Predigt im Hohen Dom zu Köln am 28. September 2008

Abschluss der Domwallfahrt

Liebe Pilgerinnen und liebe Pilger!

Keine Wallfahrt ist so ehrwürdig und biblisch wie unsere Domwallfahrt, denn sie hat ihren Ursprung in der ersten christlichen Wallfahrt, als die Heiligen Drei Könige zu Christus kamen. Der Stern von Bethlehem führte damals die Heiligen Drei Könige und alle Gottessucher danach zum Ziel, zu Jesus Christus. Darum ist das Wichtigste bei unserer Pilgerreise über diese Welt, den Stern zu suchen, den Stern zu finden und uns vom Stern Orientierung geben zu lassen, damit wir ans Ziel kommen zu Jesus Christus. Und als die ersten drei Pilger auf diesem Weg vor dem Kind niedergefallen sind und ihm ihre Gaben geschenkt haben, kehrten sie auf einem anderen Weg - wie es das Evangelium ausdrücklich vermerkt - in ihre Heimat zurück. Und dort - das kann gar nicht anders sein - haben sie von dem erzählt, was sie in Bethlehem gesehen und gehört hatten. Das war damals so, und das ist heute nicht anders. Das Motto unserer Domwallfahrt 2008 weist uns ausdrücklich darauf hin: "Geht hinaus in die ganze Welt und verkündet das Evangelium allen Geschöpfen" (Mk 16,15). Das ist unser Auftrag, von dem uns niemand dispensieren kann. Das macht unser Leben erst groß und schön. Gott will uns Menschen in seinen Dienst nehmen.

 (DR)

1. In Bethlehem hat Gott damals, als er das kleine vergessene Volk Israel zu seinem Volk erwählt hatte, endgültig das Zeichen der Kleinheit zum entscheidenden Zeichen seiner Anwesenheit in dieser Welt gemacht. Unsere kleiner werdenden Gemeinden dürfen uns darum auch Grund zu großer Hoffnung sein, dass der Herr bei ihnen ist und sie zu neuen Aufbrüchen und zu einer erneuten Ausweitung führt. Das Kind von Bethlehem zeigt uns die Wehrlosigkeit der Liebe Gottes am deutlichsten. Gott kommt ohne Waffen und ohne Drohung in die Welt, weil er nicht äußerlich überwältigen will, sondern von innen her gewinnen, umwandeln und einladen möchte. Wenn irgendetwas die Selbstherrlichkeit des Menschen, seine Gewalttätigkeit und seine Habgier besiegen kann, dann ist es die Schutzlosigkeit dieses Kindes, das Gottes Wort -  das ist sein Sohn - selbst ist. Wenn das Wort Gottes in uns unfruchtbar bleibt - machen wir uns darüber nichts vor -, so liegt das nicht am Samen und auch nicht am Sämann, sondern es liegt vor allem am Erdreich, auf das der Same fällt, d.h. an uns, an der Bereitschaft, die wir für die Aufnahme des Wortes Gottes zeigen oder nicht. „Er kam in sein Eigentum, aber die Seinen nahmen ihn nicht auf. Allen aber, die ihn aufnahmen, gab er Macht, Kinder Gottes zu werden" (Joh 1,11-12).

2. Unsere Hoffnung, dem Evangelium in unserer Gesellschaft zu dienen, liegt nicht nur in der Kirchenpolitik der Bischöfe begründet, auch nicht in der Organisation unserer pfarrlichen Strukturen und auch nicht nur in den Konferenzpapieren pastoraler Veranstaltungen, sondern vielmehr in der Gnade und Macht Gottes, die nur ein anderer Name seiner Liebe ist. Da wir alle Botschafter Christi sind, ist es unsere Berufung, auf Gottes Liebe vorzubereiten und ihr Raum in den Menschen schaffen. Wir sollen selbst eine tätige Hoffnung für das Heil anderer sein, ja, eine wirkmächtige Hoffnung für das Heil aller in uns tragen. Wie viel Hoffnung auf Gottes Macht bleiben wir den Menschen heute schuldig? Wir erleben viel Hoffnungslosigkeit in uns und um uns. Können Hoffnungslose sich von unserer Hoffnung mitgetragen wissen? Hier gilt unsere demütige Bitte an Gott: „Herr, ich hoffe, aber hilf meiner Hoffnungslosigkeit!". Durch eine solche Hoffnung dürfen wir am Verlangen Gottes nach dem Heil aller Menschen teilnehmen. Gott dürstet nach dem Menschen. Wir können hierzulande auf keinen in dieser Weise Hoffenden verzichten! Das Wort Gottes darf nicht ins Leere fallen! Wir haften dafür!

