Die Osterkerze seitlich vom Altar ist aufwendig mit einer Blumengirlande geschmückt. Unmittelbar daneben steht ein Foto von einem lächelnden Franziskus mit einem Trauerflor. Eine weitere Kerze mit schwarzer Verzierung erinnert an das Totengedenken.
Auch die Gottesdienstbesucher sind an diesem Abend deutlich zahlreicher als sonst, wenn in der neugotischen Backsteinkirche St. Martin, an der Peripherie von Euskirchen gelegen, einmal wöchentlich die Abendmesse stattfindet. Und sogar eine beachtliche Menge Messdiener – die Pfarrei hat schon lange keine eigenen mehr – haben sich aus allen Seelsorgebereichen der Pastoralen Einheit Euskirchen für dieses Requiem zusammengefunden und tragen zu einem festlichen Einzug mit vier Priestern, Gemeindereferent Thomas Keulertz und Seminarist Francesco Tabacco bei.

Gertrude Klanke, über 30 Jahre Pfarrsekretärin im benachbarten Flamersheim, ist eine von denen, die der Einladung von Pfarrer Tobias Hopmann, für den verstorbenen Papst zu beten, aus Überzeugung nachgekommen ist. "Mir hat immer die Einfachheit von Franziskus gefallen, seine Barmherzigkeit und wie er auf Menschen zugegangen ist. Er hat nicht auf Äußerlichkeiten geschaut und stets dazu animiert, über den eigenen Tellerrand hinaus zu schauen, dabei aber auch gerade den Nachbarn neben uns nicht zu übersehen", erklärt die 69-Jährige. "Nun war es mir ein Anliegen, die Messe für ihn mitzufeiern."
Rom sei weit weg und auch nach Köln zum Pontifikalrequiem, das der Erzbischof am Mittwoch im Dom gefeiert habe, könne ja nicht jeder fahren. "Von daher ist es gut, hier am Ort eine Gelegenheit zu haben, für Franziskus beten zu können."
Apropos Papst: Schon zweimal ist sie Überbringerin einer Nachricht von Weltbedeutung gewesen. In beiden Fällen habe sie in ihrer Funktion als Pfarrsekretärin dem Pastor, der gerade am Altar stand, von weißem Rauch und der damit verbundenen Ankündigung aus Rom "Habemus papam" als erste berichtet, wie sie nicht ohne Stolz erzählt. Zunächst bei der Wahl von Benedikt XVI., 2013 dann auch bei Franziskus. "Einen solchen Botendienst vergisst man nicht mehr", lacht Klanke.
Marta Hermann ist Küsterin in St. Stephanus Auffindung, keine drei Kilometer von Stotzheim entfernt. Auch sie will "würdig Abschied nehmen" von einem Papst, wie sie sagt, "der wie Jesus den Menschen nah war und für den die Armen die Hauptsache waren".
Auch Schwester Julitta Okeke vom Orden der Töchtern der göttlichen Liebe zeigt sich davon beeindruckt, mit welcher Selbstverständlichkeit der Papst gerade auch mit den Bedürftigen und Obdachlosen die Begegnung gesucht hat. "Sein Tod am Ostermontagmorgen ist ein Zeugnis. Besser als mit Jesus Christus aufzuerstehen, geht doch nicht", meint die Ordensfrau aus Nigeria, die im Euskirchener Krankenhaus arbeitet. "Immer wieder hat er darum gebeten, dass wir für ihn beten. Deshalb bin ich heute hier."
Pfarrer Tobias Hopmann hat sich vorgenommen, den vielen Nachrufen zu Papst Franziskus in den vergangenen Tagen nicht noch einen weiteren hinzuzufügen. Vielmehr betont auch er: "Sein Sterben und sein Tod an Ostern sind wie eine letzte große Predigt für uns."
Und so beschäftigt den Leiter der großen Pastoralen Einheit Euskirchen primär die Relevanz dieses Pontifikats: "Was war Papst Franziskus besonders wichtig? Was ist sein Erbe, das er seiner Kirche und der Welt hinterlässt? Und was bedeutet das für uns hier ganz konkret am Ort?"
Drei Punkte stellt er dabei besonders heraus: die Namenswahl "Franziskus", sein Selbstverständnis als "Pontifex maximus" – als oberster Brückenbauer – und sein Anliegen der "Evangelisierung und Mission". Noch nie zuvor habe sich ein Papst nach dem Heiligen Franz von Assisi benannt und damit gleichsam ein Programm gewählt: die Sorge um die Armen und Benachteiligten und die um die Schöpfung.
