Priester wegen Kritik am Krieg aus Moskauer Patriarchat ausgeschlossen

"Es ist schmerzhaft, seine Kirche zu verlassen"

Was passiert mit russischen Kirchenmännern, die nicht an den Heiligen Krieg glauben? Wegen seiner Kritik wurde der russisch-orthodoxe Priester Andrej Kordochkin sanktioniert. Jetzt engagiert er sich aus Deutschland für Dissidenten.

Andrej Kordochkin (DR)
Andrej Kordochkin / ( DR )
Die russisch-orthodoxe Kathedrale der Santa María Magdalena in Madrid wurde 2013 im Neo-byzantinischen Stil erbaut. / © Jose Luis Vega (shutterstock)
Die russisch-orthodoxe Kathedrale der Santa María Magdalena in Madrid wurde 2013 im Neo-byzantinischen Stil erbaut. / © Jose Luis Vega ( shutterstock )

Bis vor Kurzem war Andrej Kordochkin leitender Pfarrer in der russisch-orthodoxen Kirchengemeinde der Heiligen Maria Magdalena in Madrid, einer Auslandsdiözese des Moskauer Patriarchats. Sein Pfarrhaus in der spanischen Hauptstadt haben er und seine Familie eingetauscht gegen eine kleine Wohnung am Niederrhein, unweit der holländischen Grenze. 

"Natürlich ist es schmerzhaft, seine Kirche zu verlassen", gibt der 46-jährige Priester bereitwillig zu, "ich vermisse meine Gemeinde, die Menschen. Ich vermisse das Essen, vor allem den Fisch, den es frisch und günstig auf dem Markt gab. Aber die Sonne vermisse ich nicht. Ich bin ein nordischer Typ. Das Klima in Deutschland kommt mir entgegen", scherzt Kordochkin. Hinter seinem grauen Vollbart blitzt ein Lächeln. 

Der Warnschuss: Drei Monate Dienstverbot 

Was nach einem versöhnlichen Versuch klingt, den abrupten Umzug zu erklären, hat einen ernsten Hintergrund. Wegen kritischer Äußerungen zum Ukraine-Krieg in spanischen Medien und auf sozialen Netzwerken hatte die russisch-orthodoxe Kirche im Frühjahr 2023 ein dreimonatiges Dienstverbot gegen den Priester verhängt. 

Priester Andrej Kordochkin hat sein Pfarrhaus in Madrid gegen eine kleine Wohnung am Niederrhein eingetauscht. Die Wände zieren äthiopische Kunstwerke, Ikonen und ein historischer Stadtplan von St. Petersburg, wo Kordochkin geboren ist.  (DR)
Priester Andrej Kordochkin hat sein Pfarrhaus in Madrid gegen eine kleine Wohnung am Niederrhein eingetauscht. Die Wände zieren äthiopische Kunstwerke, Ikonen und ein historischer Stadtplan von St. Petersburg, wo Kordochkin geboren ist. / ( DR )

Ein Wendepunkt in Kordochkins Leben, der die Gemeinde über 20 Jahre lang mit aufgebaut hatte: "Ich wollte eigentlich nicht gehen, unsere Mitglieder nicht im Stich lassen. Ein Lehrer schmeißt ja auch nicht seine Arbeit hin, nur weil er mit der Bildungspolitik nicht zufrieden ist. Aber als das Dienstverbot kam, wurde mir langsam klar, dass ich etwas tun muss. Ich bin schließlich nicht alleine, ich habe eine Ehefrau und zwei Kinder". 

Die Legitimierung des russischen Angriffskriegs erforschen

Die Möglichkeiten für dissidente Priester sind begrenzt. Nach Russland zurückzukehren war keine Option - dafür aber eine Anknüpfung an seine wissenschaftliche Karriere. Denn vor seinem Priesterdienst hatte Kordochkin in Oxford und London studiert und an der University of Durham in England im Fach Patristik promoviert. Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) nahm ihn als einen von zehn ausländischen Stipendiaten ins Förderprogramm auf, mit der Bedingung nach Deutschland umzuziehen. 
"Viele Stiftungen und Stipendiengeber haben überlegt, wie sie mit russischen Stipendiaten umgehen", erläutert Dr. Wolfram Langpape, Referent für Orthodoxie, allgemeine Ökumene und Stipendien bei der EKD. "Wir haben uns bewusst dafür entschieden, russischen Stipendiaten Forschungsaufenthalte zu ermöglichen, um die ökumenischen Kontakte zur orthodoxen Kirche aufrechtzuerhalten." 

