Politologe Küchler zur Lage in der Ukraine

Resignation

Seit vier Jahren leitet Florian Küchler das Büro des Informationszentrums des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) in der Ukraine. Im Interview schildert Küchler, wie die Stimmung an den ukrainischen Unis angesichts der aktuellen Umbrüche ist.

Ukraine: Ungewisse Zukunft (dpa)
Ukraine: Ungewisse Zukunft / ( dpa )

KNA: Herr Küchler, was bedeutet der Rücktritt der ukrainischen Regierung für das Land?

Küchler: Ich denke, dass sich dieser Rücktritt schon eine ganze Zeit lang abzeichnete. Der neu gewählte Präsident Petro Poroschenko ist dabei, eine eigene Partei aufzubauen. Dem stand eine Regierung gegenüber, in der viele Strömungen vertreten waren, die inzwischen keinen großen Rückhalt mehr im Volk haben wie die rechtsgerichtete Swoboda-Partei oder die Bewegung von Ex-Regierungschefin Julia Timoschenko, die die meisten Minister stellte.

KNA: Also kein komplettes Chaos?

Küchler: Nein. Es wird wohl auf Neuwahlen hinauslaufen. Und dann wird man weitersehen.

KNA: Trotzdem: Die Regierung steht vor einem Neuanfang, im Osten des Landes gehen die Kämpfe weiter, die Krim ist verloren. Wie nehmen sie die Stimmung unter den Studenten wahr, die ja anfangs die Proteste auf Kiews zentralem Majdan-Platz mitgetragen haben?

Küchler: Wer kann mit der aktuellen Situation zufrieden sein? Unter den Studenten herrscht eine Menge Resignation. Viele fragen sich: Was hat uns der Kampf gebracht?

KNA: Wer die Bilder aus der Ostukraine anschaut, hat den Eindruck, als habe sich die gebildete Elite ohnehin ganz zurückgezogen. Stattdessen regiert die Gewalt.

Küchler: Für viele Separatisten mag das stimmen. Viele von denen kennen nur ein Leben im Krieg, teilweise waren sie schon als Söldner in den Balkankriegen aktiv. Aber die Freiwilligen, die auf der Seite der ukrainischen Armee kämpfen, kommen oft aus höheren Schichten, was schon allein der Tatsache geschuldet ist, dass sie ihre Waffen selber bezahlen müssen. Oft sind diese Kräfte besser ausgerüstet als die regulären Soldaten.

KNA: Aber wer kann einen Dialog in dem zerrissenen Land voranbringen - die Kirchen vielleicht?

 Küchler: Die Kirchen sind sehr politisiert und fahren oftmals selbst einen stramm nationalen Kurs. Wobei etwa die orthodoxe Kirche gespalten ist und sich entweder dem Moskauer oder dem Kiewer Patriarchat zugehörig fühlt. Das geht so weit, dass sie gegenseitig keine Taufpaten anerkennen, obwohl sie den gleichen Ritus pflegen.

KNA: Gibt es im Bildungswesen Beispiele, in denen die Kirchen eine positive Rolle spielen?

Küchler: Die katholische Universität in Lwiv, im Westen des Landes, galt schon immer als Hort der Opposition und blieb offenbar frei von der allseits grassierenden Korruption. Der Zulauf ist entsprechend groß, so dass die Uni derzeit ausbaut.

KNA: Sie pflegen als DAAD-Vertreter unter anderem die Beziehungen zwischen deutschen und ukrainischen Hochschulen. Wie ist das Image Deutschlands unter den Studenten?

Küchler: Deutschland steht bei vielen hoch im Kurs. Rund 9.000 ukrainische Studenten gehen Jahr für Jahr nach Deutschland. Angesichts der weiterhin unklaren politischen Situation gehe ich davon aus, dass sich die Zahl der Stipendienanträge noch einmal deutlich erhöhen wird.