Philosoph verteidigt Bedeutung des Christentums im Staat

"Christliche Soziallehre immer vernünftig"

Wie viel Religion verträgt der Staat und wie viel Demokratie verträgt die Religion? Diese Fragen hat der emeriterte Professor für Philosophie Otfried Höffe untersucht. Er wirft auch einen Blick auf "christliche Politik" von heute.

Die deutsche Flagge vor dem Reichstagsgebäude in Berlin / © Jojoo64 (shutterstock)
Die deutsche Flagge vor dem Reichstagsgebäude in Berlin / © Jojoo64 ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Religion und Demokratie – zwei unterschiedliche Sphären?

Otfried Höffe (Professor für Philosophie und Autor des Buches "Ist Gott demokratisch?"): Zunächst einmal ja, zwei grundverschiedene Sphären. Der Staat ist eine zwangsbefugte Rechtsordnung, von den Betroffenen bestimmt. Alle Gewalt geht vom Volke aus. Der Staat ist zuständig für das Gemeinwohl, für das weltliche Wohlergehen.

Die Religion wiederum sagt: Alle Gewalt geht von einer über den Menschen stehenden Instanz aus, von einer Gottheit. Sie sind zuständig für das Jenseits, nicht für das Diesseits, sondern für die Seligkeit. Aber da sich die Religion in Religionsgemeinschaften organisiert, ist das schon ein erstes Argument, warum die beiden Sphären sich überschneiden.

DOMRADIO.DE: Wie viel Religion verträgt der säkulare Staat?

Höffe: Als säkularer Staat ist er einerseits auf die religiöse und weltanschauliche Neutralität verpflichtet, das heißt, er muss die Religion zulassen. Er lässt sie auch im Rahmen der Grund- und Menschenrechte zu, als Glaubens- und Religionsfreiheit, also die Organisation von Religion in Religionsgemeinschaften. Andererseits sagt er natürlich auch die verschiedenen Religionen, Konfessionen und auch die Nicht-Religiosität haben ein Recht. Sie dürfen und müssen nebeneinander bestehen können.

Ein Holzkreuz auf einem Buckrücken / © Elena Elisseeva (shutterstock)
Ein Holzkreuz auf einem Buckrücken / © Elena Elisseeva ( shutterstock )

Aber das wissen wir wenigstens aus dem Grundgesetz, dass die Verfassung im Bewusstsein der Verantwortung vor Gott vom deutschen Volk gegeben worden ist. Hier also der Hinweis auf eine Instanz, die über den Menschen steht und die vor allem als Gott einen religiösen Charakter hat.

DOMRADIO.DE: In unserem Grundgesetz gibt es an verschiedenen Stellen einen Gottesbezug. In der Präambel, die Sie gerade zitiert haben, aber auch in dem zu leistenden Amtseid beispielsweise für den Bundespräsidenten. Wie säkular ist denn die Bundesrepublik Deutschland eigentlich?

Prof. Dr. Otfried Höffe

"Die Trennung von Staat und Kirche ist eines der Phänomene, die zum Säkularisationsprozess und damit zur Selbstständigkeit und Eigenständigkeit der weltlichen Sphäre beitragen."

Höffe: Heute muss man in die Gesellschaft hineinschauen. Die Zahl der Kirchenaustritte wächst. Die Zahl derjenigen, die sich zum Atheismus, zur Religionslosigkeit bekennen, steigt. Es gibt nicht nur Religionslosigkeit, sondern auch einen offensiven Atheismus. Insofern setzt sich fort, was schon seit langem begonnen hat und ein gewisses Recht hat. Die Trennung von Staat und Kirche ist eines der Phänomene, die zum Säkularisationsprozess und damit zur Selbstständigkeit und Eigenständigkeit der weltlichen Sphäre beitragen.

Logo der CDU / © Electric Egg (shutterstock)

DOMRADIO.DE: Ein Kapitel Ihres Buches trägt den Titel "Christliche Politik". Gibt es denn so etwas? Und wenn ja, wird diese nur von den C-Parteien, also CDU und CSU gemacht?

