Pro Asyl kritisiert Familliennachzug-Kompromiss

"Es geht nicht darum, die Probleme zu lösen"

Die Einigung von Union und SPD in Sachen Familienzug sei eine "Mogelpackung", sagt Pro Asyl. Auch die von der SPD geforderte Härtefallregelung sei nichts Neues und keine Verbesserung. Warum, erklärt Bellina Belucci im Interview.

Symbolbild Familiennachzug / © Patrick Pleul (dpa)
Symbolbild Familiennachzug / © Patrick Pleul ( dpa )

DOMRADIO.DE:  Es geht beim Familiennachzug darum, Familien zusammenzuführen. Warum wehrt sich die Politik so vehement dagegen?

Bellinda Bartolucci (Rechtspolitische Referentin bei​ Pro Asyl): Ich glaube, da wird eine symbolhafte Debatte geführt. Es geht offensichtlich gar nicht darum, die tatsächlichen praktischen Probleme zu lösen, sondern die Debatte ist sehr aufgeladen. Das zeigen schon die Zahlen: Bei den Familienangehörigen, die nach aktuellen Prognosen nachziehen würden, handelt es sich um gerade einmal etwa 60.000 Personen. Es wäre kein großes Problem, das einfach in die Praxis umzusetzen. Nur durch die Entwicklungen der vergangen zwei Jahre hat sich die Diskussion so stark politisch aufgeladen.  

DOMRADIO.DE:  SPD-Chef Martin Schulz gab sich nach der Einigung zufrieden "Wir haben jetzt eine Regelung 1000+" - und damit eine deutlich weitergehende Härtefallregelung als zunächst im Sondierungspapier festgeschrieben. Sie dagegen sagen: Diese Härtefallregelung ist eine Pseudolösung. Warum?

Bartolucci: Es ist doch seltsam, dass jetzt auf eine bereits bestehende Härtefall-Regelung verwiesen wird, nämlich Paragraph 22 des Aufenthaltsgesetzes. Das ist eine Regelung, die nichts mit der Familiennachzugsregelung zu tun hat. Es ist vielmehr eine Notfallklausel, die nur in ganz seltenen Ausnahmefällen Nachzüge beziehungsweise Aufenthaltsgenehmigungen ermöglicht. Was nun so seltsam ist, ist dass es diese Regelung ja längst gibt. Es gab sie bereits vor der Aussetzung des Familiennachzuges und auch in den vergangenen zwei Jahren. Dabei hat sich herausgestellt, dass diese Regelung nicht richtig funktioniert. Innerhalb der vergangenen zwei Jahre wurde sie nicht einmal einhundert Mal angewendet; es gab also nicht einmal einhundert Menschen, die über diese Regelung zu den subsidiär Geschützten nachkamen. Alleine diese Zahlen zeigen: Das kann keine Lösung sein!

DOMRADIO.DE: Die Einigung ist in Ihren Augen eine Mogelpackung. Wie hätte denn dagegen eine sinnvolle Härtefallregelung aussehen müssen?

Bartolucci: Das Problem ist, dass wir hier über den Familiennachzug sprechen, der ja grundrechtlich und menschenrechtlich geschützt ist. Das heißt, eine Härtefallregelung allein kann die bestehenden Ansprüche nicht einlösen. Im Gesetzesentwurf, der am Donnerstag beschlossen werden soll, steht ausdrücklich, dass die Familienangehörigen keinen Anspruch haben dürfen. Das Ganze wird also als eine Art Gnadenrecht formuliert und mit einer äußerst begrenzten Härtefallregelung kombiniert. Das wird dem menschenrechtlichen und grundrechtlich geschützten Anspruch der Betroffenen in keiner Weise gerecht.      

DOMRADIO.DE:  Was bedeutet das denn für die betroffenen Flüchtlinge; vor allem für Menschen, die ihre Heimat Syrien wegen des blutigen Krieges dort verlassen mussten?

Bartolucci: Das hat schon jetzt sehr katastrophale Folgen. Wir müssen uns in der ganzen Debatte immer vor Augen führen, über wen wir hier sprechen: Es geht um subsidiär Schutzberechtigte. Der Begriff suggeriert vielleicht, der Schutz dieser Menschen sei nicht so dringlich wie der der Flüchtlinge nach der Genfer Flüchtlingskonvention. Dabei sind diese Gruppen sehr wohl vergleichbar. Auf internationaler Ebene werden die Flüchtlinge nach der Genfer Flüchtlingskonvention genauso wie die subsidiär Geschützten als Schutzberechtigte anerkannt. Schon da gibt es also einen gemeinsamen Begriff. Außerdem sind in beiden Gruppen ja Menschen vor schweren Menschenrechtsverletzungen geflohen. Wenn wir auf Syrien schauen: Da fliehen diese Menschen vor einem Bürgerkrieg, vor Folter, vor  unmenschlicher Behandlung. Also gibt es verschiedene Fluchtursachen, die unter diesen so genannten subsidiären Schutz fallen. Und da ist es doch katastrophal zu behaupten, diese Menschen würden einen rechtlich schwächeren Schutz verdienen. Gestern habe ich direkt nach der Verkündung dieses vermeintlichen Kompromisses mit einem Syrer gesprochen. Der sagte mir: "Ich bin jetzt seit zwei Jahren hier, ich halte die Trennung von meiner Familie nicht mehr aus." Er überlegt jetzt, wieder zurückzugehen, was angesichts der Zustände in Syrien fatal wäre. 

DOMRADIO.DE:  Sie haben dem Bundestag gestern eine Petition zum Familiennachzug und 30.000 Unterschriften überreicht. Was steht in der Petition?

Bartolucci: Die Petition hat zum Ziel, dass wir wieder von der Aussetzung des Familiennachzugs wegkommen wollen. Diese Aussetzung war ja eine Ausnahmeregelung, die im März 2016 beschlossen wurde. Wäre diese Aussetzung jetzt einfach zum Stichtag im März 2018  ausgelaufen, hätten wir wieder die vorherige Regelung. Der zufolge waren die subsidiär Geschützten berechtigt, Angehörigen ihrer Kernfamilie nachziehen zu lassen. Von daher ist die Aufforderung in unserer Petition, einfach die Ausnahmeregelung auslaufen zu lassen, damit wir den subsidiär Schutzberechtigten wieder das Familienleben ermöglichen, das ihnen per Grundrecht zusteht.

Das Gespräch führte Dagmar Peters.

 

Quelle:
DR