Einheit
1. Einheit: Erste und wichtigste Aufgabe des römischen Papstes neben der Verkündigung der christlichen Botschaft ist es, die Einheit der katholischen Kirche zu wahren. "Damit ihr eins seid", hatte Jesus seinen Jüngern gesagt. Nur als geeinte Gemeinschaft unter ihrem Papst hat die katholische Kirche das Gewicht, das sie religiös und politisch besitzt. Sorge um die Einheit wurde in den Generalkongregationen mehrfach geäußert.
Von Spaltungen sprechen vor allem konservative Kritiker des Franziskus-Pontifikats. Liberale Kritiker und Unzufriedene im säkularen Westen verlassen eher still und leise die Kirche, weswegen dieses Bröckeln der Einheit weniger wahrgenommen wird.
Sicherlich sind unter Franziskus ohnehin vorhandene Spannungen und Unterschiede in der Kirche noch sichtbarer geworden. Auch durch liberale Reformen des Papstes hinsichtlich Synodalität, Haltung zu homo- und transsexuellen Personen, Liturgie oder Familienbild. Aber mit umgekehrten Tendenzen gab es das auch unter Johannes Paul II. und Benedikt XVI.
Die oft beschworene Einheit in der Vielfalt der Ortskirchen ist stets neu auszutarieren. Die tiefe Spaltung der anglikanischen Weltgemeinschaft wegen der Bischofsweihe von Frauen und der Haltung zu Homosexualität ist katholischen Hirten jedenfalls eine Warnung. Ebenso die oft national eingeengte Weltsicht orthodoxer Kirchen.
Evangelisierung
2. Evangelisierung: Der Begriff, der im Vorkonklave mehrfach in den Ring geworfen wurde, ist im deutschsprachigen Raum weniger geläufig. Gemeint ist, das eigene Leben wie das einer Gemeinschaft in Wort, Tat und Auftreten nach dem Evangelium Jesu zu gestalten. Wie wird der christliche Glaube in der heutigen, pluralen Welt glaubwürdig und attraktiv gelebt? Das sieht im säkularisierten Westen anders aus als in Lateinamerika, Afrika oder in Kriegsgebieten.
Evangelisierung ist das Kerngeschäft der katholischen Kirche. Weswegen Franziskus' Kurienreform dem neu geschaffenen Dikasterium für Evangelisierung die oberste Rolle zumisst, er selbst setzte sich als Präfekten ein.
Der für das Thema zuständige Kurienbischof Franz-Peter Tebartz-van Elst lobte zuletzt Franziskus' Weise, "sich Menschen zuzuwenden, das Evangelium kurz auf den Punkt zu bringen". Dies sei "eine zeitgemäße Form der Evangelisierung, weil Menschen sehr stark darauf reagieren». Franziskus, so Kardinal Reinhard Marx, habe auch mit Gesten deutlich gemacht: "Seht her, so geht Christentum!" Andererseits dringen nicht nur Bischöfe und Kardinäle darauf, wieder stärker konkrete Inhalte und Folgen zu benennen, wenn sich jemand der katholischen Kirche anschließen möchte.
Synodalität
3. Synodalität: Keine Glaubensgemeinschaft ist so hierarchisch organisiert wie die katholische Kirche. Franziskus und mit ihm viele Bischöfe und Laien möchten das abschwächen, wollen mehr Menschen in Überlegungen und Gestaltung kirchlichen Lebens einbeziehen. Wozu auch Mitverantwortung und Mitbestimmung, vor allem von Frauen und anderen Laien, gehören. Franziskus wollte das Projekt fortführen, weswegen sein Mann fürs Synodale, Kardinal Mario Grech, die Reform-Agenda der Weltsynode zur Synodalität um dreieinhalb Jahre verlängerte. Die Synode selbst, so sieht es das Kirchenrecht vor, endet mit dem Tod eines Papstes.
Dass Franziskus an den Bischofssynoden zunehmend mehr Nicht-Bischöfe, auch Frauen, gar mit Stimmrecht beteiligte, war für viele ein hoffnungsvolles Zeichen. Manch Konservativer hingegen beklagt eine Verwässerung des von Paul VI. errichteten Beratungsinstruments für den Papst - geht es doch darum, die Kräfteverhältnisse und Zuständigkeiten zwischen Ortskirchen und Kurie auszutarieren.
