Prominente Rechtsstreitigkeiten um Leben oder Sterbenlassen

Indi Gregory, Vincent Lambert, Terri Schiavo

Dürfen Ärzte und Gerichte über Leben und Tod entscheiden? Zum Tod des Säuglings Indi Gregory in Großbritannien ein Blick auf prominente, historische Rechtsstreite um das Sterbenlassen aus Europa und den USA.

Autor/in:
Alexander Brüggemann
Viele Tabletten und ein Wasserglas - Symbolbild Sterbehilfe / © Julia Steinbrecht (KNA)
Viele Tabletten und ein Wasserglas - Symbolbild Sterbehilfe / © Julia Steinbrecht ( KNA )

Der acht Monate alte britische Säugling Indi Gregory ist tot. Das schwerstkranke Mädchen wurde am Wochenende in Nottingham per Gerichtsbeschluss gegen den Willen seiner Eltern von einer Klinik in ein Sterbehospiz verlegt. Indi litt an einer seltenen degenerativen Krankheit, die nach Ansicht der behandelnden Ärzte unheilbar war. Sie wurde künstlich beatmet und ernährt.

Die Gerichte in England begründeten die Anordnung zum Abbruch der Behandlung mit dem Fortdauern eines dem Kind unzumutbaren Leidens ohne Aussicht auf Besserung; die Eltern bestanden auf einer Fortsetzung. Der Fall hatte in Italien über Wochen für Aufsehen gesorgt. Die zum Vatikan gehörende Kinderklinik Bambino Gesu hatte eine kostenlose Behandlung angeboten. Italiens Regierung verlieh Indi sogar die italienische Staatsangehörigkeit, um sie ins Land holen zu können.

Vincent Lambert:

Der 42-jährige Franzose stirbt 2019 in einer Klinik in Reims. Seit einem Motorradunfall 2008 war er querschnittsgelähmt und lag im Wachkoma. Zehn Jahre lang kämpften Familienmitglieder vor Gerichten um sein Leben oder um die Abstellung der lebenserhaltenden Maßnahmen. War die Beendigung der künstlichen Ernährung Mord, Notwendigkeit oder Erlösung?

Alfie Evans:

Der knapp zweijährige Junge stirbt am Ende April 2018 in einer Liverpooler Kinderklinik. In den Wochen zuvor gibt es ein intensives Ringen um die medizinische Versorgung des Jungen, der an einem fortschreitenden Abbau des Nervengewebes leidet. Britische Gerichte geben den Ärzten Recht, die die Behandlung aufgeben. Zugleich lehnen sie sowohl eine Verlegung nach Hause als auch in die vatikanische Kinderklinik Bambino Gesu ab, die sich angeboten hat. Auch Papst Franziskus interveniert persönlich.

"Andrea":

Im spanischen Wallfahrtsort Santiago de Compostela lassen nach langem Streit Ärzte im Oktober 2015 passive Sterbehilfe für das todkranke zwölfjährige Mädchen Andrea zu und lösen damit eine landesweite Debatte aus. Seit ihrer Geburt leidet das Mädchen an einer unheilbaren neuro-degenerativen Erkrankung. Die Eltern kündigen an, das Leben ihrer Tochter werde bald enden. Wenige Tage später stirbt Andrea.

Symbolbild Sterbehilfe / © Joaquin Corbalan P (shutterstock)
Symbolbild Sterbehilfe / © Joaquin Corbalan P ( shutterstock )

Brittany Maynard:

Auf YouTube berichtet die 29-jährige US-Amerikanerin, dass sie an einem unheilbaren Hirntumor leide; die Ärzte geben ihr nur noch wenige Monate zu leben. Sie kündigt für den 1. November 2014 ihren Suizid an. Tausende Gegner und Befürworter melden sich zu Wort. Maynard reist nach Oregon, wo Sterbehilfe erlaubt ist. Von einem Arzt erhält sie tödliche Präparate. Sie stirbt nach Angaben einer Sterbehilfeorganisation "friedlich in den Armen ihrer Liebsten".

