Pfeiffer zur Kritik an und dem Stand bei den Missbrauchsstudien

"Ich kann die Ängste nicht nachvollziehen"

Auch Christian Pfeiffer weist die Kritik einiger Priester an den Missbrauchsstudien vehement zurück. Im domradio.de-Interview spricht der von den Bischöfen beauftragte Kriminologe außerdem über den Beginn der Untersuchungen .

 (DR)

domradio.de: Das Priesternetzwerk schreibt in einer Stellungnahme von einem "unerlaubten Eingriff in die Persönlichkeitsrechte von Priestern, Diakonen und Ordensgeistlichen" Haben Sie Verständnis für diese Bedenken?

Pfeiffer: Wirklich überhaupt nicht. Man kann auf unserer Homepage nachlesen, was wir tun werden. Jeder kann da entdecken, dass wir als Wissenschaftler überhaupt nicht in Berührung kommen mit den Personalakten der Priester. Diese werden nur in die Hand genommen von den Mitarbeitern der bischöflichen Ordinariate, die ohnehin ständig mit diesen Akten beschäftigt sind und dienstlich damit zu tun haben. Und die werden von uns gebeten, gründlich durchzusehen, welches die einschlägigen Akten sind. Also die Täterakten. Und nur diese werden herausgefiltert. Und nur diese bekommen die von uns beauftragten ehemaligen Richter und Staatsanwälte, die dann diese Akten durchsehen. Das sind aber auch Akten, die dann zu einem großen Teil auch schon bei der Strafjustiz gewesen sind. Also da geht es um die Erkenntnisse: Was sind die Merkmale von Priestern? Aus welchen Familien kommen sie? Wie ist ihr Leben gelaufen? Was sind die Besonderheiten, die dazu geführt haben, dass sie Täter geworden sind? Das werden wir untersuchen. Aber die Personalakten aller anderen werden weder unsere Juristen in die Hand bekommen noch wir.



domradio.de: Rechtsanwälte sind hinsichtlich ihrer Mandanten normalerweise zum Schweigen verpflichtet. Welche strafrechtlichen Konsequenzen hätte es denn, wenn ein auswärtiger Jurist bei der Durchsicht der Personalakten sein Schweigen bricht?

Pfeiffer: Er wäre strafbar nach Paragraph 203 des Strafgesetzbuchs. Er unterschreibt vorher eine Erklärung, dass ihm dies klar ist. Heute wird das zum ersten Mal geschehen, wenn wir mit zwei ehemaligen Richtern das ganze Verfahren besprechen. Das wird hundertprozentig nicht geschehen, das sind Profis, die ihr Leben lang beruflich mit vertraulichen Informationen zu Menschen umgegangen sind und gar nicht in die Rolle eines Vorsitzenden Richters am Landgericht gekommen wären, wenn sie nicht absolut vertrauenswürdig wären. Ich kann die Ängste dieser Gruppe von Priestern nicht nachvollziehen. Sie haben sich ins Internet begeben, ohne sich gründlich zu informieren.



domradio.de: Für einigen Gesprächsstoff hat auch Ihr Interview vor einigen Wochen bei Radio Vatikan gesorgt, in welchem Sie einen Zusammenhang zwischen der Liberalisierung der Sexualität und der Verringerung von Missbrauch hergestellt haben. Wollen Sie dem bei Ihrem Forschungsprojekt auch nachgehen?

Pfeiffer: Auf jeden Fall, es muss ja geklärt werden, ob sich erstens bei uns auch zeigt, was in den USA sehr deutlich ist: dass zwischen 1970 und 1980 der Höhepunkt des sexuellen Missbrauchs war, und das es dann auf weniger als ein Viertel zurückgegangen ist. Und dieser Rückgang - das ist das Faszinierende - hat sich ja ereignet in einer Zeit, in der völlig unverändert der Zölibat galt. Aber - und das ist wohl in den USA der entscheidende Faktor gewesen: in den 1970er Jahren war es für Priester, wenn sie gegen den Zölibat verstoßen wollten, extrem schwer einen erwachsenen Partner zu finden, weil die amerikanische Gesellschaft noch sehr viel prüder war als noch die europäische. Dann aber hat sich in den USA die Sexualmoral schrittweise gelockert, es wurde für solche Priester, die dem Zölibat nicht folgen wollten, plötzlich einfacher, ihre eigentlichen Zielpersonen zu erreichen. Und sie haben sich dann nicht mehr - so häufig wie früher - ersatzweise an Kindern und Jugendlichen vergriffen. Dieser Zusammenhang hat sich in den USA klar bestätigt. Und wir werden prüfen, ob das auch für Deutschland gilt.



Das Gespräch führte Pia Klinkhammer.