadtdechant Msgr. Robert Kleine, Dragqueen Cassy Carrington, Ken Reise (alias Julie Voyage) und Psychologin Annelie Bracke. / © Thomas Gruner/Stadtdekanat Köln
Gestalten das Programm des Stadtdekanats Köln zum ColognePride 2024 (v. re.): Kölns Stadtdechant Msgr. Robert Kleine, Dragqueen Cassy Carrington, Ken Reise (alias Julie Voyage) und Psychologin Annelie Bracke. / © Thomas Gruner/Stadtdekanat Köln

Seither setzt er sich unter anderem in der Seelsorge für ihre Belange ein. Gesprächsthemen sind meist Familiäres oder Unsicherheiten mit der eigenen Identität, berichtet der Kirchenmann. Dieses Jahr ist erstmals geplant, in der Sankt Leonhard Kirche ständig Seelsorgegespräche anzubieten, wenn dort der CSD gefeiert wird (17. bis 20. Juli), mit Musik- und Meditationsangeboten. Stände rund um die Parade haben kirchliche Bewegungen schon seit Jahren.

Wucherpfennig beobachtet, dass derzeit Teile der Gesellschaft größer werden, die queerfeindliche Einstellungen übernehmen. Das werde nur wieder schwächer, wenn sich beide Seiten öffnen und so Ängste abgebaut werden können, betont er - und wenn sich auch Menschen mit Verunsicherungen hinsichtlich Queerness angenommen fühlen.

2022 mehr Angriffe gegen queere Menschen

Queere Menschen in Deutschland sind offenbar auch sechs Jahre nach Einführung der Ehe für alle von Gewalt bedroht. 2022 habe es einen Anstieg auf 1.400 solcher Straftaten gegeben, kritisierte die Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Luise Amtsberg, am Mittwoch. "Die Dunkelziffer ist deutlich höher - täglich werden queere Menschen beleidigt, ausgegrenzt und bedroht", erklärte die Grünen-Politikerin anlässlich des Internationalen Tags gegen Homo-, Bi-, Inter- und Transfeindlichkeit.

Im ostafrikanischen Kenia droht Homosexuellen eine Höchststrafe von 14 Jahren Gefängnis / © DisobeyArt (shutterstock)
Im ostafrikanischen Kenia droht Homosexuellen eine Höchststrafe von 14 Jahren Gefängnis / © DisobeyArt ( shutterstock )
Quelle:
KNA