Liturgiewissenschaftler zur Debatte um "Geistermessen"

Pro: Auftrag des Herrn erfüllen - auch in schwierigen Zeiten

Gottesdienste sind ausgesetzt. Deshalb feiern Priester die Messe ohne Gläubige. Das kritisieren einige Liturgiewissenschaftler. Die Privatzelebration passe nicht zum heutigen Liturgieverständnis. Doch wie kann in der Coronakrise Glaube gelebt werden?

Gottesdienst ohne Volk / © Patrick Seeger (dpa)
Gottesdienst ohne Volk / © Patrick Seeger ( dpa )

DOMRADIO.DE: Wie stehen Sie denn zu den Aussagen der Liturgiewissenschaftler Albert Gerhards (Bonn), Benedikt Kranemann (Erfurt) und Stephan Winter (Osnabrück/Münster)?

Prof. Winfried Haunerland (Liturgiewissenschaftler in München): Ich war entsetzt und traurig, als ich das gelesen habe. Ich schätze die drei Kollegen sehr. Aber das, was dort steht, wird meines Erachtens der heutigen Situation nicht gerecht. Denn es geht hier nicht um Besitzstand von Priestern. Es geht nicht um Rechte von Priestern.

Sondern es geht meines Erachtens in dieser schwierigen Situation darum, dass die Kirche auch jetzt versuchen muss, das zu tun, was der Herr aufgetragen hat: "Tut dies zu meinem Gedächtnis." Und das kann in dieser schwierigen Situation offensichtlich nur geschehen, wenn auch einzelne Priester zumindest am Sonntag, vielleicht aber auch Tag für Tag, alleine zelebrieren.

DOMRADIO.DE: Das Zweite Vatikanische Konzil sagt aber, dass Liturgie von allen Getauften gemeinsam und öffentlich vollzogen wird. Ist dazu der Begriff "Privatzelebration" nicht ein Widerspruch?

Haunerland: Ja, in dem Sinne gibt es eigentlich keine wirkliche Privatzelebration, weil Gottesdienst immer die Feier der ganzen Kirche ist. Mit dem Begriff wird natürlich deutlich gemacht, dass es eine Spiritualität gibt, in der Gottesdienst gleichsam als individuelle Frömmigkeitsübung verstanden wird. Wenn das dann vom Priester für sich selbst nur verstanden wird, kann das durchaus auch so etwas Individualistisches sein, was dann aussieht, als wenn es nur für ihn privat wäre.

Darum geht es aber im Moment überhaupt nicht, sondern es geht um die Frage, wie einige stellvertretend das noch tun können, was die ganze Gemeinde und die ganze Kirche in der angemessenen Form im Moment nicht tun kann.

DOMRADIO.DE: Wenn wir die vor Ort versammelte Gemeinde als Trägerin der Liturgie definieren, was bedeutet das dann in Bezug auf die vielen Livestreams wie hier auf DOMRADIO.DE, wo Gläubige nicht vor Ort sind, aber doch vor dem Bildschirm sitzen und den Gottesdienst mitfeiern können?

Haunerland: Wir sind in einer außergewöhnlichen Situation, in der normalerweise nur Einzelne sind, Kranke, die vielleicht gehindert sind, zur Kirche zu gehen, und die versuchen intentional, sich an den Gottesdienst der Kirche anzuschließen. Das geschieht in jedem Krankenhaus, wenn die Gottesdienste auf die Stationen übertragen werden. Das geschieht jetzt eben in einer in der Tat außerordentlichen Weise, die auch nicht zur Regel werden darf, dass wir versuchen, uns anzuschließen, dort, wo Gottesdienst gefeiert wird.

Das ist nicht dasselbe wie die Mitfeier vor Ort. Das ist nicht die wirkliche sakramentale Teilhabe. Wir können nicht kommunizieren. Ja, das ist so. Aber es ist das, was in dieser Stunde für viele eine Möglichkeit ist, um gerade in dieser schwierigen Situation auch geistlich verbunden zu bleiben und im Gebet gestärkt zu werden. 

DOMRADIO.DE: Immerhin können wir ja zu Hause beten. Das tun auch viele Gläubige. Es gibt viele Initiativen, die dazu aufrufen. Das Erzbistum Köln lässt zum Beispiel bis Gründonnerstag jeden Abend die Glocken läuten. Welche Bedeutung haben solche Zeichen?

Haunerland: Ich finde, dass wir gerade in dieser Zeit, wo wir, wie die Frau Bundeskanzlerin sagt, direkte Sozialkontakte vermeiden müssen, das Gemeinschaftliche trotzdem auf andere Weise pflegen sollten. Das heißt eben auch, wir als Kirche und Christen müssen versuchen, uns gegenseitig zu erinnern, aber auch gegenseitig zu stärken.

Und wenn ich weiß, andere beten wie ich jetzt um diese Zeit oder andere beten wie ich dieses oder jenes Gebet, dann klinke ich mich auch in eine größere Gemeinschaft ein, die natürlich auch existiert ohne das Zeichen. Aber wir leben eben von Zeichen, die in uns etwas lebendig halten.

DOMRADIO.DE: Die öffentliche Feier der Ostertage steht zurzeit auf der Kippe. Einige Gläubige verabreden sich, um im ganz kleinen Kreis zu Hause zu feiern. Erlebt die Hauskirche aus Zeiten des frühen Christentums derzeit eine Renaissance?

Haunerland: Ich glaube, dass es für uns als Christen immer schon wichtig war und deshalb auch immer wieder neu angestoßen werden muss, dass wir nicht nur alleine beten, sondern auch miteinander. Dass dies jetzt im Moment vor allen Dingen dort geht, wo auch Gemeinschaften, Familien zusammenleben, Gott sei Dank ja auch in Klostergemeinschaften, die miteinander noch beten können, ist das eine.

Ob es jetzt klug ist, kleine Gemeinschaften wieder zu sammeln, das wird man sicher eher unter hygienischen Gesichtspunkten beurteilen müssen. Ich glaube, dass das etwas gefährlich werden kann.

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