DOMRADIO.DE: Welche Erinnerungen haben Sie an den Tag, als Ihr linkes Auge schlappmachte?
Rainer Maria Schießler (Münchner Stadtpfarrer): Zunächst war da eine Riesenpanik. Mein erster Gedanke war, dass ich mal ein Gemeindemitglied hatte, das einen sogenannten Augeninfarkt hatte. Dann kam die völlige Blindheit und das war irreparabel gewesen. Das geisterte mir durch den Kopf und dann haben wir den Augenarzt nicht erreicht und in der Augenklinik angerufen und geschildert, was passiert.
Am Telefon haben die gleich gesagt: "Sofort kommen! Das ist eine Netzhautablösung." Ich bin dann mit dem Radl durch München in die Augenklinik gefahren und das war eigentlich sehr schön, weil ich von Anfang an von lauter freundlichen, kompetenten, zuvorkommenden und wirklich liebenswerten Menschen behandelt worden bin.
DOMRADIO.DE: Und die Zeit drückte?
Schießler: Das habe ich erst im Nachhinein erfahren und dann ist mir auch erst die Dramatik bewusst geworden. Es gibt einen Zeitbereich von sechs bis acht Stunden, in denen man das Augenlicht retten kann.
Es war nicht bloß ein Loch in der Netzhaut, es hat sich alles zusammengefaltet und ich hatte noch eine Sehkraft von 35 Prozent. Darum haben die so gedrängt, dass ich am selben Tag noch operiert werde. Das war ja schön, dann kam ich gleich dran.
DOMRADIO.DE: Dann war es eine Not-Operation, die ihr Auge gerettet hat. Gab es an den Tagen vorher Signale, dass irgendwas nicht stimmt?
Schießler: Doch, es gibt ja das Evangelium vom Feigenbaum. In dem Jesus sagt: "Lernt die Zeichen der Zeit verstehen." Jetzt weiß ich, was gemeint war, weil es mir von meinem Auge angetragen wurde. Es waren schwarze Streifen im Auge. Ich hatte das Gefühl, ich bin gerade durch ein Spinnennetz gelaufen und die Fäden hängen noch runter. Das war die Ablösung gewesen. Das war eine Woche vorher.
Und wir waren noch auf dem Weg zum Oktoberfest, um ein paar Leute zu besuchen, und da bin ich mit dem Radl an der Augenklinik vorbeigefahren. Da habe ich es das erste Mal gespürt. Wäre ich mal eingekehrt. Das Schwarze im Auge, diese Streifen, das sind Blutkörperchen und das waren die Signale.
DOMRADIO.DE: Haben Sie nun, im wahrsten Sinne, einen anderen Blick auf die Welt?
Schießler: Absolut. Die Netzhaut wird ja wieder angetackert oder fest geschweißt mit einem Laser und dann kommt Gas ins Auge. Das ist wie ein innerer Verband, der die Netzhaut dahin drückt, wo sie hin soll. Das Gas muss sich aber wieder auflösen, und das dauert sechs bis acht Wochen. Und das ist unangenehm. Man hat jetzt keinen Schmerz oder so, aber es ist so schwammig. Man hat immer das Gefühl, man schaut durch ein Schnapsglas und es wackelt alles hin und her.
Das geht an die Nerven. Man kann nicht arbeiten, sich nicht konzentrieren, ist erschöpft und immer musst du auf dem Bauch liegen. Immer wieder habe ich gehört: "Geduld." Jetzt bin ich wieder bei über 90 Prozent der Sehkraft und es gibt noch eine Nachbehandlung, weil ich auch schon eine künstliche Linse gekriegt habe. Aber ich bin so dankbar für dieses Licht. Mein dritter Vorname ist Bartimäus. (Anm. der Redaktion: Blinder Bettler, der von Jesus geheilt wird; Markus 10,46–52 EU)
DOMRADIO.DE: Im Sommer vor zwei Jahren hatten sie einen schweren Bergunfall. Bei einem Sturz in einer Höhe von 3.000 Metern haben Sie sich lebensgefährliche Verletzungen zugezogen. Da hätte Ihr Leben auch einen anderen Verlauf annehmen können. Gott ist offensichtlich auf Ihrer Seite, oder?
Schießler: Ich habe gestern eine nette Nachricht von einem lieben Freund bekommen, der sagte: "Übertreib es nicht, du strapazierst deine Nerven sehr." Ich weiß nicht, wie ich da aus den Sachen herauskomme, aber ich werde immer demütiger, von Tag zu Tag.
DOMRADIO.DE: Sie sind für viele Menschen Hoffnungsträger. Was können Sie den Menschen, nachdem, was Sie persönlich erlebt haben, mit auf den Weg geben?
Schießler: Ich habe auf der Bahre gelegen. Das Letzte, was man vor so einer Operation sieht, ist zwar eine lokale Betäubung, aber trotzdem eine Spritze, die ins Auge kommt. Aber die Menschen, die mich umgeben haben, der Operateur, der mich behandelt hat, waren große Klasse. Ich lag da wie die Lenorflasche in den Frotteehandtüchern.
Ich dachte, ich lasse mich jetzt einfach fallen. Die, die sich fallen lassen können und wissen, dass da jemand ist, der dich auffängt, haben es einfacher. Oder wie heißt der schöne Spruch? Du fällst nie tiefer als in Gottes Hand.
DOMRADIO.DE: Das macht Hoffnung.
Schießler: Absolut. Hoffnung vertröstet nicht.
Das Interview führte Carsten Döpp.