3. Wir dürfen aus unserer Kirche und aus unseren Gemeinden keine Bewahranstalt für fromme Seelen machen! Wir sind eine Weltkirche, d.h. eine Kirche, die über die ganze Erde verbreitet ist. Weltkirche bedeutet aber auch, Kirche für die Welt zu sein. In jedem Weltchristen, gelegentlich auch „Laie" genannt, lebt die Kirche in einem ganz konkreten Bereich unseres Landes, dort, wo er arbeitet, zur Schule geht, die Freizeit verbringt und wohnt. Durch euch ist die Kirche in diesem Sinn vorrangig Weltkirche, nämlich Kirche in dieser Welt und für diese Welt. Ihr seid aber auch - wie wir Bischöfe und Priester - Teil der die ganze Erde umspannenden Weltkirche. Die Weltkirche ist so stark, so missionarisch und so dynamisch, wie wir in unseren Gemeinden und unseren Familien, in unseren Gruppen und Gemeinschaften es sind.

4. Auf dieses, unser Land, ist Gottes Wort gefallen. Es will darin Wurzeln schlagen. Der Same des Wortes durchdringt erst das eigene Erdreich, um darin Wurzeln zu schlagen. Das eigene Herz muss erst für die Wahrheit Gottes gewonnen werden, um Wahrheit und damit Gnade und Richtigkeit in die Gemeinschaft der Menschen auszustrahlen. Hier haben wir unsere Gewissenserforschung zu halten. Ich erinnere mich noch sehr lebendig an eine Goldene Hochzeit, bei der ich als Kaplan die Glückwünsche der Pfarrei überbringen durfte. Der Ehejubilar hielt eine Ansprache an uns Gäste. Und dabei erzählte er, dass seine Frau nicht katholisch ist, aber dieser Unterschied hätte gar nichts ausgemacht, denn sie hätten in diesen 50 langen Jahren nie über Glaube und Religion gesprochen. Dabei bin ich wirklich erschrocken, denn mit dem liebsten und nächststehenden Menschen nicht über das zu sprechen, was mir das Heiligste und das Höchste auf dieser Welt ist, das halte ich für eine große Lieblosigkeit. Wenn erst die Wahrheit über Gott den Menschen in ihren vielfältigen weltlichen Problemen der Orientierungspunkt ist, dann müssen wir uns kritisch fragen lassen: Wie weit sind wir von der Wahrheit Gottes entfernt, wenn wir etwa unseren muslimischen Mitbürgern nicht Auskunft geben können oder wollen über die Wahrheit Gottes, die in die Welt hineinzutragen uns ausdrücklich aufgegeben ist? Der hl. Franziskus fuhr über das Meer, um den Muslimen den Glauben zu verkünden. Das brauchen wir heute gar nicht, nachdem sie hier unsere Nachbarn geworden sind. Die Muslime haben mitunter den Eindruck, dass wir vom Glauben her kein Interesse an ihnen haben.

5. Dass Gottes Gnade unsere Hoffnung ist, müsste sich weiter in unseren Ehen und Familien, in unseren Gemeinden und Gemeinschaften deutlicher zeigen. Wir sollen und wollen nicht Zuschauer in der Geschichte des Wortes Gottes in unserem Lande sein, sondern Mitwirkende. Hier haben wir alle unsere Möglichkeiten. Verweigern wir uns auch dort nicht, wo es in Kirche und Gesellschaft einsam, vergeblich oder sinnlos zu werden scheint. Urteilen wir dann nicht nach der weltlichen Wertskala, bei der nur das Messbare und das Sichtbare gelten, und werden wir dann  nicht entsprechend hart, verbittert und verzagt. Denn dann gerade eröffnet sich die große christliche Chance, dass die eucharistische Lebensform Christi von unserem Leben Besitz ergreifen kann, die da heißt: „Umsonst habt ihr empfangen, umsonst sollt ihr geben" (Mt 10,8). Indem wir uns allein von Christi Großzügigkeit leiten lassen - davon bin ich zutiefst überzeugt -, ist der Wahrheit in unserer Umwelt am besten gedient. Lassen wir uns ganz konkret fragen: „Gibt es in unserer Umwelt, der näheren oder der entfernten, jemand, der auf die Frage: ‚Wo hast du deinen Glauben her?' auf dich oder auf mich zeigen wird?". Ein altes Sprichwort heißt: „Du kommst nur in den Himmel, wenn du dein ganzes Dorf mitbringst!". Vergessen wir nicht unser Domwallfahrtsmotto! Wir bleiben nach dem Gottesdienst nicht im Dom sitzen, sondern es wird uns gesagt: „Geht hinaus, und zwar in die ganze Welt, und verkündet das Evangelium allen Geschöpfen!" Draußen warten die Menschen auf unser Zeugnis. Wir können nicht hoch genug von unserer Berufung denken, „Boten der Frohen Botschaft" zu sein.

Von den Heiligen Drei Königen heißt es nicht: Sie ließen sich häuslich in dem Stall von Bethlehem nieder, sondern, nachdem sie das Kind angebetet und beschenkt hatten, kehrten sie auf einem anderen Weg in ihre Heimat zurück, um ihren Mitmenschen das zu sagen, was sie in Bethlehem gesehen und gehört hatten. Nun sind wir an der Reihe, vom Dom in unsere Heimatorte zurückzukehren. Wenn es dabei Umwege gibt, wie bei den Heiligen Drei Königen, ist das kein Unglück. Nur das ist wichtig, dass wir mit unserem Christuszeugnis daheim ankommen.   Amen.

+ Joachim Kardinal Meisner
   Erzbischof von Köln