Missbrauch
4. Missbrauch ist "die Wunde, die offen bleiben muss", hieß es aus dem Vorkonklave. Mindestens zwei Mal war der Skandal Thema bei den Generalkongregationen. Anfang der Woche reisten zudem Vertreter von Betroffenen-Initiativen nach Rom, um Kardinäle und Öffentlichkeit erneut an das Thema zu erinnern. Franziskus habe wichtige Schritte eingeleitet. Diese, so Betroffene und wissenschaftliche Fachleute, müssen ausgebaut und verstetigt werden.
Die Frage, welchem neuen Papst wegen seines früheren Umgangs mit Missbrauch das Thema auf die Füße fallen könnte, schwebte wie ein Damoklesschwert über dem Konklave. Wobei zu unterscheiden wäre: Wird ihm selbst Missbrauch vorgeworfen? Hat er bewusst vertuscht oder nur ungenügend reagiert?
Hans Zollner und Peter Beer vom Safeguarding-Center der Päpstlichen Gregoriana-Universität erinnerten zuletzt an die beim Anti-Missbrauchs-Gipfel 2019 sowie während der Weltsynode betonten Kriterien von Transparenz, Regelkonformität (compliance) und Rechenschaftspflicht (accountability). Die gälten nicht nur allein für den neuen Papst, sondern auch für Bischöfe, Ordensobere und andere Verantwortliche. Zunächst aber müssten bestehende Regeln konsequenter umgesetzt, Verfahren beschleunigt und Betroffene besser beteiligt werden.
Kurie
5. Kurie: Franziskus wollte das Instrument des Papstes zur Leitung der Weltkirche reformieren - und umging es daher oft. Seine Kurienreform sieht die Kurie zudem als eine Art Dienstleister der Weltkirche. Schon früher wurden regelmäßige und häufigere Kabinettssitzungen der Kurienleiter gefordert, um die Arbeit besser zu koordinieren. Franziskus' Nachfolger wird die Kurie besser würdigen und einbinden müssen. Dort herrsche "großes Engagement und eine bemerkenswerte Großzügigkeit im Dienst", betonte unlängst ein Kardinal, "aber der Eindruck entsteht, dass die Arbeit nicht so koordiniert ist, wie sie sein könnte".
Angesichts der Finanzlage kann das Personal nicht aufgestockt werden. An eine Diversifizierung durch Nicht-Kleriker und Experten anderer Disziplinen, auch aus dem Ausland, ist nicht zu denken. Mit Argusaugen beobachtet wird, ob der Neue die von Franziskus ernannten Frauen an Spitzenpositionen belässt: Schwester Raffaela Petrini als Regierungschefin der Vatikanstadt und Schwester Simona Brambilla als bisherige Präfektin des Ordensdikasteriums.
Schließlich hängt nicht alles am Papst. Für das nächste Pontifikat ist genauso entscheidend, welches Team er um sich schart. Fundus und Möglichkeiten sind groß: die Kurienleiter, Kardinalskollegium, Bischofssynode, K9-Rat ...
Finanzen
6. Finanzen: Die klamme Kasse des Vatikans wird dem neuen Papst und seiner Mannschaft viel Kopfzerbrechen bereiten. Laut Medienberichten hatte der Heilige Stuhl 2023 ein Haushaltsdefizit von über 80 Millionen Euro. Bei den Generalkongregationen warb Kardinal Marx als Koordinator des Wirtschaftsrats mehrfach für finanzielle Nachhaltigkeit. Zuletzt hatte Franziskus mehrfach auf die dramatische Lage hingewiesen. Im Zuge der Pandemie, aber auch des Missbrauchsskandals waren Zuwendungen stark zurückgegangen.
Mit jeweils mehr als 2.000 Angestellten im Vatikanstaat und bei der Römischen Kurie sind Personalkosten die bei weitem wichtigste Ausgabe. Finanzskandale indes sind, soweit bekannt, zunächst weitgehend abgeräumt. Es bleibt der Berufungsprozess von Kardinal Angelo Becciu und anderen erstinstanzlich Verurteilten aus dem Finanzskandal im Staatssekretariat.
Charisma/Glaubwürdigkeit
7. Charisma/Glaubwürdigkeit: In dieser Hinsicht hat Franziskus Maßstäbe gesetzt. Weltweit waren Menschen vor allem von seiner direkten Herzlichkeit, seinem Witz sowie unkompliziertem Umgang
angetan. Sein Nachfolger wird es schwer haben, einen eigenen Stil zu pflegen, der nicht als klerikal oder abgehoben empfunden wird. Von daher wird er auch mit Medien können müssen. "Ein präsenter Hirte, der nah bei den Menschen ist", solle es werden, hieß es aus der Generalkongregation am Montag.