Bei seiner Habilitation betreut wird Andrej Kordochkin, den viele nur "Vater Andrej" nennen, von Jennifer Wasmuth. Sein Thema, die theologische Legitimierung des russischen Krieges, sei bislang in der Forschung wenig beachtet, sagt die Professorin am Lehrstuhl für Ökumenische Theologie mit Schwerpunkt auf orthodoxem Christentum an der Georg-August-Universität Göttingen: "Es gibt zwar eine Reihe von kleineren Publikationen über die aktuellen Entwicklungen, aber dass diese so gründlich erforscht seien, wie Vater Andrej es vor hat, ist nicht der Fall. Insofern füllt er damit eine Lücke". Besonders vorteilhaft sei, dass Kordochkin Zugriff auf Quellen hat, die westliche Forscher unter Umständen nicht haben oder nicht einmal kennen - auch wenn es zunächst erst darum ging, als Betroffener eine wissenschaftliche Distanz zum Thema aufzubauen. 

Kirche liefert ideologische Grundlage für den Krieg

Kordochkins neuer Arbeitsplatz: ein kleiner Schreibtisch am Fenster in der sonst auch schlicht gehaltenen Wohnung (DR)
Kordochkins neuer Arbeitsplatz: ein kleiner Schreibtisch am Fenster in der sonst auch schlicht gehaltenen Wohnung / ( DR )

Bei seinem Forschungsprojekt geht es um die Analyse von Aussagen des russisch-orthodoxen Oberhaupts Kyrill, Predigten verschiedener Hierarchen und von religiösen Narrativen, die in der Gesellschaft weite Verbreitung gefunden haben. "Viele meinen, man könne den Krieg nur militärisch beenden. Ich glaube, man kann nicht beenden, was man nicht versteht. Man muss die Motivation und die Ideologie der Menschen begreifen, die in diesen Krieg involviert sind." 

Die Ideologie werde von der russischen Kirche maßgeblich genährt, meint Kordochkin, und nennt ein Beispiel: Dieser Krieg sei ein Kampf mit dem Anti-Christen: Gut gegen Böse. Es gebe sogar die Auslegung, dass Heilige mitkämpfen würden, und Soldaten, die im Einsatz sterben – selbst wenn sie für ihren Kriegsdienst aus dem Gefängnis rekrutiert worden sind – durch den Tod für ihr Vaterland zu Märtyrern werden.

Andrej Kordochkin

"Viele meinen, man könne den Krieg nur militärisch beenden. Ich glaube, man kann nicht beenden, was man nicht versteht."


Wechsel zum Ökumenischen Patriarchat

Priester Andrej Kordochkin, der sich trotz seines Dienstes in Madrid immer als Teil der russischen Kirche gesehen hat, ist enttäuscht: Die Kirche wurde selbst in der Sowjetzeit unterdrückt. Nun unterdrücke sie andere. Man habe aus der Geschichte nichts gelernt. 

Kyrill I., russisch-orthodoxer Patriarch von Moskau und ganz Russland, und Bartholomaios I., griechisch-orthodoxer Patriarch von Konstantinopel und Ehrenoberhaupt der Weltorthodoxie, bei einem Treffen in Istanbul im Jahr 2018. / © Vatican Media/Romano Siciliani (KNA)
Kyrill I., russisch-orthodoxer Patriarch von Moskau und ganz Russland, und Bartholomaios I., griechisch-orthodoxer Patriarch von Konstantinopel und Ehrenoberhaupt der Weltorthodoxie, bei einem Treffen in Istanbul im Jahr 2018. / © Vatican Media/Romano Siciliani ( KNA )

Um weiterhin Priester zu bleiben, ist Kordochkin zum ökumenischen Patriarchat übergetreten. Messen feiert er nun alle zwei Wochen in einer griechisch-orthodoxen Gemeinde in den Niederlanden. Möglich ist ein solcher Wechsel aufgrund des sogenannten Ehrenprimats. Dieses besagt, dass das ökumenische Patriarchat mit Sitz in Konstantinopel, dem heutigen Istanbul, eine Sonderstellung unter den orthodoxen Kirchen hat und darüber entscheiden dürfe, wo Priester austreten und angenommen werden. Vom Moskauer Patriarchat wird dieses Recht allerdings seit Jahrzehnten massiv bestritten.

Trotzdem gibt es mehrere russisch-orthodoxe Priester, die bereits Gebrauch von dieser Möglichkeit gemacht haben und jetzt im Ausland in einer griechisch-orthodoxen Gemeinde dienen.

