Vor 75 Jahren beginnen die Nürnberger Prozesse

Prozess gegen NS-Hauptkriegsverbrecher

Sie waren lebende Symbole von Rassenhass, Terror und Gewalt. Vor 75 Jahren lief der Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher Nazi-Deutschlands an. Das deutsche Volk als Ganzes saß nicht auf der Anklagebank.

Autor/in:
Christoph Arens
Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess / © Ray D'Addario (epd)
Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess / © Ray D'Addario ( epd )

"Die Untaten, die wir zu beurteilen und zu bestrafen suchen, waren so ausgeklügelt, so böse und von so verwüstender Wirkung, dass die menschliche Zivilisation es nicht dulden kann, sie unbeachtet zu lassen, sie würde sonst eine Wiederholung solchen Unheils nicht überleben."

Mit diesen Worten rechtfertigte Robert H. Jackson, Hauptankläger der USA beim Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher aus Nazi-Deutschland, eine weltgeschichtliche Neuerung: Erstmals wurden im Herbst 1945 deutsche Politiker und Militärs persönlich für ihre Untaten angeklagt. Seither ist eine Verfolgung durch das Völkerstrafrecht möglich, selbst wenn die Verbrecher ein hohes Amt innehaben oder die Gesetze eines Staates das Verbrechen zulassen.

Erste Anklage vor 75 Jahren

Am 6. Oktober 1945, vor 75 Jahren, unterzeichneten die Ankläger der vier alliierten Mächte in Berlin die Anklageschrift gegen "Hermann Wilhelm Göring und andere". Sie umfasste 71 Druckseiten mit 25.000 Wörtern. Die Hauptanklagepunkte: Verschwörung, Verbrechen gegen den Frieden, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Gleichzeitig erklärte das Gericht, dass es nicht das gesamte deutsche Volk auf die Anklagebank bringen wolle.

Auch die erste Sitzung des Internationalen Militärtribunals fand am 18. Oktober 1945 in Berlin statt. Anschließend wurde der Prozess nach Nürnberg verlegt, in die Stadt der Reichsparteitage. Es war von hoher symbolischer Bedeutung, den führenden Nazis an diesem Ort den Prozess zu machen.

Eingeleitet schon während des Krieges

Bereits im November 1943 hatten Großbritannien, die USA und die Sowjetunion bekräftigt, NS-Verbrecher zur Verantwortung ziehen zu wollen. Die eigentlichen Verhandlungen begannen am 20. November 1945 im Nürnberger Justizpalast. Angeklagt waren 24 Personen und sechs Organisationen: Auf der Anklagebank saßen nur 21 Vertreter des NS-Regimes. Martin Bormann war verschollen, Gustav Krupp von Bohlen und Halbach galt als verhandlungsunfähig, Robert Ley hatte vor Prozessbeginn Selbstmord begangen.

Jahre lang hatten sie sich wie die Götter aufgespielt. Doch auf den harten Anklagebänken wirkten sie grau und unscheinbar: Reichsmarschall Göring, Hitlers Stellvertreter Rudolf Heß, Außenminister Joachim von Ribbentrop, Militärs und Industrielle - sie alle plädierten trotzig auf "nicht schuldig" und lehnten jede Verantwortung ab.

Die Anklagepunkte

Haupt-Anklage war das Führen eines Angriffskrieges. Den Angeklagten wurde vorgeworfen, 36 internationale Verträge und Abmachungen gebrochen zu haben. Ihnen wurden Kriegsverbrechen wie Massenmord, Folterungen, Sklavenarbeit, unmenschliche Haft, medizinische Menschenversuche sowie wirtschaftliche Ausplünderung vorgehalten. Als "Verbrechen gegen die Humanität" wurden die Ermordung, Ausrottung, Versklavung, Deportation und andere unmenschliche Handlungen gegen Zivilbevölkerungen geahndet. Die Kriegsverbrecher hätten politische Gegner sowie rassische und religiöse Minderheiten verfolgt und sich der Ausrottung ganzer Bevölkerungsgruppen schuldig gemacht. Neben der Vernichtung der Juden wurden auch die Verbrechen an einzelnen Persönlichkeiten wie dem österreichischen Bundeskanzlers Dollfuß oder dem Kommunisten Ernst Thälmann aufgeführt.

Mit dem Prozess betraten die Siegermächte juristisches Neuland; ihr Handeln war auch in der westlichen Öffentlichkeit keineswegs unumstritten. Die Verteidiger der Nazi-Größen versuchten, die Unrechtmäßigkeit des Prozesses zu beweisen. Auch die Siegermächte hätten in der Vergangenheit Kriege geführt und während des Zweiten Weltkriegs Verbrechen begangen, erklärte der Verteidiger Hermann Jahrreiß. Er warf dem Gericht vor, die Angeklagten für etwas zu belangen, was zur Tatzeit gar nicht strafrechtlich relevant war.

Urteile nach einem Jahr

Dennoch sprach das Gericht am 1. Oktober 1946 die Urteile: Zwölf Angeklagte wurden zum Tod und sieben zu langjährigen Haftstrafen verurteilt. Drei Angeklagte - Schacht, Papen und Fritzsche - wurden freigesprochen.

Bis 1949 fanden in Nürnberg weitere 12 Verfahren statt, darunter der Flick-, der Ärzte- oder der Wilhelmstraßen-Prozess. Die USA bestritten sie in Alleinregie. Insgesamt waren in diesen Prozessen 209 Nationalsozialisten angeklagt, 36 wurden zum Tod verurteilt.


Saal 600 des Nürnberger Justizgebäudes: Schauplatz der Nürnberger Prozesse gegen die Hauptkriegsverbrecher der Nazi-Zeit / © Daniel Karmann (dpa)
Saal 600 des Nürnberger Justizgebäudes: Schauplatz der Nürnberger Prozesse gegen die Hauptkriegsverbrecher der Nazi-Zeit / © Daniel Karmann ( dpa )
Quelle:
KNA