Höffe: Sie weisen darauf hin, dass es zwei Parteien in Deutschland gibt, die sich "Christlich" nennen. Wir dürfen aber nicht vergessen, dass schon auf der europäischen Ebene, also im Europäischen Parlament, die weitgehend christdemokratischen Parteien sich trotzdem nicht christlich nennen, sondern Europäische Volkspartei. Was ich sagen würde, wenn man noch versuchen wird, eine christliche Politik zu betreiben und das ist natürlich nicht auf die C-Parteien fixiert, dann würde ich auf die christliche Soziallehre zurückgreifen.

Die drei Prinzipien sind etwas unbekannt geworden, werden auch nicht mehr so betont, aber ich finde sie immer noch vernünftig. Die Personalität, dass jeder Mensch eine mündige Person ist und letztlich von Gottes Ebenbildlichkeit charakterisiert wird. Dann die Solidarität, dass die Menschen sich gegenseitig stützen und helfen. Und nicht zuletzt die Subsidiarität, dass man nicht zentralistisch immer von oben regiert, sondern von unten und die Beweislast sozusagen oben ist, warum man eingreift. Ansonsten lässt man die kleineren Einheiten agieren. Sie können auch vieles allein.

Minarett einer Moschee / © Julia Steinbrecht (KNA)
Minarett einer Moschee / © Julia Steinbrecht ( KNA )

DOMRADIO.DE: Ein anderes Stichwort im Kontext von Religion und Demokratie ist der politische Islam auch ein Thema, mit dem Sie sich in Ihrem Buch auseinandersetzen. Wie gut geht denn das zusammen, der politische Islam und Demokratie?

Höffe: Der politische Islam bezeichnet ja nicht eigentlich jenen Bereich im Islam, wo etwas über das rein Religiöse hinaus agiert. Und das ist schon mit einem Fragezeichen versehen. Natürlich soll der fromme Muslim seine vorgeschriebenen Gebete verrichten, aber ob das während der Arbeitszeit und zur Unterbrechung der Arbeitszeit geschehen muss, ist eine Frage. Der Koran selber ist da flexibler.

Ob das Kopftuch getragen werden muss, auch in der Schule, im Gericht, ist auch eine Frage. Denn das Kopftuch hat ursprünglich eine ganz andere Bedeutung. Kopftücher trugen auch zu Zeiten von Mohammed die Personen der gebildeten Oberschicht und gerade nicht jeder. Auch heute sagen noch entscheidende theologische Stellen des Islam, dass das Kopftuch kein Teil der Religion ist, sondern ein Teil einer gewissen Tradition.

Prof. Dr. Otfried Höffe

"Dass der Islam sein Recht in Deutschland hat, ist selbstverständlich. Aber er hat nicht annähernd die Bedeutung, die das Christentum im Laufe der letzten Jahrhunderte und auch das Judentum erlangt hat."

Ein weiteres Problem, das es beim politischen Islam zu bedenken gibt, ist der Versuch, die Minarette möglichst so groß zu bauen, dass sie das Stadtbild beherrschen. Das sind alles Elemente, über die man streiten kann oder auch streiten muss. Denn dass der Islam sein Recht in Deutschland hat, ist selbstverständlich. Aber er hat nicht annähernd die Bedeutung, die das Christentum im Laufe der letzten Jahrhunderte und auch das Judentum erlangt hat.

Das Interview führte Moritz Dege.

Das Buch "Ist Gott demokratisch? – Zum Verhältnis von Demokratie und Religion" von Otfried Höffe ist im Hirzel-Verlag erschienen und kostet 24 Euro.

Säkularisierung

In früheren Jahrhunderten war die Weltanschauung der Menschen stark an die Religion und die Kirche gebunden. Deren Gebote und Verbote schrieben vor, wie die Menschen zu leben hatten. Erst als die geistige Bewegung der Aufklärung Ende des 17. Jahrhunderts in Europa entstand, setzte eine "Verweltlichung", eine Abwendung von Religion und Kirche ein. Das aus dem Lateinischen kommende Wort "Säkularisierung" beschreibt diesen Prozess.

Atheismus / © Wolphgang (shutterstock)
Quelle:
DR