Andrea Evers ist voller freudiger Erwartung. "Auch gespannt und sogar ein wenig aufgeregt", räumt sie ein. Denn zum ersten Mal kann die 64-Jährige, die seit kurzem aus dem Schuldienst ausgeschieden ist, am kompletten Programm dieses Aschermittwochs der Künstlerinnen und Künstler in Köln teilnehmen.
Bislang hatte sie als Religionslehrerin den unteren Klassen im Schulgottesdienst ihres Gymnasiums immer selbst ein Aschenkreuz auf die Stirn gezeichnete – "das ist gerade bei Kindern etwas zutiefst Berührendes" – aber nun genießt sie den von der Künstlerseelsorge konzipierten Tag, der im Anschluss an das Pontifikalamt mit dem Kölner Erzbischof und einem Empfang im Maternushaus als Hauptattraktion ein moderiertes Gespräch mit dem norwegischen Literaturnobelpreisträger von 2023, Jon Fosse, vorsieht – und am Abend auch noch eine Autorenlesung mit dem Schriftsteller.
"Den Aschermittwoch begehe ich jedes Jahr bewusst; er ist für mich immer ein Cut", erklärt Evers. "Der Karneval ist vorbei, jetzt geht es um Rückbesinnung und darum, sich Dinge vorzunehmen, die mal anders sind und die man sonst nicht macht." So hat sie sich überlegt, während der Fastenzeit nach dem wöchentlichen Seniorengottesdienst in ihrer Müngersdorfer Gemeinde St. Vitalis zu einer Art "Fastentreff" bei sich zuhause einzuladen. Nichts Großes, eher etwas Einfaches stellt sie sich vor: Gespräche und Begegnung bei einer Tasse Kaffee und Kuchen. "Ich probiere das einfach aus. Mal sehen, wer kommt", lacht die pensionierte Studienrätin.
Ein Baum für Literaturnobelpreisträger Jon Fosse
Brigitte Winterstein-Drilling hat 2015 ein Baumprojekt initiiert. Seitdem pflanzt sie sogenannte "Georgsbäume", benannt nach ihrem Großvater und Vater, die beide Georg hießen. Damit will die 63-Jährige den Gedanken der Nachhaltigkeit fördern, gleichzeitig ein Bewusstsein für die Natur wecken. Aber sie verknüpft damit auch die elementare Frage nach Heimat: Was ist Heimat? Und wie wichtig ist sie?
Gottfried Böhm hat vor Jahren schon einen Baum von ihr bekommen und auch Konrad Adenauer. Nun soll es auch für Jon Fosse einer sein – genau genommen eine Traubeneiche, die sie neben sich auf die Kirchenbank in St. Aposteln gestellt hat. Die Künstlerin hofft, dass sich die Gelegenheit dazu im Verlauf des Nachmittags ergibt. Ein Baum aus Köln, eingepflanzt in Norwegen – das wäre ihr Wunsch. Ein globaler Friedenswald schwebt ihr vor. "Dafür will ich möglichst viele Menschen mit ins Boot holen."

Doch nicht alle, die an diesem Vormittag mit dem Kölner Erzbischof den Beginn der Fastenzeit feiern und sich ein Kreuz auf die Stirn zeichnen lassen, sind von Berufs wegen unmittelbar mit Kunst oder Kultur befasst. Manche fallen eher in die Kategorie "Kunstinteressierte", "Kunstaffine" und "Kunstfreunde" oder kommen, weil sie gezielt eine Predigt von Kardinal Woelki hören wollen.
Andere schätzen die würdige Feierlichkeit dieser Messe und suchen nach tagelangem Ausgelassensein ein Stück Innerlichkeit und Besinnung oder fühlen sich schon seit Jahrzehnten der Künstlerunion Köln verbunden. Wie zum Beispiel die Musikerin Irmgard Kaiser-Janosek, die die sehr unterschiedlichen Anregungen, die der Aschermittwoch aus allen künstlerischen Disziplinen immer bietet, schätzt. Außerdem treffe man Freunde und Bekannte, sagt die 77-Jährige, die mit ihrem Mann Cestmir Janosek immer engen Kontakt zu den jeweiligen Künstlerseelsorgern gepflegt hat und aus guter alter Tradition die Fastenzeit stets mit dem vom Kölner Erzbischof gefeierten Gottesdienst beginnt.
Aufruf zur Umkehr als zentrale Botschaft
Wie immer sind es der geistliche Zuspruch und der Aufruf zur Umkehr, Buße und Erneuerung während der 40-tägigen Fastenzeit, die als zentrale Botschaft von dieser Eucharistiefeier, die bewusst schlicht gehalten ist und von Künstlerseelsorger Diakon Patrick Oetterer vorbereitet wurde, ausgehen. Es wird deutlich, dass Kunst und Kirche – Künstler und Seelsorger – immer schon im Dialog miteinander standen, sich gegenseitig eine Menge zu sagen haben und einander bereichern können.

