Polizeiseelsorger nach tödlichen Schüssen entsetzt

"Nicht selbst zum Richter werden"

Der gewaltsame Tod von zwei Polizisten in Rheinland-Pfalz hat die Polizei tief getroffen. Zwei Tatverdächtige sitzen in Untersuchungshaft. Ein Polizeiseelsorger ordnet die durch die Tat ausgelösten Emotionen und Erschütterungen ein.

Polizeibeamte stehen an einer Absperrung an der Kreisstraße 22 rund einen Kilometer von dem Tatort, an dem zwei Polizeibeamte durch Schüsse getötet wurden / © Sebastian Gollnow (dpa)
Polizeibeamte stehen an einer Absperrung an der Kreisstraße 22 rund einen Kilometer von dem Tatort, an dem zwei Polizeibeamte durch Schüsse getötet wurden / © Sebastian Gollnow ( dpa )

KNA: Wie gehen Sie und die Polizei mit dem Tod der beiden jungen Kollegen um?

Hubertus Kesselheim (Polizeiseelsorger in Rheinland-Pfalz): Ich habe seit Montag mit mehreren Kollegen telefoniert. Das Ereignis hat die Polizei tief erschüttert. Es ist das erste Mal seit langem, dass in Rheinland-Pfalz Polizeibeamte im ganz normalen Streifendienst auf eine solche Art zu Tode kommen.

In den Gesprächen mit Kollegen war spürbar, wie die Tat deren Berufsbild und ihre persönliche Lebenssicherheit erschüttert. Stellen Sie sich vor, Sie steigen morgen als Polizeibeamtin oder Polizeibeamter nachts in einen Streifenwagen für eine Verkehrskontrolle. Sofort kommen Bilder in den Kopf, die durch das Ereignis von Kusel entstanden sind.

KNA: Was können Sie als Seelsorger jetzt tun?

Kesselheim: Vielleicht kann ich das an der Amokfahrt von Trier von Dezember 2020 illustrieren. Wir haben damals vier Wochen lang fast täglich mit Kolleginnen und Kollegen, die direkt vor Ort waren, Nachgespräche geführt. Da war oft die Rede von "Angriff auf unser Wohnzimmer" oder der Gedanke "Da hätte ich unter den Toten sein können". Das scheint jetzt ähnlich. Die Lebenserschütterung, die aus solchen Ereignissen erwächst, ist für Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte in besonderem Maß spürbar. Es lässt das Risiko des Berufes real werden.

KNA: Was sind jetzt die nächsten Schritte in der Begleitung der Betroffenen?

Kesselheim: Meine Kollegen sind vor Ort bei den Polizeibeamtinnen und -beamten und an der Hochschule der Polizei Rheinland-Pfalz in Büchenbeuren beim Flughafen Hahn. Dort studierte die getötete Polizistin. Ich bin derzeit in Bayern, habe viel telefoniert und besuche ab nächster Woche viele Dienststellen in Rheinland-Pfalz und im Saarland. Ich setze mich in den Sozialraum und werde mit den Kollegen einfach ins Gespräch kommen.

Dazu werden wir Nachgespräche beim Polizeipräsidium Westpfalz, der Polizeiinspektion Kusel und den benachbarten Dienststellen anbieten. Damit die Beamtinnen und Beamten das Erlebte abarbeiten können und ein Stück Sicherheit bekommen. Dazu kommt die Trauerbegleitung für die Angehörigen, für die Hochschulgruppe und für die Kolleginnen und Kollegen der beiden Getöteten.

KNA: Welche Folgen erwarten Sie?

Kesselheim: Ich habe mit einem befreundeten Dienstgruppenleiter gesprochen, der berichtete, dass sie sich in ihrer Gruppe gestern zusammengesetzt haben und durchgegangen sind, was sie an Maßnahmen zur Eigensicherung gelernt haben. Dass man in der Polizei sofort darüber spricht, wie man sich besser schützen kann, ist eine Konsequenz, die zeigt, wie tief die Erschütterung ist.

Als Polizeiseelsorger wollen wir dazu beitragen, dass die Kollegen ihre Lebenssicherheit nicht verlieren. Gleichzeitig müssen sie sich aber darauf einstellen, in jedem Einsatzgeschehen, auch wenn es harmlos aussieht, bereit zu sein zu reagieren. Das wirft schwierige Fragen auf, etwa zum Schusswaffengebrauch: Bin ich künftig schneller mit der Hand an der Schusswaffe? Kann es dadurch gefährlich werden für andere? Was macht das Erlebte mit mir? Das werden wir mit den Kollegen reflektieren.

KNA: Darf man als Polizeibeamter den oder die mutmaßlichen Täter hassen?

Kesselheim: Ja, natürlich. Eine der größten Leistungen von Polizeibeamten ist es, dass sie solche Gefühle in der Begegnung mit einem Täter unter Kontrolle halten. Dass sie nicht selbst zum Richter werden. Und das schaffen unsere Polizeibeamtinnen und -beamten in der Regel. Davor ziehe ich immer wieder meinen Hut. Außerdem thematisieren wir das auch regelmäßig in der Berufsethik an der Hochschule der Polizei.

KNA: In Rheinland-Pfalz arbeiten sechs katholische und evangelische Polizeiseelsorger. Können Sie in diesem außergewöhnlichen Krisenfall Unterstützung von anderen Seelsorgern außerhalb der Polizei anfordern?

Kesselheim: Man sollte Polizeiseelsorger sein. Die Polizei hat eine eigene Sprache und Denkweise. Um sinnvoll arbeiten zu können, müssen Sie dazugehören. Als Polizeiseelsorger sind wir in die Polizei integriert. Wir begleiten auch Einsätze, fahren mal im Einsatzwagen mit, sind auf den Dienststellen präsent. Es braucht schon eine Weile, bis man Polizei versteht, das Vertrauen gewinnt und Seelsorge in der Polizei gut anbieten kann.

Das Interview führte Anna Fries.

Polizeiseelsorge

Die christlichen Kirchen bieten mit ihren Polizeiseelsorgerinnen und Polizeiseelsorgern Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Polizei bei der Bewältigung ihrer Aufgaben Rat, Unterstützung und Begleitung an. Sie tun dies zwar auf dem Hintergrund ihres Glaubens, aber unabhängig von konfessioneller oder religiöser Bindung der Angehörigen der Polizei.

Die Polizeiseelsorge gilt also den Frauen und Männern, die in den Polizei-Organisationen Dienst leisten. Die pastorale Sorge der Kirche gilt damit den Menschen, nicht der Organisation. (Polizeiseelsorge)

Polizeiseelsorge / © Caroline Seidel (dpa)
Polizeiseelsorge / © Caroline Seidel ( dpa )
Quelle:
KNA