DOMRADIO.DE: Viele Menschen sagen, dass sie dies und jenes machen, wenn sie in Rente sind. Gehört das Pilgern auch dazu? Kennen Sie solche Leute?
Beate Steger (DOMRADIO.DE-Pilgerexpertin): Ja, total viele. Im Moment mache ich das nicht mehr so viel, weil ich andere Sachen zu tun habe. Aber ich habe früher sehr viele Vorträge zum Pilgern gehalten. Da kamen hinterher jedes Mal Menschen zu mir, die genau das gesagt haben: "Der Jakobsweg steht noch auf meiner Agenda, wenn ich mal in Rente bin." Ganz viele sagen das.
DOMRADIO.DE: Empfinden Sie das als eine gute Idee?
Steger: Nicht wirklich. Bei mir im Bekanntenkreis merken schon viele, nachdem sie erst kurz in Rente waren, dass irgendetwas passiert ist. Sie konnten nicht mehr auf den Pilgerweg gehen, weil sie nicht mehr laufen konnten, weil sie krank wurden oder weil sie sogar gestorben sind.
Ich bin nicht dafür, Sachen auf die lange Bank zu schieben und denke aber auch, dass das Pilgern muss nicht unbedingt 18 Wochen dauern muss. Das kann man auch mal eine Woche vor der eigenen Haustür machen. Das sollte doch eigentlich immer drin sein, wenn man das unbedingt möchte.
DOMRADIO.DE: Wenn jemand trotzdem warten will, wie kann man sich gut darauf vorbereiten?
Steger: Das machen tatsächlich viele, weil Pilgern eine schöne Sache ist, um einen Lebensabschnitt zu beenden und etwas Neues anzufangen. Ich weiß von vielen, die das in die Rente schieben, aber sich schon Jahre vorher damit beschäftigen. Sie besuchen zum Beispiel Vorträge, lesen Bücher, gehen auf Pilgermessen und haben sich vielleicht auch schon etwas an Ausrüstung gekauft. Das ist auf jeden Fall empfehlenswert.
Wenn man zum Beispiel auf den Jakobsweg gehen möchte, ist es gut, wenn man sich vorher mal eine Jakobsmuschel holt und diese sichtbar aufhängt, damit die Vorfreude darauf schon steigt.
Außerdem kann man zum Beispiel am Wochenende oder an einem verlängerten Wochenende mal vier Tage pilgern gehen, den Rucksack ausprobieren und schauen, wie das mit dem Gepäck geht, sodass man mal ein bisschen Ahnung davon bekommt.
DOMRADIO.DE: Einige Menschen fallen angeblich in ein Loch, wenn sie nicht mehr arbeiten dürfen. Dass man dann auch pilgern gehen kann, haben sie noch nicht bedacht?
Steger: Ja, denn man reflektiert noch mal, wenn man jede Menge Zeit mitbringt und länger pilgern geht. Ein Freund von mir, Theo, hat das tatsächlich so gemacht. Der hatte eine leitende Position bei einem großen Unternehmen in Deutschland. Als er in Rente gegangen ist, ist er sofort am nächsten Tag losgezogen und hat den berühmten Jakobsweg nach Santiago de Compostela auf dem Camino Francés gemacht. Er hat das bewusst alleine gemacht.
Ich habe ihn deshalb kennengelernt, weil er hinterher kam und seine Bilder, die er gemacht hat, verarbeitet haben wollte, damit er das seinen Daheimgebliebenen zeigen konnte.
DOMRADIO.DE: Sie haben den klassischen Jakobsweg, den Camino Francés erwähnt, der wohl auch für ältere Leute zu empfehlen ist. Was gibt es noch für Wege, die gut geeignet wären?
Steger: Zu dem Camino Francés will ich sagen, dass der eine sehr gute Infrastruktur hat. Das heißt, wenn da Menschen unterwegs sind und sagen, dass sie an einem Tag keine 20 oder sogar 30 Kilometer machen müssen, wie es zum Beispiel auf der Via de la Plata der Fall ist – das ist die Strecke vom Süden von Sevilla hoch Richtung Santiago – dann ist dieser Camino Francés sehr gut geeignet. Da kann man auch mal nur sechs, sieben Kilometer laufen. Da gibt es viele Unterkunftsmöglichkeiten, auch Busse, mit denen man fahren kann.
Dann gibt es natürlich jede Menge Jakobswege bei uns in Deutschland, auch schöne, kurze Strecken mit guter Infrastruktur. Die Wege sind sehr unterschiedlich. Ein Weg, den ich auch sehr gerne empfehle, ist der Lutherweg 1521. Da kenne ich die Macher des Weges persönlich. Das ist ein Weg, der von Worms bis zur Wartburg geht. Er ist in beide Richtungen ausgeschildert. Der Weg geht auf Martin Luther zurück, der 1521 auf dem Reichstag in Worms seine Thesen vor dem damaligen Kaiser verteidigt hat.
Die Macher des Weges haben sehr darauf geachtet, dass es auch private Unterkünfte gibt, echte Pilgerherbergen. Ich würde ohnehin empfehlen, dass man die Unterkünfte ein bisschen mischt.
DOMRADIO.DE: Nicht immer auf einer Herbergsmatratze, sondern zwischendurch auch mal ein bisschen komfortabler schlafen?
Steger: Ja, beziehungsweise umgekehrt. Auch mal einfach in Herbergen und nicht nur in Hotels und Pensionen mit eigenem Bad übernachten. In den Herbergen lernt man andere Bürgerinnen und Bürger kennen. Da kocht man manchmal auch miteinander, hat schöne Abende bei einem Glas Saft oder Rotwein. Das ist sehr schön.
Ich habe auf meinen ganzen Pilgerreisen interessante Menschen meistens in den Herbergen oder auf dem Weg getroffen, auch gerade ältere Menschen. Das ist so spannend, wenn man von denen erfährt, warum die sich auf den Weg machen und was die alles schon erlebt haben im Leben. Das ist besser als jedes Geschichtsbuch. Insofern würde ich das sehr empfehlen.
Das Interview führte Uta Vorbrodt.