Umgesetzt habe er das mit seiner Reise nach Lampedusa, mit der Einrichtung einer Herberge für Obdachlose in der Nähe des Petersdoms oder mit seinen Gefängnisbesuchen am Gründonnerstag, bei denen er Gefangenen die Füße wusch. "Und so wollen wir auch bei uns in unserer Pastoralen Einheit Euskirchen nicht müde werden, uns genau für diese Menschen einzusetzen, die nicht auf der Sonnenseite des Lebens stehen", leitet Hopmann daraus ab.

Gottesdienst und Menschendienst gehörten untrennbar zusammen, betont er. "Wo Kirche einen dieser beiden Aufträge vernachlässigt, hört sie auf, Kirche zu sein." Die Erfahrung habe gezeigt, dass es am Ort viele Menschen gebe, die bereit seien, sich in diesem Sinne zu engagieren, selbst wenn sie bisher eher wenig oder auch gar nichts mit Kirche zu tun hätten. "Und es gibt auch einige, die genau dadurch den Weg zum Glauben finden. Daher wollen wir unser Engagement für die Armen weiter ausbauen", formuliert der Seelsorger als konkreten Vorsatz.
Vorbild sei Franziskus auch beim Thema Schöpfungsverantwortung gewesen. "Bei unseren Entscheidungen wollen wir noch stärker bedenken, ob sie schöpfungsgerecht sind, und uns fragen, wie wir die Schöpfung schonen können."
Schließlich mahnt Hopmann, aus dem augenscheinlichen Gegeneinander in der Gesellschaft, aber auch in der Kirche eher ein Miteinander zu machen, trotz unterschiedlicher Meinungen und Positionen Andersartigkeit auszuhalten und Verständnis füreinander aufzubringen, mehr zu Kompromissen und Verständigung zu finden – eben Brücken zu bauen, auch in der Pastoralen Einheit Euskirchen – um gemeinsam nach vorne zu gehen und Communio zu leben, wie sie Christen aufgetragen sei. "Alles hat seinen Platz, seine Berechtigung", unterstreicht Hopmann wörtlich, "nicht nur das Eigene zählt. Diesem Erbe wollen wir uns verpflichtet fühlen."
Papst Franziskus habe es geschmerzt, dass es Menschen gibt, die noch nichts von Jesus Christus und der befreienden Botschaft des Evangeliums gehört hätten. "Dies allen bekannt zu machen, dafür hat er gebrannt und gelebt." Evangelisierung aber sei jedem Einzelnen aufgetragen, erklärt Hopmann. Und dem Beispiel des Papstes folgend sollten auch die gemeindlichen Aktivitäten daraufhin überprüft werden: Dienen sie der Verkündigung und der Stärkung des Glaubens?
"Dabei dürfen wir nicht rückwärtsgewandt auf eine angeblich bessere Vergangenheit schauen, sondern mit Gottvertrauen, Hoffnung und Zuversicht in die Zukunft." Auch wenn Veränderungen und Ungewissheit Angst machten, müssten sich die Gemeinden von manch Liebgewonnenem verabschieden: "von Dingen, die sicher ihre Zeit hatten, die gut und richtig waren, aber jetzt irgendwie nicht mehr passen".
Auch am Ende dieses mit bewegenden kirchenmusikalischen Solodarbietungen und viel Weihrauch gestalteten Requiems gibt Hopmann der versammelten Gemeinde in Stotzheim noch einmal mit auf den Weg, sich nicht nur an Papst Franziskus zu erinnern und für ihn zu beten, sondern sich von seinem Vermächtnis auch für das eigene Christsein inspirieren zu lassen und einen konkreten Auftrag daraus für sich abzuleiten.
"Lassen wir uns von ihm prägen! Setzen wir uns ein für die Armen und Benachteiligten, für die Schöpfung, für Brücken zueinander, die Überwindung von Spaltung und die zeitgemäße Verkündigung der frohen Botschaft des Evangeliums!" Und schließlich entlässt Hopmann die Gemeinde mit einem Zitat von Franziskus selbst: "Die Kirche braucht alle, jeden Mann, jede Frau. Und wir alle brauchen einander."