Zwischen dem Theatermann und dem Theologen sitzt Schwester Britta. Sie trägt ihr Ordenskleid. Am Bahnhof werde sie manchmal angesprochen, ob sie echt sei. "Und dann bitten die Menschen mich, für sie in einer bestimmten Angelegenheit zu beten“, sagt sie. Der Glaube an Gott scheint also in der säkularen Welt tatsächlich noch herumzugeistern.
"Ist es aber eine gute Idee, an Gott zu glauben?" So lautet die Überschrift des phil.cologne Podiums. Drei kompetente Sinnsucher diskutieren am Tag des Herrn, am Sonntagnachmittag, auf der Bühne der phil.cologne, ob und wie der Glaube in der säkularen Welt noch präsent ist: Bernd Stegemann, Dramaturg aus Berlin und bekennend ungläubig, Dr. Manfred Lütz, katholischer Theologe, Psychiater und berühmter Autor von Büchern, die Gott auf der Spur sind und Schwester und Philosophin Britta Müller-Schauenburg, die erst auf dem zweiten Bildungsweg zu Gott gefunden hat.
Wiederholt der Atheismus die Fehler der Religion?
In seinem Buch "Was vom Glauben bleibt" weist Stegemann nach, dass es mehr als nur Glaubenssplitter in unserer vermeintlich so aufgeklärten Welt gibt. Der Absolutheitsanspruch der Ideologien sei ein Erbe des absoluten Wahrheitsanspruchs des Christentums. Allerdings habe man hier nur die eine Seite der Gottesmedaille übernommen, denn das christliche Gottesbild sei von den Evangelien her auch immer von Demut, Schwäche und Ohnmacht geprägt. "Es ist fatal, wenn das Absolute aus der Religion übernommen wird und dabei das Demütige des christlichen Gottes fehlt“, sagt er.
Den gläubigen modernen Christen wirft er vor, dass sie nicht mehr glauben, woran sie glauben. Wenn die Oberammergauer Passionsspielen mit der Kreuzigung enden, wie 2022 geschehen, und darauf verzichtet werde, die Auferstehung zu inszenieren, dann sei das doch ein Beweis dafür, dass wir nicht mehr glauben, was wir glauben. Manfred Lütz sieht diese selbstzerstörerische Tendenz auch an einigen katholischen Fakultäten. Studierende werde da eher der Glaube vermiest, und nicht selbstbewusst verkündet.
Von ungläubigen Christen, vom Gottesbegriff geht es dann auf die Theaterbühne. Und da findet der Theatermann Stegemann große Parallelen zwischen Kultur und Kirche.
In der Messe passiere doch das gleiche wie auf der Theaterbühne, sagt er "Unsere Schauspieler zeigen doch auch etwas, was nicht da ist. Da wird jemand ein Hamlet oder ein Romeo. Er verzaubert sich auf der Bühne und wird im Sprechen und Spielen in seiner neuen Rolle präsent". Er sieht hier Parallelen zwischen dem Schauspieler und dem Priester, beide übernehmen Rollen, immer gehe es um Präsenz. Wie das geht, wie man diese Präsenz erreichen könne, um den Zauber des Theaters wiederherzustellen? Das ist eine Frage, die Stegemann beschäftigt. "Fake it, till you make it", sei da ein weit verbreitetes Regiekonzept. Schwester Britta kann diesem Konzept durchaus auch etwas für die religiöse Praxis abgewinnen: "Es zu versuchen – sich in den Zustand des Betens zu begeben und dann schauen, was passiert".
Theater und Gottesdienst mit Parallelen
Die Verwandtschaft zwischen Theater und Gottesdienst sieht auch Manfred Lütz. Schließlich gebe es auch den Begriff "Heiliges Theater" für die Feier christlicher Rituale. "Und da könnten in der Messe, wie im Theater, auch Frauen in Männerrollen schlüpfen," schlägt Lütz vor. Ein Gedanke, der ganz neuen Schwung in die Diskussion um Frauenemanzipation in der Kirche bringen könnte.
Ist es also eine gute Idee, an Gott zu glauben - um noch einmal die Fragestellung der phil.cologne Diskussion aufzugreifen. In unserer säkularen Welt ist mehr Religion unterwegs, als viele vermuten. Da sind sich alle einig. Und das sei auch gut so, denn wie sagte einst Gregor Gysi, den Stegemann zitiert: "Ich bin Atheist, aber ich fürchte mich vor einer gottlosen Gesellschaft".
Die Experten auf dem Podium fragen sich allerdings, ob die Kirchen zurzeit den richtigen Anpack haben, um die Menschen in ihren Nöten und Sorgen abzuholen. Schwester Britta empfiehlt da mehr "Körpersprache", eine Sprache des christlichen Tuns und des christlichen Handelns und: "Wenn nötig, auch mit Worten". Aber die Worte müssten sitzen. "Die theologische Sprache muss wieder verständlich werden", sagt auch Manfred Lütz.
Seine Bücher würden vor Veröffentlichung allesamt den Praxistest durchlaufen, erklärt er. "Nur wenn der Metzger an der Ecke versteht, was ich schreibe, geht das Buch in den Druck."