Psychologe: Verzichten trainiert das Bewusstsein

Offen werden für Gott

"Mein Wille ist stark, das Portemonnaie ist geschlossen. Ich werde mir nichts kaufen" – ein Zitat aus dem Film "Shopaholic". Es ist gar nicht so einfach mit dem Verzichten. Aus Expertensicht lohnt es sich durchzuhalten.

Autor/in:
Leticia Witte
 (DR)

Am liebsten würde man immer alles, was man will, zu jeder Zeit haben. Wer die Fastenzeit ernst nimmt, kennt dieses Problem.Alkohol, Süßigkeiten oder elektronische Dauerberieselung sind tabu: In der Fastenzeit vor Ostern verzichten manche Menschen 40 Tage lang auf unterschiedliche Genüsse. Freiwillig, beziehungsweise aus religiöser Überzeugung – oder einfach aus einer Mode heraus.

"Man verzichtet in der Erwartung, dass es etwas bringt"

Auch wenn man sich selber in dieser Zeit Grenzen setzt, muss niemand mit ernsthaften Konsequenzen rechnen, sollte es doch nicht gelingen oder das Fasten hin und wieder unterbrochen werden. Warum also verzichten Menschen in einer Gesellschaft, in der nahezu alle Dinge und Dienstleistungen fast immer verfügbar sind?

"Das Motiv ist immer eine Gewinnerwartung. Man verzichtet nicht einfach so, sondern hat die Erwartung, dass es etwas bringt", sagt der Psychologe Peter Groß. Viele Menschen säßen zu lange vor dem Fernsehgerät oder Computer. "Irgendwann dämmert einem, dass ein Verzicht eine gute Idee sein könnte, etwa im Urlaub. Man könnte – aber man muss nicht."

Muss ich das 50. Paar Schuhe wirklich kaufen?

Stichwort Überflussgesellschaft: "Irgendwann drängt sich die Frage auf, ob ich das 50. Paar Schuhe wirklich kaufen muss. Viele Menschen merken, dass das übertrieben wäre", so der Fachmann. Zum christlichen Fasten gehöre der Aspekt der Reue. "Auch das Brechen von schlechten Gewohnheiten spielt eine Rolle: alles, was im Übermaß da ist, zu reduzieren – ob es ums Fernsehen geht oder den Alkoholkonsum."

Immer wieder wird deutlich, dass viele Menschen zwar in der Fastenzeit vor Ostern den Verzicht üben – aber mit der Kirche nicht viel am Hut haben.

"Das Fasten hat nicht nur einen spirituellen Hintergrund, sondern es gibt auch das Heilfasten. Das erfreut sich zunehmender Beliebtheit in Zeiten des Überflusses", meint Groß. "Aber die spirituelle Seite ist noch in den Hinterköpfen, als Vorbereitung auf Ostern." Er verweist auf den muslimischen Fastenmonat Ramadan. Einen Tag gar nichts zu essen, sorge auch bei vielen Menschen für eine Art Gedankenklarheit.

Ziel der Askese: offen werden für Gott

Mit einer solchen Klarheit verbindet man im christlichen Kontext auch die Askese. Deren Mittel "sind seit alters her Fasten, Wachen, Beten, Meditation, Schriftlesung, Schweigen, Handarbeit, Schlafentzug, Beobachtung der Gedanken und Aussprechen der Gedanken und Gefühle einem geistlichen Begleiter gegenüber", notiert das "Lexikon für Theologie und Kirche".

Ziel der Askese sei immer auch der "freie und reife Mensch", der zu sich selbst gefunden habe und so "offen geworden ist für Gott". Dass Fasten mit einer inneren Freiheit verbunden sei, betont auch der Benediktinerpater und Bestsellerautor Anselm Grün. Man könne erfahren, dass man nicht einfach von seinen Bedürfnissen beherrscht werde, schrieb

Mit den Leidenschaften kämpfen

Das "Lexikon für Theologie und Kirche" weist aber auch auf Gefahren der Askese hin: Sie werde noch oft falsch in der Hinsicht verstanden, dass man nicht mit den Leidenschaften, sondern gegen sie kämpfe. So könne Askese in eine Krankheit führen, weil Triebe verdrängt würden.

Wer heute an den Begriff des Verzichts denkt, dem fallen zum Beispiel Vegetarier und Veganer ein. Oder Menschen, die versuchen, einem überbordenden Konsum ein Schnippchen zu schlagen, und die möglichst viele Dinge reparieren anstatt sie neu zu kaufen. Oder vielleicht auch diejenigen, die keinen Sex vor der Ehe haben – dazu gibt es die Initiative "Wahre Liebe wartet".

Das Teilen sei "absolut sinnvoll"

Im Trend liegt das Teilen: etwa von Autos, Gartengeräten oder übertragbaren Dauerkarten. Damit zusammen hängt die Idee, viel Besitz zu vermeiden. Da hat jemand keinen Fernseher, ein anderer kein Auto. Das Teilen und Abgeben von Dingen sei "absolut sinnvoll", so Groß. "Alle Religionen enthalten den Gedanken: Lebe nicht so, als würdest du alleine leben, sondern erkenne, dass wir eine Gemeinschaft sind – mit allen Lebewesen."

Das Gefühl, sich eine Auszeit zu gönnen, sei bedeutend, betont Groß. Viele Menschen spürten, "dass es wichtig ist, auch mal wieder im Hier und Jetzt zu leben". Psychologisch gesehen sei der Verzicht eine gute Willensübung: "Der Körper sagt, her damit – und ich sage nein. Das trainiert das Bewusstsein."

 

Quelle:
KNA