Zur Glaubwürdigkeit gehört zusätzlich die Kongruenz von Wort und Tat sowie der Umgang mit Menschen im unmittelbaren Umfeld. Da haperte es bei dem mitunter cholerischen Franziskus, der willkürlich und teils widersprüchlich agierte.
Diplomatie
8. Diplomatie: Die Softpower der katholischen Kirche wird von Politikern und Diplomaten geschätzt. Ein glaubwürdiger Papst als Weltgewissen kann Dinge sagen und fordern, mit denen andere sich schwer tun. Zudem verfügt er über die weltweit älteste Diplomatie, weit verzweigt in über 180 Staaten. In einer Welt zunehmender Autokraten und nationaler Alleingänge ist er eine der wenigen verbliebenen Stützen multilateraler Institutionen.
Appelle und konkrete Initiativen für Menschenrechte, Gerechtigkeit, Umweltschutz, Frieden sowie diskrete Vermittlungsbemühungen hinter den Kulissen - all das kann der Heilige Stuhl und intensivierte dies unter Franziskus. Es sei ein mühsamer, aber steter Einsatz, so der bisherige päpstliche Chefdiplomat Pietro Parolin. Im Umgang mit Washington, Moskau, den Nahost-Staaten, aber auch Peking - und dessen Geheimabkommen zu Bischofsernennungen in China - und anderen wird sich zeigen, wie gut der Neue wohl gesetzte Worte mit klaren Botschaften verbindet.
Religionen
9. Religionen: Weil Religionen mitunter genutzt werden, Spannungen zu provozieren und anzuheizen, soll interreligiöser Dialog auch das gemeinsame friedensstiftende Potenzial der Glaubensgemeinschaften stärken. Franziskus hat insbesondere mit dem Dokument von Abu Dhabi, das er Anfang 2019 mit dem ägyptischen Großimam Ahmad al-Tayyeb unterzeichnete, Brücken zum Islam geschlagen. "Wir wünschen uns einen Papst, der den interreligiösen Dialog weiterhin aktiv stärkt, Brücken der Verständigung baut und entschlossen gegen jede Form von Hass, Rassismus und religiöser Diskriminierung eintritt", sagte der
Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland, Abdassamad El Yazidi.
Die Beziehungen zum Judentum sind derzeit durch den Gaza-Krieg belastet. Sehr genau wird daher beobachtet, wie der neue Papst Solidarität mit palästinensischen und arabischen Christen einerseits äußert und wie er gleichzeitig Stellung bezieht gegen Antisemitismus. Wie beim Thema Diplomatie hoffen viele auf genauer formulierte Aussagen, als sie Franziskus mitunter tätigte. Europas Oberrabbiner Pinchas Goldschmidt formuliert es so: "Es wird eines weisen Mannes bedürfen, um die Beziehungen zwischen dem Heiligen Stuhl und der jüdischen Welt neu zu gestalten."
Dann sind da auch die asiatischen Religionen. Christen in Indien leiden unter hindu-nationalistischer Hetze und Übergriffen von Extremisten. Ob der Neue in Rom einmal nach Indien reist, wie Franziskus es wollte? Es gäbe nicht allein interreligiöse Gründe. In der gegenwärtigen weltpolitischen Gemengelage wird das Land mit der größten Bevölkerung weltweit immer wichtiger.
Ökumene
10. Ökumene: Die erste Auslandsreise sollte den neuen Papst sicherlich in die Türkei führen - zur 1.700-Jahr-Feier des ersten christlichen Konzils in Nizäa, heute Iznik. Zwar war eine Reise von Franziskus dorthin nie offiziell bestätigt worden. Aber der gastgebende Ökumenische Patriarch Bartholomaios I. hat den 26. Mai als Termin eines Ökumene-Treffens schon genannt.
Beim Konzil von Nizäa selbst 325 n. Chr. war der damalige Bischof von Rom nicht vertreten. Papst Silvester I. schickte nur einen seiner Presbyter. Der neue Papst sollte die Chance in Iznik nicht verpassen - auch aus Solidarität mit den bedrängten Christen in Nahost. Wie er die christliche Ökumene weiter inspirieren kann, hängt nicht nur von ihm ab. Der Spannungsbogen zwischen bedrängten und/oder nationalistisch engen Ostkirchen, liberalen westlichen Protestanten sowie wachsenden evangelikal-pfingstlerischen Freikirchen wird immer weiter. Die ihm gelegentlich zugedachte Rolle eines Sprechers der Christenheit ehrenhalber beruht sowohl auf seinem persönlichen Charisma wie auf seinen persönlichen Beziehungen zu anderen Kirchenoberhäuptern und -vertretern.