Tony Nicklinson:

Ein hohes britisches Gericht entscheidet im August 2012, der 58-Jährige habe kein "Recht zu sterben" durch ärztliche Suizidbeihilfe. Der schwerstgelähmte Mann macht geltend, dass sein Leben "stumpf, elend, sinnlos, unwürdig und unerträglich" sei. Nicklinson stirbt sechs Tage nach dem Urteil an Nahrungsverweigerung und einer Lungenentzündung.

Diane Pretty:

Die bis zum Hals gelähmte Britin stirbt im Mai 2002 eines natürlichen Todes. Die 43-Jährige hatte durch alle Instanzen vergeblich auf ein Recht auf Beihilfe zur Selbsttötung geklagt. Pretty wollte verhindern, dass ihr Mann rechtlich belangt wird. Das britische Recht belegt seit 1961 Hilfe zum Suizid mit bis zu 14 Jahren Haft. Im April 2002 verneint auch der Europäische Menschenrechtsgerichtshof ein Recht auf Beihilfe zur Selbsttötung.

Terri Schiavo:

Der langsame Tod der US-Amerikanerin bewegt die Menschen weltweit und löst Kontroversen aus. Die Wachkoma-Patientin stirbt im März 2005, nachdem ihr zwei Wochen zuvor auf Antrag des Ehemanns die Magensonde zur künstlichen Ernährung entfernt wurde. Der Fall Schiavo, die nach einer misslungenen Herz-OP 15 Jahre lang im Koma lag, führt zu einem juristischen und politischen Tauziehen, an dem sich auch US-Präsident George W. Bush und höchste Gerichte beteiligen. Die Eltern plädierten für eine Fortsetzung der Behandlung.

Piergiorgio Welby:

Ein Arzt in Rom stellt Ende 2006 das Beatmungsgerät des muskelkranken Künstlers ab. Der 60-Jährige war neun Jahre von Geräten abhängig. Er hatte seit längerem um die Abschaltung der Apparate und die Gabe eines Schmerzmittels gebeten. Welby erhält eine zivile Totenfeier, da das Bistum Rom eine kirchliche Bestattung ablehnt. Sie begründet dies damit, dass der erklärte Wunsch zu sterben im Gegensatz zur katholischen Lehre stehe.

Debbie Purdy:

Die schwerkranke Britin scheitert im Oktober 2008 mit einem Gesuch zur gesetzlichen Klärung von Sterbehilfe. Der Oberste Gerichtshof Großbritanniens weist das Anliegen der an Multipler Sklerose erkrankten Frau zurück, Straffreiheit für ihren Mann zu erreichen, wenn er Beihilfe zur Selbsttötung leistet und sie in eine Schweizer Sterbeklinik begleitet. Purdy stirbt im Dezember 2014, nachdem sie jede Nahrungsaufnahme verweigert hatte.

Eluana Englaro:

Die 38-jährige Frau stirbt im Februar 2009 nach 17 Jahren im Koma in einem Pflegeheim im norditalienischen Udine. Tags zuvor war die künstliche Ernährung eingestellt worden. Mit einer Notverordnung versuchte der damalige Ministerpräsident Silvio Berlusconi, eine Fortsetzung der Ernährung zu erzwingen. Die Nachricht von Englaros Tod löst im Parlament, das noch über die Eilverfügung berät, Tumulte aus.

Patientenschützer begrüßen Nein zu Gesetzesregeln für Sterbehilfe

Die Deutsche Stiftung Patientenschutz hat das Nein des Bundestags zu zwei Gesetzes-Initiativen zur Sterbehilfe begrüßt. "Es war richtig, dass der Bundestag über die organisierte Suizidbeihilfe abgestimmt und sich gegen beide Entwürfe entschieden hat", sagte Vorstand Eugen Brysch am Donnerstag der Deutschen Presse-Agentur. "So wird Deutschland vor einem ethischen Dilemma bewahrt." Jetzt dürften sich die Abgeordneten aber keine weiteren Jahre Zeit lassen, um ein wirksames Suizid-Präventionsgesetz zu verabschieden.

Assistierter Suizid / © Julia Steinbrecht (KNA)
Assistierter Suizid / © Julia Steinbrecht ( KNA )
Quelle:
KNA