Kunst gibt von Anbeginn dem Glauben eine Form und stellt Fragen zu Welt, Gott und Mensch auf eine kreative, mitunter auch provokative Weise. Und sie kann mit ihren Möglichkeiten dem Geheimnis Gottes näher kommen. "Der Mensch darf nicht aufgehen in Ökonomie und technischer Effizienz", steht dazu auf der Website der Künstlerseelsorge zu lesen. "Er trägt in sich ein Geheimnis, das nicht verschüttet werden darf. Kunst und Kirche wollen diesen ‚Mehrwert’ des Menschen frei legen und frei halten."
In seiner Predigt geht auch Kardinal Woelki auf diese archaische Beziehung ein, erinnert aber zunächst an die Kernbotschaft dieses Fast- und Abstinenztages: Bedenke, Mensch, dass du Staub bist und zum Staub zurückkehren wirst. Dieser uralte Brauch, schon im Alten Testament bezeugt, sei Ausdruck unserer Bereitschaft umzukehren, sagt Woelki und fügt hinzu: "Für mich gehört dieses Zeichen zu den eindringlichsten und erschütterndsten im Verlaufe eines Kirchenjahres." Auch weil in keinem anderen liturgischen Ritus die Vergänglichkeit des Menschen und auch seine Erlösungsbedürftigkeit so sinnfällig werde.
An jeden persönlich richte sich damit auch die Mahnung, dass menschliches Leben weder am Anfang noch am Ende verfügbar sei und dass sich auch niemand selbst erlösen könne. Vielleicht, so der Erzbischof, würden diese Wahrheiten viel zu selten so klar und so ungeschönt zum Ausdruck gebracht wie am Aschermittwoch.

Zugleich sei das eine "ziemliche Zumutung", wenn ein moderner, aufgeklärter und naturwissenschaftlich geschulter Mensch so an seine eigene Vergänglichkeit erinnert werde. "Allzu gern lassen wir uns ja im Alltag von der Illusion völliger Kontrolle und ständiger Verfügbarkeit über uns selbst, vom Ausblenden jeder Rede über Schuld, Sünde und Fehler hinwegtäuschen", erklärt der Kardinal wörtlich. Erst tiefgreifende Erschütterungen wie Krankheit, der Tod eines geliebten Menschen, das Zerbrechen von Freundschaften, Lebensentwürfen und Beziehungen oder auch die Konflikte in der Ukraine, im Nahen Osten, im Kongo und an vielen anderen Orten könnten diese trügerischen, vermeintlichen Gewissheiten aufbrechen.
Aber auch positive Erschütterungen ließen bei vielen Menschen fundamentale Fragen nach dem Woher und Wozu aufkommen, die ins Wort zu bringen ein Proprium auch von Künstlerinnen und Künstlern sei, die den Menschen mit ihren Werken aus dem Alltag herausreißen und mit den letzten Fragen der Menschheit nach Liebe, Tod und Leben konfrontieren würden. Der Kardinal betont: "Die Künste schaffen ihre eigenen Realitäten. Und sie verweisen auf größere Wahrheiten, denen wir uns annähern können, die letztlich aber für uns immer unverfügbar bleiben." Und genau darin berührten sich dann die Kunst, der Glaube und die Verkündigung der Kirche. Der Künstler und die Kirche eröffneten dem Menschen Zugänge zu Realitäten, "die ohne Vermittlung nur schwer erschließbar sind und die doch so wirklich sind wie die Welt, die wir sehen, hören und anfassen können".

So wie die Kunst Sinn oder Schönheit erfahrbar mache, so werde im Handeln der Kirche die größere Wirklichkeit der Liebe Gottes sichtbar, hörbar und erfahrbar. Und so wie die Künste Räume und Momente der Erfahrung von Sinn, Schönheit und Selbsterkenntnis des Menschen eröffneten, so eröffne die Kirche durch ihr Handeln Orte der Freundschaft und Vertrautheit mit dem lebendigen und liebenden Gott.
Es sei eine nie endende Aufgabe – sowohl für die Kirche als auch für die Kunst – Erfahrungsorte zu schaffen, an denen der Mensch mit den existenziellen Fragen konfrontiert werde. Abschließend unterstreicht Woelki: "Für uns Christen ist die Antwort auf alle diese Fragen der persönliche Gott, dem wir begegnen und dem wir uns anvertrauen dürfen." Diesen Weg zu Gott müsse jeder selbst gehen. Die Kunst könne lediglich mit ihren Fragen dabei helfen, auf dem Weg dieser Gottsuche zu leiten.