Ökumenisches Patriarchat von Konstantinopel

Das Ökumenische Patriarchat in Istanbul ist geistliches Zentrum der orthodoxen Christenheit und repräsentiert rund 220 bis 300 Millionen Christen in aller Welt. Der Überlieferung zufolge gründete der Apostel Andreas den Bischofssitz von Byzantion, dem heutigen Istanbul. Die Residenz des Patriarchats wird nach dem Stadtviertel, in dem sie sich befindet, kurz Phanar (Fener) genannt.

Blick auf Istanbul mit dem Galataturm (m.) / © Hassan Jamal (KNA)
Blick auf Istanbul mit dem Galataturm (m.) / © Hassan Jamal ( KNA )

Anderen Priestern Trost spenden

Auch in Deutschland will Andrej Kordochkin nicht schweigen. Im Sommer leitete er einen Gedenk-Gottesdienst in Berlin für den verstorbenen Kremlkritiker Alexei Nawalny. Er nahm an einer großen Antikriegsdemo teil, zu der dessen Witwe Julia Nawalnaja im November aufgerufen hatte. Außerdem hat der 46-Jährige eine Initiative für dissidente Priester gegründet: "Mir vsem", "Peace unto all" oder auf Deutsch "Frieden für alle". Auf der Internetseite kann für die Kirchenmitarbeiter gespendet werden.

Andrej Kordochkin

"Es geht uns darum zu zeigen, dass es Priester gibt, die verfolgt werden. Die russische Kirche lässt sich nicht über einen Kamm scheren."

Andrej Kordochkin am Niederrhein (DR)
Andrej Kordochkin am Niederrhein / ( DR )

Wie viele Priester in Russland den Krieg ablehnen – dazu gibt es keine verlässlichen Zahlen. Es dürften aber nicht viele sein. Doch es zähle jeder Einzelne, betont Kordochkin: "Wenn man sich die deutsche Geschichte anschaut, war der Widerstand der Kirche im Nazi-Reich auch nur eine Minderheit. Heute ist das die Mainstream-Meinung. Wir wollen genau diese Minderheit sein. Wir wollen eine Sprache finden für das, was passiert. Eben weil es damals eine Minderheit gab, die sich für Freiheit eingesetzt hat, konnte sich die Kirche in Deutschland, die sich in den 30ern gänzlich selbst diskreditiert hatte, ihre Glaubwürdigkeit nach dem Krieg zurückgewinnen."

Die Initiative "Mir Vsem“ fungiert aber auch als Austausch-Netzwerk. Auf dem Telegram-Kanal können die Priester ihre Erfahrungen teilen und einander Mut zusprechen. Besonders Priester in ländlichen Regionen haben es schwer. Der Kanal hat inzwischen knapp 900 Abonnenten. "Es geht uns darum zu zeigen, dass es Priester gibt, die verfolgt werden", sagt Andrej Kordochkin, "die russische Kirche lässt sich nicht über einen Kamm scheren. Nicht alle stehen hinter Putin und dem Krieg. Wir wollten ein Zeichen der Solidarität setzen."

Russisch-orthodoxe Kirche

Die russisch-orthodoxe Kirche ist mit rund 150 Millionen Gläubigen die mit Abstand größte orthodoxe Nationalkirche. In Russland bekennen sich gut zwei Drittel der Bevölkerung zu ihr - etwa 100 Millionen Menschen. Fast alle übrigen früheren Sowjetrepubliken zählt das Moskauer Patriarchat ebenfalls zu seinem kanonischen Territorium.

Russisch-orthodoxe Kirche mit Baugerüst / © Balakate (shutterstock)
Russisch-orthodoxe Kirche mit Baugerüst / © Balakate ( shutterstock )
Quelle:
DR

Fanreise nach Rom

Willibert in Rom (DR)
Willibert in Rom / ( DR )

Im April ist es endlich wieder soweit: Erkunden Sie das ehrwürdige Rom auf dieser Pilgereise mit dem Rom-Kenner Willibert Pauels, Karnevalsfreunden und DOMRADIO.DE-Besuchern auch bekannt als "ne Bergische Jung“!

Informationen und Buchung


 

Die domradio- und Medienstiftung

Unterstützen Sie lebendigen katholischen Journalismus!
DOMRADIO.DE Dreh (Pressestelle DOMRADIO.DE)
DOMRADIO.DE Dreh / ( )

Mit Ihrer Spende können wir christlichen Werten eine Stimme geben, damit sie auch in einer säkulareren Gesellschaft gehört werden können. Neben journalistischen Projekten fördern wir Gottesdienstübertragungen und bauen über unsere Kanäle eine christliche Community auf. Unterstützen Sie DOMRADIO.DE und helfen Sie uns, hochwertigen und lebendigen katholischen Journalismus für alle zugänglich zu machen!

Hier geht es zur Stiftung!